von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 12.02.2024
Enttäuschte Erwartungen
Schluss nach nur einem Jahr: Ulrich Vogt tritt als Kurator des Kunstraum Kreuzlingen zurück. Das liegt auch an den Strukturen des Kunstortes. Reto Müller macht nun erstmal alleine weiter. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
„Wir wollen den Kunstraum weiterführen mit Gelassenheit“, hatte Ulrich Vogt noch Anfang 2023 gesagt. Da hatte er gerade gemeinsam mit dem Künstler Reto Müller die kuratorische Leitung des Kreuzlinger Kunstraums übernommen. Jetzt, knapp 12 Monate später, ist es mit der Gelassenheit vorbei. Ulrich Vogt hat genug vom Kunstraum, er hat per Ende April 2024 gekündigt. Die Gründe dafür seien vielfältig, sagt Vogt im Gespräch mit thurgaukultur.ch, aber besonders gewichtig war wohl ein Grund: „Es war die Erkenntnis, dass der Betrieb organisch gewachsen ist und daher strukturell kaum existiert“, sagt der scheidende Kurator.
So gebe es weder nachvollziehbare Abläufe, noch ein klares Archiv, zu viele Dinge seien nicht ordentlich geregelt. Das müsste alles erst aufgebaut werden. „Und da habe ich mich dann gefragt, ob ich diese strukturelle Arbeit wirklich machen will“, sagt Vogt. Er habe das für sich verneint, weil er sich künftig lieber „auf Inhalte, Forschung und Vermittlung“ konzentrieren wolle.
„Für den Neuaufbau der Institution bin ich vielleicht auch nicht der Richtige“, so Vogt. Bei Amtsantritt sei er davon ausgegangen, dass die geschäftlichen Dinge geregelt seien. Die Unstrukturiertheit des aktuellen Kunstraum-Betriebs liegt auch an der jahrzehntelangen Alleinverantwortung von Richard Tisserand. Er hatte viele Dinge vor allem mit sich ausgemacht, viel improvisiert und offenbar eher wenig dokumentiert.
„Mein Eindruck war, dass die Verantwortlichen bei der Kunstgesellschaft unsere Dringlichkeit und die Not zur Veränderung nicht sehen.“
Ulrich Vogt, Co-Kurator Kunstraum Kreuzlingen
Dass sich daran etwas ändern müsse, habe er mit dem Co-Leiter Reto Müller auch gegenüber der Thurgauischen Kunstgesellschaft, sie verantwortet den Kunstraum, immer wieder betont. „Mein Eindruck war, dass sie unsere Dringlichkeit und die Not zur Veränderung nicht sehen“, sagt Ulrich Vogt. Vielleicht habe dies aber auch daran gelegen, dass er seine Anliegen nicht verständlich genug vermittelt habe: „Es ist uns jedenfalls nicht gelungen, diese Bedürfnisse so zu kommunizieren, dass sie ernst genommen werden“, sagt Vogt.
An der Zusammenarbeit mit Reto Müller habe sein Rückzug jetzt jedenfalls nicht gelegen. „Wir haben gut zusammen gearbeitet, ich habe den Austausch als sehr fruchtbar empfunden“, sagt Vogt. „Inhaltlich haben wir hier manches - auf die gute Art - durcheinander gebracht. Die Kooperation mit der Universität Konstanz zum Beispiel hat unser Publikum massiv verjüngt.“
Wenn alte Traditionen neue Ideen erschweren
Trotzdem seien die strukturellen Herausforderungen zu gross gewesen, um weiter zu machen. Auch weil es innerhalb des Betriebs „viele Traditionen und Verbindungen gibt, die Veränderungen oder die Umsetzung neuer Ideen nicht immer leicht machen“, erklärt der scheidende Kurator. Eine neue Aufgabe hat er noch nicht, er wolle sich nun erstmal neu orientieren, sagte er.
Bei der Thurgauischen Kunstgesellschaft bedauert man den Abschied von Ulrich Vogt: „Die beiden Kuratoren haben gemeinsam tolle Arbeit geleistet für den Kunstraum. Es sind spannende Projekte und Programme mit neuen Denkansätzen entstanden“, sagt Cornelia Zecchinel, Präsidentin der Kunstgesellschaft, im Gespräch mit thurgaukultur.ch.
Die von Vogt genannten organisatorischen Mängel verhehlt sie nicht: „Wir stellen uns dieser Herausforderung und gehen diese strukturellen Probleme an. Wir als Verein stützen unsere Kuratoren bei dieser Aufgabe und helfen weiter, wann immer es geht.“ Insgesamt sieht sie Kunstgesellschaft und Kunstraum auf einem guten Weg. Die Entscheidung von Ulrich Vogt, jetzt zurückzutreten, könne sie dennoch nachvollziehen. „Aber ich hoffe, dass sich in Zukunft unsere Wege bei einzelnen Projekten wieder kreuzen.“
Reto Müller will keine One-Man-Show
Aus der kuratorischen Doppelspitze im Kunstraum wird nun wieder eine einzige Spitze: Reto Müller übernimmt das Pensum von Ulrich Vogt und ist ab Mai alleiniger Kurator. „Ich finde die Entscheidung von Ueli sehr schade, wir hatten eine gute Zeit miteinander, haben eine gute Grundlage für die Neuausrichtung des Kunstraum gelegt und haben viel voneinander gelernt. Aber ich kann seinen Schritt auch verstehen“, sagt Reto Müller gegenüber thurgaukultur.ch
Selbst zurückzutreten sei für ihn aber nicht in Frage gekommen. „Der Ort liegt mir am Herzen, die Aufgabe ist interessant und perspektivisch wird das hier keine One-Man-Show werden. Meine Vision ist eher, den Kunstraum gemeinsam mit einem Team zu leiten“, sagt Müller.
Die Chance auf eine Neuerfindung
In den nächsten Monaten soll nun ein neues Betriebskonzept für den Kunstraum entwickelt werden. „Ich sehe das auch als Chance, den Betrieb neu zu erfinden. Ein Stück weit ist es ja auch das, was Richard Tisserand immer wollte: Dass eine neue Leitung auch die Chance hat, Dinge neu zu erfinden im Kunstraum.“ Programmatisch werde sich aber nicht viel ändern. Das, was sich Ulrich Vogt und er zusammen vorgenommen haben, soll Bestand haben: Der Kunstraum soll Plattform für viele verschiedene künstlerische Ansätze bleiben.
Die von Ulrich Vogt benannten strukturellen Probleme der Einrichtung sieht Reto Müller auch: „Da wartet schon ein Berg an Arbeit auf uns. Aber ich fühle mich in der Lage das zu meistern.“ Mit der Einrichtung der Geschäftsstelle und der Einstellung von bezahlten Kuratoren habe sich die Thurgauische Kunstgesellschaft auf den Professionalisierungsweg begeben. „Dieser Weg braucht Energie und Zeit. Ich will meinen Teil dazu beitragen, damit er erfolgreich wird“, sagt Müller.
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