von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 21.10.2016
Klima-Theater packt die Koffer
Nach nur vier Jahren ist Schluss: Die gerade erst etablierte Kulturinitiative Klima - das Theater gibt auf und zieht nach St. Gallen. Hintergrund ist die aus Sicht des Theaters "zu geringe Unterstützung" durch die Kulturpolitik in Stadt und Kanton.
Von Michael Lünstroth
Für Eveline Ketterer war es Liebe auf den ersten Blick. Sie war 12 Jahre alt, stand das erste Mal als Schauspielerin auf einer Bühne und wusste genau - das will ich für den Rest meines Lebens machen. Ihre Eltern sahen das nicht so und dann hat es erstmal doch noch ein bisschen gedauert bis sich die heute 38-Jährige ihrer Liebe hingeben konnte. Auf einer privaten Schauspielschule nahm sie Unterricht. 2012 dann der Wunsch: "Ich wollte etwas eigenes haben, ein eigenes kleines Theater", erklärt die Kreuzlingerin. Und so kam es. Gemeinsam mit Marco Hausammann-Gilardi gründet sie Klima - das Theater. Es sollte ein freies, professionelles Theater sein, das mit speziellen Stücken durchs Land reist. Beziehungsweise reisen muss - eine eigene Spielstätte hat das Ensemble da noch nicht.
Gestartet sind sie mit grosser Euphorie. Sie wollten "Theater, das unter die Haut geht" bieten. Drei eigene Inszenierungen haben sie durchaus mit Erfolg auf die Bühne gebracht. Gleichwohl ist inzwischen so etwas wie Ernüchterung eingekehrt. Trotz des grossen Engagements, trotz der vielen Ideen mit Veranstaltungsreihen zwischen Ausstellungen, Comedy-Aufführungen und Film-Festivals, der ganz grosse Durchbruch ist eben noch nicht gelungen. Mitgründer Marco Hausammann-Gilardi ist nach nur einem Jahr wieder ausgestiegen, jetzt ist Dietmar Paul als Hausautor und Regisseur an der Seite von Eveline Ketterer.
Schwieriger Start für Neuanfänger im Thurgau
Für Neuanfänger sei es schwierig im Thurgau, sagt die Schauspielerin. "Wenn du noch nicht so bekannt bist, kannst du Werbung machen wie verrückt, trotzdem bleibt die Zuschauerzahl übersichtlich. An etwas Neues trauen sich die Menschen hier nicht so leicht ran", hat die gebürtige Thurgauerin beobachtet. Dabei ist das nur die eine Seite. Enttäuscht zeigt sich die 38-Jährige auch von Stadt und Kanton. "Bei fünf Förderungsgesuchen sind wir nur einmal berücksichtigt worden (damals gab es 25 000 Franken, d. Red.)", klagt die Schauspielerin. Die Strukturen in den Entscheideungs-Gremien seien leider oft so, dass es auch hier neue Projekte schwer hätten, glaubt Ketterer.
Video-Sequenz aus der Produktion 2015 "Böse Nacht Geschichten"
Ist das wirklich so? Konkrete Antworten bekommt man hierzu kaum. Die Kulturstuftung des Kantons hält sich bedeckt. Sie ist ohnehin gerade in der Kritik, was die Vergabe von Fördermitteln betrifft. Zu Ketterers Falls, heisst es von der Stiftung lediglich, einzelne Ablehnungen werde man nicht weiter kommentieren. Ein Blick in die Förderkriterien der Stiftung zeigt, dass für eine Zuteilung von Fördergeldern vor allem die Qualität der Arbeiten entscheidend ist. Eveline Ketterer glaubt nicht, dass das der Grund ist. "Ich finde, dass unsere Projekte den künstlerischen Anspruch erfüllen, den es braucht, um gefördert zu werden", so die 38-Jährige.
Bei der Stadt Kreuzlingen scheint man sich noch weniger um das Anliegen der jungen Künstler zu kümmern. Eine Anfrage in der Sache von thurgaukultur an Dorena Raggenbass, zuständige Kultur-Stadträtin der Gemeinde, bleibt über Tage, bis zum Erscheinen dieses Artikels, unbeantwortet.
Neue Heimat: Das Theater 111 in St. Gallen
Nach langem Hin- und Herüberlegen haben die Theatermacher nun ihre Konsequenz gezogen. "Wir können so hier nicht weiter machen, also ziehen wir weiter", sagt Eveline Ketterer schweren Herzens. Der Abschied falle ihr schwer, weil er eben nicht ganz freiwillig ist. Andererseits hat so ein Neuanfang ja auch seinen Reiz. Die neue Produktion von Klima wird man in St. Gallen sehen können - in dem kleinen Theater 111. Dort haben Ketterer und ihre Mannschaft vorerst eine Heimat gefunden, hier dürfen sie regelmässig spielen. "Eigentlich ein Glücksfall, das wir uns so gefunden haben", sagt sie zu dem neuen Engagement.
Video-Sequenz aus der Produktion "Zähl die Schafe rückwärts" (2014)
Von ihrer neuen Heimat erhoffen sich die Theatermacher auch eine stärkere finanzielle Unterstützung. Von dem Kulturkonzept des Nachbarkantons ist Eveline Ketterer jedenfalls angetan. "Ich finde schon mal gut, dass Projekte, die einen hohen Eigenwirtschaftsanteil haben, nicht noch zusätzlich über Gebühr subventioniert werden", erklärt die 38-Jährige.
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