von Barbara Brauckmann, 10.10.2024
Gab es die Päpstin wirklich?
Facetten des Mittelalters (4): Nicht alles, was in alten Chroniken steht, stimmt. Aber manchmal macht man dort ganz erstaunliche Entdeckungen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Einen Höhepunkt in der Buchillustration an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit stellt die Schedelsche Weltchronik dar. Der Nürnberger Stadtarzt und Humanist Hartmann Schedel (1440–1514) publizierte im Jahr 1493 eine lateinische vor allem für Gelehrte und die Klostergeistliche, sowie eine deutsche Ausgabe für die lesende Bevölkerungsschicht, die diese Sprache nicht beherrschten. Inhaltlich lässt sich die Schedelschen Weltchronik in sieben Zeitalter gliedern, von der Erschaffung der Welt bis hin in die Gegenwart des Chronisten.
«Das voluminöse Buch mit mehr als 600 Seiten und viel Text ist mit zahlreichen meist kolorierten Holzschnitten ausgestattet und zeigt Landkarten, Stadtansichten, Porträts und Stammbäume, Wappen, Wunder und Sagengestalten. Die zwei Exemplare der «Liber chronicarum» oder «Weltchronik» im Besitz der Kantonsbibliothek Thurgau sind im Jahr 1493 erschienen und entsprechen somit auch den Erstdrucken in lateinischer Sprache», erklärt die stellvertretende Leiterin Historische Bestände und Sammlungen Laura Glöckler.
Neben vielen wissenswerten Hinweisen findet sich auf der Seite 169 aber auch ein Kapitel mit einem Frauenporträt im päpstlichen Gewand und mit Tiara auf dem Kopf. Diese «Johannes Septimus» oder «Johannes Anglicus» genannte und zwischen die Zeiten von Leo IV. (847–855) und Benedikt III. (855–858) «hinein» platzierte Päpstin hält sogar ihr Kind im Arm.
Schon im Papstbuch ist keine Johanna aufgeführt
«Angeblich wurde eine gelehrte und Männerkleidung tragende Lehrerin oder Notarin in Rom zum Papst erhoben. Während einer Prozession vom Petersdom zum Lateran soll sie ein Kind auf die Welt gebracht und die Geburt nicht überlebt haben. Eine vage Möglichkeit für diese Päpstin hätte es gegeben; denn der katholische Klerus gestattete im 9. Jahrhundert noch eine Eheschliessung und die Frau hätte nach dem Tod ihres Mannes dessen Position einnehmen können. Erst das Konzil von Trient verfügte 1545 darüber, dass der katholische Klerus nicht mehr heiraten durfte und machte das Pontifikat der Päpstin zunehmend zum konfessionellen Streitthema. Aber eigentlich fehlte schon im «Liber Pontificalis» mit 108 Päpsten von 50–1431 die entsprechende Biographie. So wurden in vielen Ausgaben der Schedelschen Weltchronik Textpassagen und auch Abbildungen von Johanna überklebt, übermalt oder überschrieben», ergänzt Glöckler.
Die in Frauenfeld gelagerten 643 Inkunabeln (Druck mit beweglichen Lettern vor 1500) und etwa 600 Postinkunabeln (Druck zwischen 1500 und 1520) stammen grösstenteils aus den im 19. Jahrhundert aufgelösten Klosterbibliotheken von Ittingen, Fischingen, Kreuzlingen und St. Katharinental sowie von Thurgauer Bürgerinnen und Bürgern.
Besonders gerne von Mönchen ausgeliehen: Kräuterbücher und Destillationsanweisungen
Aus der Ittinger Bibliothek stammen aber nicht nur die zwei Exemplare der lateinischsprachigen Schedelschen Weltchronik und viele Schriften mit liturgischem Inhalt. Die Ordensbrüder beschäftigten sich offensichtlich auch gern mit Medizin und Naturkunde, denn unter den dort gesammelten Werken sind zahlreiche Kräuterbücher vertreten.
Zwei Kräuterbücher von 1487 und 1491 (X 405 und X 406) unter dem Titel «Hortus sanitatis» wurden intensiv studiert. Die Werke enthalten Beschreibungen von meist einfachen Heilmitteln zur Therapie verschiedener Krankheitsbilder. Aufgeführt werden ausser Kräutern auch Landtiere, Vögel und andere flugfähige Tiere einschliesslich Einhörnern sowie Fische samt eher mystischen Meeresbewohnern.
