08.08.2024
Igel gesucht
Ein Projekt des Naturmuseum Thurgau begibt sich auf Spurensuche nach dem beliebten Tier im Thurgauer Siedlungsraum. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Der Lebensraum der Igel hat sich in den vergangenen 50 Jahren stark verändert. Ursprünglich waren Igel in einer offenen, vielfältigen Kulturlandschaft zu Hause. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft und dem Verlust an Strukturen wurden sie in diesen Lebensräumen immer seltener. Im Gegenzug waren Igel häufiger im Siedlungsraum anzutreffen, wo sie in durchgrünten Wohnquartieren neue Lebensräume fanden.
In den vergangenen Jahren mehrten sich laut einer Medienmitteilung des Kantons Thurgau nun aber die Hinweise, dass die Igelpopulation in der Schweiz abnimmt. Die bauliche Verdichtung, der Verlust wertvoller Grünflächen und der zunehmende Verkehr scheinen dem Igel zu schaden. Untersuchungen aus verschiedenen Regionen der Schweiz zeigen, dass heute weit weniger Igel unterwegs sind, als noch vor 20 Jahren: In Zürich beispielsweise wurde eine Abnahme des Bestandes von 40 Prozent dokumentiert.
Freiwillige helfen bei dem Projekt mit
Um herauszufinden, wie es um die Igel im Kanton Thurgau steht, erforscht das Projekt «Wilde Nachbarn Thurgau» zurzeit mit Freiwilligen das Vorkommen des Igels im Kanton mittels Spurentunneln und Beobachtungsmeldungen. Im Rahmen der Aktion «Igel gesucht: Auf den Spuren des Insektenfressers im Thurgauer Siedlungsraum» werden dafür in verschiedenen Städten und Regionen des Kantons Spurentunnel aufgestellt und Igelbeobachtungen gesammelt.
Der durchgrünte Siedlungsraum kann Igeln mit naturnahen Gärten und Parkanlagen gute Lebensräume bieten. Oft sind diese Lebensräume aber durch Strassen, Zäune, Mauern und Absätze voneinander getrennt. Sie bilden Hindernisse, die für Igel schwer zu überwinden sind. Geeignete Lebensrauminseln bleiben für sie unerreichbar, das Futterangebot wird geschmälert. Igel brauchen als Folge mehr Zeit für die Wege zu den Nahrungsquellen und müssen sich länger in gefährlichen Bereichen wie Strassen aufhalten.
Gefahren für Igel
Eine ungenügende Vernetzung der Lebensräume verstärkt somit weitere Faktoren, welche zum Rückgang der Igel beitragen, wie der Rückgang der Insektenpopulationen, die Gefahren durch den Strassenverkehr, Rasenmähroboter, Fadenschneider, Lichtschächte oder Wasserstellen ohne Ausstiegshilfe. Hinzu kommt der Dachs, ein natürlicher Feind des Igels, der vermehrt auch im Siedlungsraum anzutreffen ist. Die Vernetzung der städtischen Lebensräume ist darum ein wichtiges Element zur Förderung der Igel, aber auch zur Förderung der Biodiversität im Siedlungsgebiet allgemein.
Hintergründe zum Projekt «Wilde Nachbarn Thurgau»
Die Aktion «Igel gesucht: Auf den Spuren des Insektenfressers im Thurgauer Siedlungsraum» ist ein Projekt von «Wilde Nachbarn Thurgau». Im Jahr 2019 gegründet, bilden heute fünf lokale Organisationen und Institutionen die Trägerschaft: das Naturmuseum Thurgau, Pro Natura und der WWF Thurgau, die Thurgauische Naturforschende Gesellschaft und der Thurgauer Vogelschutz BirdLife.
Sie möchten Wildtiere im Siedlungsraum erforschen, schützen und fördern. Dabei hilft die Bevölkerung mit: Die aktuelle Aktion ist das fünfte Citizen Science Projekt von «Wilde Nachbarn Thurgau», in dem Freiwillige Daten sammeln, um damit Forschungsfragen zu beantworten. Ähnliche Aktionen gab es für Wildbienen, Mauswiesel und Hermelin oder kleine Säugetierarten wie Siebenschläfer und Co.
Nebst den Feldarbeiten durch Freiwillige werden über die Meldeplattform thurgau.wildenachbarn.ch das ganze Jahr über Beobachtungen von Wildtieren gesammelt. So kamen seit dem Gründungsjahr beinahe 3000 Datenpunkte zusammen. Sie leisten einen grossen Beitrag dazu, Wissenslücken um die Verbreitung verschiedener Wildtierarten zu schliessen und die Grundlagen zum Schutz und zur Förderung ihrer Lebensräume zu mehren.
