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von Inka Grabowsky, 30.10.2023

Kälte in Arbon

Kälte in Arbon
Einblicke in die Ausstellung in der Kunsthalle Arbon. |

Kunstthurgau präsentiert seine Jahresausstellung dieses Mal in der Kunsthalle in Arbon. 17 Kunstschaffende aus der ganzen Region haben Werke für die ehemalige Fabrikhalle geschaffen, die sich alle mit dem Thema «Kälte» auseinandersetzen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Die Kunsthalle Arbon ist eigentlich im Winterschlaf – kein Wunder: Die ehemalige Metallwarenfabrik ist nicht zu beheizen. Und das brachte den Vorstand von Kunstthurgau auf die Idee zum gemeinsamen Motto der jährlichen Ausstellung: «Kälte» ist der gemeinsame Nenner aller Werke, die die 17 Künstlerinnen und Künstler für den Anlass geschaffen haben. 

«Wir haben nach einem demokratischen Entscheid bei der Mitgliederversammlung das Gegebene zum Thema erklärt», lacht Ursula Bollack-Wüthrich. «Ich selbst fand es sehr reizvoll, dem meist negativ konnotierten Begriff auch positive Seiten abzugewinnen.» 

Der Präsidentin von Kunstthurgau fällt jeweils die Aufgabe zu, einen neuen Ort für die Jahresausstellung zu finden. «Das ist gar nicht so einfach. Das ganze Netzwerk hilft und sagt Bescheid, wenn es eine passende Halle entdeckt, damit wir im Laufe der Zeit den ganzen Kanton bespielen.»  

Solidarität unter Kunstschaffenden

Inge Abegglen, die Präsidentin des Kunsthalle-Vereins in Arbon, war zunächst skeptisch, als Anfang Jahr die Anfrage kam. «Normalerweise wird die Halle nicht vermietet. Wir sind recht streng beim Weitergeben der Räume. In unserem eigenen Programm gibt es fast immer raumbezogene Installationen. Aber andererseits: Wenn die Halle leer ist, dann kann man sie auch mit anderen Kunstschaffenden teilen. Wir wollen den Künstlern und Künstlerinnen gerne die Plattform bieten, ihre Werke zu zeigen. Denn Kunst muss gesehen werden.» 

 

nge Abegglen, die Präsidentin des Kunsthalle-Vereins in Arbon. Bild: Inka Grabowsky

Vielseitige vier Wände

Der 500 Quadratmeter grosse Oberlichtsaal ist vollkommen leer. Das ist für Gruppenausstellungen nicht wirklich ideal. Bilder brauchen schliesslich Wände, an die man sie hängen kann. Doch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Herausforderung angenommen. Die Hallenbeleuchtung wird durch diverse zusätzliche Scheinwerfer ergänzt, sodass auch der mittlere Ausstellungsteil ausgeleuchtet ist. 

«Ich finde die Vielfältigkeit des künstlerischen Schaffens gut vertreten», lobt Inge Abegglen. Videokunst, Plastik, Installationen und installative Hängungen von Gemälden komplementieren Bilder an den Aussenwänden. «Es gab sehr viele Möglichkeiten, den Raum zu nutzen», sagt Regula Sonderegger aus dem Kuratorenteam. «Wir sind als Gruppe durchgegangen, und jeder durfte sich dorthin stellen, wo er oder sie ausstellen wollte. Es ist erstaunlich harmonisch aufgegangen.» 

Die Kuratoren übernahmen die Feinjustierung. So ergänzen die Gemälde von Marianne Joost farblich perfekt die von der Decke hängenden Chiffon-Bänder von Brigitte Buchholz mit dem Titel «Brennholz», mit denen sie Berührungspunkte und Begegnungen als Wärmequelle darstellt. «Es gibt ein schönes Ganzes, ohne dass wir stark eingreifen mussten», so Sonderegger. 

 

Von der Decke hängende Chiffon-Bänder von Brigitte Buchholz mit dem Titel «Brennholz». Bild: Inka Grabowsky

 

Massgeschneidert für Ort und Thema

Seit dem Frühjahr hatten die Mitglieder Zeit, sich mit dem Thema und den speziellen Ausstellungsbedingungen auseinanderzusetzen. «Bei einer spontanen Einladung entsteht selten etwas Nachhaltiges», so Präsidentin Bollack-Wüthrich. «Wir wollen ja nicht, dass die Leute einfach in ihr Archiv greifen.» Co-Kuratorin Sonderegger ist mit dem Ergebnis zufrieden: «Das Thema Kälte erhält eine Verdichtung durch die vielen Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven.»

