von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 23.09.2024
Ende gut, alles gut?
Es gibt endlich eine sichere Zukunft für ein Kulturzentrum in Kreuzlingen. Warum das ein Erfolg für die ganze Region ist und trotzdem viele Fragen bleiben. Ein Kommentar. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Keine Frage: Für Kreuzlingen und die umliegende Region war dieser Abstimmungssonntag ein guter Tag. Fast zwei Drittel der Menschen, die ihre Stimme abgegeben haben, sagten „Ja“ zum dauerhaften Betrieb eines Kulturzentrums in ihrer Stadt. Das ist nicht selbstverständlich in unsicheren Zeiten wie diesen. Es zeigt aber, dass eine Mehrheit der Kreuzlinger:innen einen Bedarf sehen für einen solchen Kulturort. Einen Ort, der nicht nur Kulturschaffenden verschiedenster Sparten eine Bühne bietet, sondern ganz grundlegend Menschen zusammenbringt und Begegnungen ermöglicht.
Mit diesem Votum hat das Volk den Weg dafür frei gemacht, dass die mehr als 16 Jahre alte Vision eines Kulturzentrums für Kreuzlingen nach unzähligen Probephasen tatsächlich dauerhaft realisiert werden kann. Ganz offensichtlich hat die Vision eines Mehrspartenhauses, das Kultur in einem sehr breiten Sinn versteht, überzeugt. Das ist nicht nur eine gute Nachricht für alle, die ein Faible für Poetry Slam, Kino, Theater, Tanz und Musik haben, sondern tatsächlich für die gesamte Stadt und ihr Umfeld. Weil es die Attraktivität und die Lebensqualität der Region erhöht.
Zweifel und Zerwürfnisse
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Zweifel an der Idee. Manche fragten, ob ein Kulturzentrum das sei, was Kreuzlingen jetzt wirklich brauche. Andere fanden, dass man das Projekt ganz anders hätte aufziehen müssen. Tatsächlich sah es zwischendurch so aus, als würde das Vorhaben an der eigenen Struktur und den internen Problemen und Zerwürfnissen scheitern. Es ging hin und her, auf und ab in den vergangenen 16 Jahren. Einem Schritt nach vorne folgten oft zwei zurück. Die Haltung der gesamten Stadt zum Kulturzentrum war lange ambivalent.
Das zeigt sich auch anhand einiger Protagonist:innen der vergangenen Jahre. Dorena Raggenbass zum Beispiel. Die langjährige Stadträtin für Kultur hat das Kulturzentrum massgeblich forciert und immer an die Idee geglaubt. Einerseits. Andererseits hat sie mit ihrer manchmal zögerlichen Art und vagen Zusagen auch für Irritationen und das quälende „Stop-and-go“ des Projektes gesorgt.
Oder Christine Forster und Stephan Militz. Sie haben das Kult-X in der Zeit ihrer Geschäftsführung massiv vorangebracht. Mit Fleiss, Einsatzwillen und Kreativität haben sie vielen Kreuzlinger:innen die Bedeutung und den Bedarf eines Kulturzentrums erstmals vor Augen geführt. Einerseits. Andererseits haben sie mit ihrem Macher:innen-Instinkt auch manche Menschen überfordert. So sehr, dass der Verein beinahe implodiert wäre.
Mit ruhiger Hand in die Zukunft
Seit zwei Jahren leitet nun Noemi Signer das Kulturzentrum. Gemeinsam mit dem neuen Vorstand ist es ihr gelungen, das Projekt in ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Dass dieser Abstimmungskampf so erfolgreich wie geräuschlos verlief, darf sie sich als Verdienst anrechnen.
Die grosse Frage ist - wie geht es jetzt weiter? Die Sanierung wird kein hochglänzendes Prestigeprojekt hervorbringen. Das Kulturzentrum auf dem Schiesserareal wird ein funktionales Gebäude bleiben, das versucht, den verschiedenen Nutzergruppen gerecht zu werden. Idealerweise entsteht am Ende ein vielfältiges Programm, das ganz verschiedene Besucherinteressen anspricht. Mit dem Theatercafé, dem schönen Garten und den Möglichkeiten zum Coworking bietet sich darüber hinaus die Chance, auf einen echten Begegnungsort auch jenseits des Veranstaltungsbetriebs zu werden.
Es bleiben viele Fragen
Auf dem Weg dahin stellen sich allerdings weitere Fragen: Haben die beteiligten Vereine genug Energie das Kulturzentrum aus sich heraus zu bespielen oder braucht es weitere Veranstalter? Ist die auf das notwendigste reduzierte Sanierung nicht doch zu kurz gedacht gewesen? Wie funktionsfähig und arbeitstauglich ist die Struktur von vielen Mitgliedervereinen in einem Trägerverein auf Dauer wirklich? Und ergänzen oder konkurrenzieren sich die verschiedenen, in den vergangenen Jahren entstandenen Veranstaltungsorte - vom Apollo über das Trösch zum Dreispitz und dem Schiesser-Kulturzentrum - in Kreuzlingen?
Es ist am Ende wie immer in der Kultur: Alles ist work-in-progress, alles ist im Fluss, besser geht immer, fertig ist es eigentlich nie. Wenn alle Beteiligten lernen mit diesem Zustand zu leben, dann kann das Kulturzentrum für Kreuzlingen zu einem Erfolgsmodell werden.
Mehr zum Thema im Dossier
Seit mindestens 2008 plant die Stadt Kreuzlingen ein Kulturzentrum. In diesen Jahren sind viele Texte rund um das Projekt entstanden. Sie sind gebündelt in unserem Themendossier Kulturzentrum Kreuzlingen.
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