Der Teil «De Lapidibus» umfasst allein 144 Kapitel über Halbedelsteine, Erze und Mineralien. Das erste Kapitel ist den Menschen gewidmet, die abgebildet auf Holzschnitten verschiedene Berufe ausüben und beispielsweise Wein, Käse oder Brot zubereiten oder anderen Tätigkeiten des Alltags (auch dem Entlausen!) nachgehen. Den Abschluss bildet eine Abhandlung über die Harnschau als damalig übliches Diagnosemittel.
«Gute Künste, zu behalten den gesunden leib und zu vertreiben die Kranckeit …»
Ein anderes, vermutlich wegen der prekären Gesundheitsversorgung der Ittinger Mönche viel gelesenes Buch stammt von dem Wundarzt Hieronymus Brunschwig (1450–1513). Dieser stellte medizinische Texte zur Chirurgie, Pest, für die «armen Patienten» und vor allem zur Destillation zusammen. Das «Kleine» und «Grosse Destillierbuch» (Liber de arte distillandi Simplicia et Composita. Das nüv buch d[er] rechte[n] kunst zu distilliere[n]): fanden grosse Verbreitung bei Apothekern und sicher auch beim Infirmarius des Klosters.
Im ersten Buchteil behandelt Brunschwig den Zweck der Destillation, die verschiedenen Techniken, die dafür benötigten Gerätschaften und Vorrichtungen. Destilliermethoden «ohn kosten» laufen demnach durch ein Filter mit Schafswollfilzen ab oder in der Sonne, im Brotteig, im Rossmist und im Ameisenhaufen. Die Destilliermethoden «mit kosten» erfolgen im Marienbad, Pferdebauch, in der Asche, im Sand oder für den höchsten Hitzegrad im Feuer.
Ganz schön dreist: Harnschau mit Spötteleien
Für die Mönche in Ittingen galt die Bibliothek als wichtiges Instrument zur Erfüllung des Kartäuserideals, weil das Buch eine Art innerer Gesprächspartner darstellte. So wurden sie aus der Bibliothek zur Herstellung von Abschriften entliehen, gegen andere Exemplare eingetauscht oder manchmal auch verschenkt.
Ausser den Gebetbüchern durften die Mönche üblicherweise nur noch zwei Bücher gleichzeitig ausleihen und sollten die Werke sorgfältig behandeln. Trotzdem konnten es sich einige von ihnen wohl nicht verkneifen, comicartige Kommentare neben die Holzschnitte der alten Gesundheitsbücher zu kritzeln.
Da konstatiert beispielsweise der im Kapitel über die Harnschau abgebildete Arzt: «Dieser Harn ist zimlich guott», worauf die skizzierte Patientin entgegnet: «So hab ich noch ein guthen muott.». Ein anderes Zwiegespräch findet in Gegenwart eines Mönches statt. Arzt: «Pfui, das ist ein wüester Harn». Frau: «was hat mein man für ein kranckheit?» Mönch: «Er ist wassersüchtig». Frau: «drinckt er doch lieber wein. last in sterben, so nimb ich einen iungern.»
Zu den medizinischen Schriften und den handschriftlichen Randbemerkungen der Mönche hat übrigens die damalige Konservatorin des Historischen Museums Thurgau, Dr. Margrith Früh ein kleines Werk «Medizinisches aus der Ittinger Klosterbibliothek» verfasst.
In der Serie «Facetten des Mittelalters» wollen wir euch bis zum Jahresende etwa einmal im Monat einen Artikel über wichtige Meilensteine des Mittelalters mit Bezug zur Gegenwart anbieten. Die Texte sollen unterhaltsam sein und Wissenswertes über Klostermedizin, Gärten, Buchwerke, Rechtsprechung, Zünfte, Wein und Rezepturen vermitteln. Dabei machen wir an ganz verschiedenen Orten rund um den Bodensee und in der Ostschweiz Station. Alle Texte der Serie bündeln wir im zugehörigen Dossier.
Weitere Beiträge von Barbara Brauckmann
- Vom Fräuli und dem Leuli (01.10.2024)
- Die Tricks der Mönche (25.09.2024)
- Die Kraft der Kräuter (29.07.2024)
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Ist Teil dieser Dossiers
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