von Inka Grabowsky, 21.02.2022
Wie der Handel die Bodenseeregion verband
In der neuen Sonderausstellung «Mittelalter am Bodensee – Wirtschaftsraum zwischen Alpen und Rheinfall» im Museum für Archäologie in Frauenfeld lernt man, wie sehr unser heutiges Wirtschaftsleben auf Entwicklungen vor 1000 Jahren fusst. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
„Der Wohlstand der Region rund um den Bodensee basierte auf dem Handel mit Rohstoffen“, erklärt Urs Leuzinger, der Konservator des Museums für Archäologie. „Aus Schaffhausen kam Eisenerz, der Rorschacher Sandstein musste zur Baustelle des Münsters in Konstanz, Graubünden lieferte Speckstein oder Marmor, und weil man sich am See auf den Anbau von Flachs für die Leinenweberei konzentrierte, musste man aus Schwaben Getreide importieren.“
Der Bodensee war der Verkehrsweg, der alle Handeltreibenden verband. Er ermöglichte halbwegs bequeme Kontakte von den Bündner Alpenpässen bis zum Rheinfall. „In unserer Ausstellung findet man viele Bezüge zwischen damals und heute“, sagt Leuzinger.
Neben der Idee der Arbeitsteilung begann sich im Mittelalter auch die Erkenntnis durchzusetzen, dass unterbrochene Lieferketten wegen regionaler Streitigkeiten wirklich unangenehm sind. Also schloss man Bündnisse, damit die Wirtschaft störungsfrei laufen konnte.
Ein Pergament mit 18 Siegeln
Der Riedlinger Vertrag von 1423 ist – auch im wörtlichen Sinn – zentral für die Ausstellung. „Er ist kaum jemals öffentlich gezeigt worden“, so der Museumsleiter. Er ist stolz darauf, das Pergament mit 18 Siegeln ans Licht der Öffentlichkeit gebracht zu haben. „Das Generallandesarchiv von Baden-Württemberg in Karlsruhe, wo der Vertrag aufbewahrt wird, musste ihn extra für unseren Katalog erstmals in Farbe fotografieren. Vorher gab es nur ein altes Schwarzweiss-Bild.“
Dabei ist das Stück viel zu wichtig, um in Vergessenheit zu geraten. Im Vertrag verabreden die Städte am Bodensee, neun innerschwäbische Städte sowie die Grafschaft Württemberg gemeinsam Heller, Pfennige und Schillinge zu prägen. „Das Dokument über die EU-Aussengrenze zu uns zu holen, war allerdings wahrscheinlich ähnlich aufwendig wie vor 600 Jahren die Siegel aller beteiligten Städte zusammenzubekommen“, grinst Urs Leuzinger. „Die Kosten für Aus- und ein Einfuhrbescheinigungen sind beträchtlich.“
Silberpfennige als Vorläufer des Euro
Wen man miteinander handelt, erleichtert eine gemeinsame Währung das Leben ungemein. Mitte des zwölften Jahrhunderts setzten sich die sogenannten „Konstanzer Pfennige“ durch, die schliesslich an vielen Orten geprägt wurden – immer in der gleichen Grösse und mit dem gleichen Silbergehalt. „Das war quasi ein Vorläufer des Euro“, so Leunziger, „wie heute bei den Euro-Münzen prägte jeder sein eigenes Symbol ein: die Lindauer etwa ein Linde und die Konstanzer einen Bischof.“
Erzählen kann man diese Geschichte anhand des Schatzfundes von Eschikofen (TG), der 1911 zutage kam. Andere Kapitel des Themas „Wirtschaft im Mittelalter“ sind nicht so leicht zu illustrieren. „Uns fehlen schlicht die Funde“, so der Thurgauer Archäologe. Deshalb freut er sich über die überregionale Zusammenarbeit.
„Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung ist das Handwerk.“
Urs Leuzinger, Kurator am Museum für Archäologie (Bild: Inka Grabowsky)
„Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung ist das Handwerk. Wir wissen aus Buchillustrationen, wie etwa Schuster oder Drechsler gearbeitet haben. Die Kollegen in Konstanz haben nun in alten Latrinenschächten Abfälle gefunden, die sich in der feuchten Umgebung unter Sauerstoffabschluss erhalten haben. Deshalb können wir jetzt beispielsweise alle Fertigungsschritte eines Würfels belegen.“ Rinderknochen, aus denen die Spielzeuge geschliffen wurden, wären normalerweise im Laufe der Jahrhunderte längst zerfallen, ebenso wie Lederreste aus der Schuhherstellung oder das für den Bodenseeraum so massgebliche Leinengewebe.
Zwei Textilfetzen aus einer Latrine in der Konstanzer Augustinergasse in der kleinsten Vitrine der Ausstellung stehen als „pars pro toto“ für die Grundlage der florierenden Wirtschaft des Bodenseeraums im Mittelalter. Sie sind rund 800 Jahre alt – und einzigartig.
„Das Leinengewebe war wegen seiner hohen Qualität sehr begehrt“, so Urs Leuzinger. „Es wurde bis nach Südeuropa exportiert – und im Gegenzug konnte man kostbare Gewürze wie Safran oder Pfeffer und das notwendige Salz importieren.“
Ausstellungsmacher heute kooperieren wie Handeltreibende damals
Eine Ausstellung, wie sie jetzt in Frauenfeld zu sehen ist, kann niemand alleine organisieren. „Es gibt eine bewährte Zusammenarbeit unter den archäologischen Museen im Bodenseeraum“, erzählt der Konservator.
„Diesmal kam die Idee für die gemeinsame Ausstellung vom Kantonsarchäologen Martin Schindler aus St. Gallen. Ich habe dann eine Rundmail an alle Kollegen geschickt - diesmal auch an die Fachleute aus Graubünden und Schaffhausen - und nach einem Treffen in Konstanz waren wir uns einig. Jeder hat überlegt, welche Ausstellungsstücke er zu welchem Thema beisteuern kann – und auf welche Stücke er für die drei Jahre, die die Ausstellung von einem Partner zum nächsten unterwegs ist, verzichten kann.“
Ausstellung ist bis zum 6. Juni in Frauenfeld zu sehen
Noch bis zum 6. Juni kann man die gesammelten Zeitzeugnisse aus Deutschland, Österreich Liechtenstein und der Schweiz im Museum für Archäologie in Frauenfeld bewundern. Danach ziehen sie nach Konstanz weiter.
Ab Januar 2023 folgen Stationen in Bregenz, Chur, Vaduz und Schaffhausen, dort allerdings jeweils ohne den Riedlinger Vertrag, der zurück nach Karlsruhe muss, gegebenenfalls aber mit einem Escaperoom, für den in Frauenfeld kein Platz war.
Zur Sonderausstellung ist ein umfangreicher Katalog entstanden, den man für 24 Franken im Museumsshop bekommt.
Von Inka Grabowsky
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