von Judith Schuck, 03.06.2023
Glitzernde Oberfläche auf giftigem Grund
Giftiges Gold: David Lang bringt mit seinem Musical „Schacher Sepp“ Kapitalismuskritik ins Zirkuszelt. Zwei kurzweilige Stunden mit tollen Interpret:innen. (Lesezeit: ca. 3 Minuten)
Ein spektakuläres rotes Zirkuszelt lenkt das Auge momentan auf eine Wiese am Ortsende von Mammern. In der ländlichen Unterseelandschaft irritert das Zelt – doch findet darin die kommenden zwei Wochen etwas wirklich Spektakuläres statt. „Schacher Sepp“ ist das neuste Musical aus der Feder des Thurgauer Komponisten und Autors David Lang. Das Premierenpublikum war am Freitagabend begeistert von dem, was die Bühne Mammern da auf die Beine gestellt hatte.
Obwohl mitten in der Provinz und trotz des Titels hat das Stück nichts von einem Bauerntheater. Das Bühnenbild von Marion Menziger ist durchdacht: ein blaues Toi-Toi, ein Erdhügel mit einem Schild der Baufirma Studer, ein Kassenhäuschen mit bunten Lichtern, ein noch bunteres Karussel.
Frohwilen wird zu HappyVille
Alles ist sehr grosszügig, aber die Manege bietet auch jede Menge Platz. Personal und Besucher des Freizeitparks HappyVille putzen und polieren alles, vom WC bis zum Karussel-Rössli, denn in HappyVille wird heute das 25-jährige Bestehen des Rummels gefeiert.
Der Freizeitpark macht die Gemeinde Frohwilen wohlhabend. Die Dorfbewohner:innen finden dort Arbeit, er zieht Publikum an. „An 356 Tagen im Jahr scheint bei uns die Sonne“, kreischt Miriam Bornhauser, die Gattin des Gemeindepräsidenten und Botschafterin von HappyVille. Ronja Borer spielt die perfekt gestylte Blondine, die die Strippen in der Hand hält. Neben ihrem Mann Klaus Bornhauser (Benjamin Fröhlich) ist ihr auch Bauunternehmer Roger Studer (Chasper Mani) erlegen, der sich gemeinsam mit dem Gemeindepräsidentenpaar an HappyVille bereichtert.
Die fröhliche Feier wird bald gestört durch einen aus dem Altersheim geflohenen Mann am Rollator. In seinem Radio hört er das Lied Schacher Seppeli, was in ihm alte, düstere Erinnerungen wach ruft.
David Lang komponierte das Musical für sechs Solist:innen, einen Laienchor und Band. Im Laienchor singt im Übrigen ein echtes Gemeindeoberhaupt: Anita Dähler-Engel, Gemeindepräsidentin von Mammern.
Auch wenn das Musical unterhaltsam und leicht zugänglich ist, beschäftigt es sich mit einem schweren Thema. Dort, wo heute HappyVille steht, stand einst der Hof von Jean Traber. Edward Piccin verkörpert den einstigen Vorzeigebauern, der heute am Rollator das Fest stört. Und das hat seinen guten Grund.
Solist muss ins Abseits
Das Lied vom Schacher Seppeli versetzt ihn in seine Vergangenheit. Das Volkslied von Otto Wolf war einst die Hymne der Gemeinde und als Mitglied des Gemischtenchors Frohwilen sang der Bauer Jean Traber früher das Solo: „I bi dr Schacher Seppeli, im ganze Land bekannt. Be früehner s flöttischt Bürschtli gsi. Jetzt bin i e Vagant“.
Früher bewirtschaftete Traber einen Bio-Bauernhof. Gesund und glücklich waren seine Tiere. In einem Rap klagt er aber eines Tages der Kioskverkäuferin Angelika Sober (Nina Amon) sein Leid: „Meine kranken Kühe brechen mir das Herz. Ich weiss nicht, was ist, nur dass überhaupt nichts gut ist.“ Angelika vermutet, dass die neugebaute Müllverbrennungsanlage Schuld sein könnte an seinem Unglück. Das Oxymoron „schwarzer Schnee“ wird Synonym für die Bedrohung.
Aargauer Bauer musste dem Müll weichen
David Lang bezieht sich in seinem Stück auf einen wahren Fall, der sich auf das Schicksal eines Bio-Bauerns im Aargau in den 70er Jahren bezieht. Sein Grund wurde nach dem Bau einer KVA vergiftet, seine Tiere erkrankten und er verlor seine Existenz. Die Behörden vertuschte den Misstand, verdiente die Gemeinde doch an der Müllverbrennung.
Regisseurin Barbara Tacchini reizte an dem Stoff, „das fragile Gleichgewicht einer Gesellschaft, welche mit allen Fransen an Sicherheit, Liebe und Geborgenheit festhält.“ Wahrheiten würden zubetoniert.
Im Stück arbeitet sie mit Rückblenden, die durch geschickte Kostümabwandlungen und Requisite glaubhaft gelingen. Laura Traber, die von der Berner Musical-Darstellerin Marisa Jüni gespielt wird, wechselt zwischen Kindheit und Heute mit einfachen Mitteln, wie Tütü und Mütze. Durch den frühen Tod der Mutter wächst Laura mit ihrem Vater Jean alleine auf dem Hof auf und verlässt Frohwilen nach dem Skandal.
Rückkehr mit Rache
Sie kehrt zum Jubiläum zurück und arbeitet mit Hilfe von Angelika und später selbst Miriam Bornhauser, die Zweifel an der Richtigkeit von HappyVille hegt, die Vergangenheit auf, um ihrem Vater eine späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Die Spannung zwischen der leichten Komödie mit Dreiecksbeziehungen zwischen Miriam und Karl Bornhausers sowie Roger Studer und schliesslich auch zwischen Laura, Jean und Angelika geben der blinkenden Oberflächlichkeit, die die Freizeitpark-Kulisse suggeriert, menschliche Tiefe.
Dass David Lang sich auf einen wahren Umweltskandal bezieht, verleiht dem Stück eine traurige Aktualität, die uns zu unserem Verhältnis im Umgang mit Natur und Ressourcen hinterfragen lässt. Diese Ambivalenz findet sich im titelgebenden Schlager „Schacher Sepp“ wieder, der so fröhlich wirkt und gleichzeitig, bei genauem Hinhören, ein tragisches Schicksal verhandelt.
Mit seiner Band bestehend aus Tabea Kämpf (Bratsche), Jean-Pierre Dix (Bass), Martin Deufel (Perkussion) und Felix Meisterhans (Saxophon, Klarinette) führt David Lang als musikalischer Leiter mit Hip-Hop, Chanson, Cha-Cha-Cha, Jodel aber auch Pop und Rock durchs Musical.
Das Zusammenspiel aus Laien und Profis mündet in einen unterhaltsamen Abend, an dem sich Leichtigkeit und Schwere die Hand geben.
„Schacher Sepp“ ist noch bis zum 18. Juni in Mammern zu sehen.
Von Judith Schuck
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