Christine Aebischer hat drei Fenster mit aufgebauschten Gardinen auf der fensterlosen Seite des Raums aufgehängt. «Erst wollte ich sie direkt an der Wand anbringen, aber das erwies sich als zu schwierig. Nun schweben sie mit Abstand von der Decke – und der Effekt passt sogar noch besser zum Titel ‹Brise›.» 

Aebischer ist normalerweise in der Malerei zuhause. «Für Ausstellungen mache ich aber gerne einmal eine Installation», so die Kreuzlingerin, die zu sechs neuen Mitgliedern von Kunstthurgau gehört.  

Videostills aus der Fischfabrik

Jonas Rüedi stellt ebenfalls zum ersten Mal mit der Gruppe aus. Bei der Vernissage steuert er eine Performance bei. Auf einer von hinten angestrahlt Leinwand läuft das Video einer Winter-Strassenszene, während der Künstler vor der Leinwand mit sogenannten Minimal Movements performt. «Bewegung ist für mich etwas Zentrales», erklärt er. 

Eingefrorene Bewegungen sind in den Reihen von Videostills zu erkennen, die wie ein grosses Mosaik an der Wand hängen. Rüedi hat in einer Entsorgungsstelle gefilmt wie auch im Kühlhaus einer Fischfabrik. «Kälte ist hier essenziell», meint er. Die eisgrüne Wandfarbe auf den Bildern lässt die Temperatur sichtbar werden.

 

Christine Aebischer hat drei Fenster mit aufgebauschten Gardinen auf der fensterlosen Seite des Raums aufgehängt. Bild: Inka Grabowsky

Mit Schmunzeln und Schaudern

Ursula Bollack-Wüthrich hat für die «Kälte» ihr angestammtes Feld – die Keramik – verlassen und ist zur Fotografie und Installation gewechselt. Dabei tritt sie mit den Betrachtern in einen philosophischen Diskurs. Auf vier Wintermäntel hat sie Fotos zum Thema Kälte angeheftet. Dann stellt sie Fragen: «Wann hat es dich/Sie das letzte Mal eiskalt erwischt?», will sie wissen. Und sie wünscht: «Möge er immer gelingen, der Sprung ins kalte Wasser.» 

Das Schmunzeln, das den Besuchern hier vielleicht noch um die Lippen spielt, vergeht beim Beitrag von Walter Wetter. Eine Schaufensterpuppe ist in einer Folterszene inszeniert. Sobald man nähertritt, hört man den Pop-Song «Stayin’ Alive» und sieht die gefesselten Beine der Figur zucken. «Die Installation kann einen verstören», räumt Wetter ein. «Ich wollte sie aber so zeigen, da mich die aktuellen wahnsinnigen kriegerischen Ereignisse nicht kalt lassen. Trotzdem habe ich aber auch noch die surrealistische Komponente eingebaut, dadurch entschärfe ich ein wenig die Folter-Situation, und es entsteht Mehrdeutigkeit.»  

 

Auf vier Wintermäntel hat Ursula Bollack-Wüthrich Fotos zum Thema Kälte angeheftet. Bild: Inka Grabowsky

 

Der Abwesende

Es gibt viel zu sehen in der Kunsthalle, eines jedoch nicht: Auf dem Flyer und der Ausstellungsplakat ist ein warm eingepackter Sessel abgebildet: Brigitte Buchholz’ «Frierender Stuhl». Ihn sucht man in Arbon vergebens. 

Er war im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts mit vier Teilnehmern entstanden. «Im Laufe der Arbeit entwickelte sich das Projekt immer weiter in Richtung Videokunst», erklärt Jonas Rüedi, «deshalb passte der Sessel plötzlich nicht mehr.»

Die Ausstellungsdaten

Kälte. Kunstthurgau zu Gast in der Kunsthalle Arbon

28. Oktober 2023 bis 12. November 2023

 

Finissage 12. November 2023, 15 Uhr

Aktion "Fallende Blätter" mit Texten von Sonja Crone

 

Öffnungszeiten Fr 17-19 Uhr

                                Sa 14-18 Uhr

                                So 11-16 Uhr

 

 

 

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