Mit Spurentunneln auf Igelpirsch
Um herauszufinden, wie es um die Igel im Kanton Thurgau steht, haben Freiwillige in den vergangenen Wochen in verschiedenen Städten und Regionen des Kantons Spurentunnel aufgestellt. Diese werden mit Farb- und Papierstreifen ausgerüstet und in Privatgärten und auf Grünflächen platziert. Geht ein Igel durch einen Spurentunnel, hinterlässt er seine Pfotenabdrücke. So wird sichtbar, wo Igel unterwegs sind.
Pro Untersuchungsgebiet stellen die Igelforscherinnen und -forscher zehn Spurentunnel auf, die dann fünf Nächte stehen bleiben und täglich kontrolliert werden. Das Ziel ist, damit sogenannte Präsenz-/Absenz-Daten zu erhalten, die einen guten Überblick über das Vorkommen von Igeln in den Regionen geben.
Igel orientieren sich bei ihren nächtlichen Wanderungen zur Futter- oder Partnersuche gerne an Linienstrukturen wie Hecken, Mauern oder Zäunen. Deshalb ist es ideal, die Spurentunnel entlang solcher Strukturen aufzustellen. Wichtig ist, dass Spurentunnel nur in Gärten stehen, die für Igel zugänglich sind – ein noch so igelfreundlicher Garten hilft nichts, wenn ihn ein undurchlässiger Zaun oder eine Mauer umgibt.
Der Aufbau des Spurentunnels ist einfach: Der Tunnel wird zu einer Dreiecksform zusammengesteckt. Danach wird die Einlage vorbereitet. Auf der linken und rechten Seite befindet sich je ein mit Büroklammern befestigtes Spurenblatt, daneben je ein Farbsteifen und in der Mitte eine Schale mit Igelfutter zur Anlockung. Die Farbe besteht aus Kohlepulver und Speiseöl und ist für Igel und andere Wildtiere unbedenklich.
Beim Essen des Köders stehen die Igel in die Farbe und hinterlassen beim Verlassen des Tunnels ihre Spuren. Die Methode hat aber auch ihre Tücken: Abgesehen von Igeln kommen gerne auch Katzen oder andere Wildtiere zu Besuch. Die hinterlassenen Spuren müssen deshalb sorgfältig von erfahrenen «Spurenlesern» ausgewertet werden.
Ausblick 2025: Igel fördern
Aufbauend auf den Ergebnissen der aktuellen Datenerhebungen sollen im nächsten Jahr Lebensräume für Igel im Thurgau besser miteinander verknüpft werden. Im Folgeprojekt «Freie Bahn für Igel» wird 2025 – wiederum mit Freiwilligen – versucht, an geeigneten Orten Durchgänge zu schaffen, um den Igeln die Zugänge zu passenden Lebensräumen zu erleichtern.
Doch schon jetzt lässt sich im eigenen Garten oder in den Grünräumen der eigenen Wohnumgebung etwas für die kleinen Stacheltiere tun. Etwas mehr Wildnis, beispielsweise mit dem Aufschichten eines Asthaufens in einer Ecke des Gartens, schafft Rückzugs- und Schlafplätze für Igel und andere Kleintiere. Durchgänge durch Zäune oder Mauern zwischen Gärten ermöglichen ihnen den Zugang zu geeigneten Lebensräumen.
Selbst auf dem Balkon oder der Dachterrasse lassen sich mit einer naturnahen Bepflanzung Insekten – und damit indirekt die Igel und andere Wildtiere, welche sie fressen – fördern. Und die bunte Blumenpracht verschönert nicht zuletzt den Balkon und erfreut das Auge.
Ähnliche Beiträge
Annäherung an den Tod
Wie will ich mein Lebensende gestalten? Ein Forschungsprojekt der OST Fachhochschule Ostschweiz widmet sich dieser Fragestellung. Und nutzt dabei auch Instrumente der Theaterpädagogik. mehr
Die Kraft der Kräuter
Wie entstanden die Heilkräutergärten der Klöster und wo spielen sie noch heute eine Rolle? Damit beschäftigt sich der erste Teil unserer neuen Serie «Facetten des Mittelalters». mehr
Die Erforschung der Quagga-Muschel
Ein neues Forschungsprojekt will die in den Bodensee eingewanderte Muschelart neu unter die Lupe nehmen. Der Kanton Thurgau unterstützt das Projekt mit 200’000 Franken. mehr