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von Inka Grabowsky, 24.06.2021

Einmal Unterwelt und zurück

Einmal Unterwelt und zurück
Gemeinsame Probearbeit: Die Perkussionistin Carolibe Chevat, der Flötist Martin Stadler und die Tänzerin Claudia Heinle. | © zVg

Barockmusik trifft altägyptische Rhythmen: Mit der Tanz- und Musik-Performance „Passion“ vereinen Claudia Heinle, Caroline Chevat und Martin Stadler scheinbar Unvereinbares. Ende Juni ist Premiere in der Konstanzer Dreifaltigkeitskirche. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Alles begann mit dem Ende des Kulturlebens in der ersten Coronawelle. Der Thurgauer Flötist Martin Stadler stellte sich kurzerhand auf den Konstanzer Münsterplatz in der Nähe seiner Wohnung und gab Freiluft-Konzerte.  „Ich habe ihn angesprochen, und wir beschlossen zusammenzuarbeiten“, erzählt die Tänzerin und Choreografin Claudia Heinle.

Sie ist spezialisiert auf altägyptischen Tanz. Gemeinsam mit der Perkussionistin Caroline Chevat vermittelt sie das Erbe der orientalischen Welt. Nun soll das kombiniert werden mit barocker Flötenmusik. „Beim ersten Treffen hat Martin Stadler gleich mit Caroline an der Trommel improvisiert. Schon damals entstand die Idee, gemeinsam das Thema ‚Passion‘ zu verfolgen.“

„Freude und Leid, Lachen und Weinen sind überall verständlich.“

Claudia Heinle über die Internationalität von Gefühlen

Der Gedanke liegt eigentlich nahe. In der christlichen Welt ist der Opfertod Jesu und die Wiederauferstehung zentral. Doch auch das alte Ägypten kennt das Motiv. Dem Mythos nach wird Osiris von seinem Bruder Seth getötet, aber von seiner Frau und Schwester Isis wieder zum Leben erweckt. Er herrscht über das Reich der Toten.

„Das alte Ägypten ist eine Inspirationsquelle für uns. Doch die Tempel dort und die Kirchen hier haben in der Symbolsprache ihrer Architektur viel gemein“, so Heinle. „Wir schlagen nun musikalisch eine Brücke. Vielleicht ist das für uns Menschen eine Chance, uns auf Gemeinsamkeiten und nicht auf Trennendes zu besinnen.“ Der Tod spiele für jeden überall in der Welt eine grosse Rolle.

Probenarbeit bedeutet manchmal auch Schreibarbeit: Die Tänzerin Claudia Heinle arbeitet an dem Projekt «Passion». Bild: zVg

Ein Ziel des Projektes: Die Passionsgeschichte anders erzählen

Die Tänzerin bedient sich der Körpersprache sowohl des Orients als auch des Okzidents. „Die Wurzel ist in beiden Kulturen die gleiche, nur die Ästhetik ist anders. Universell verständlich sind die Gesten der Trauer und des Leides. Der Tanz kann das zusammenführen. Freude und Leid, Lachen und Weinen sind überall verständlich.“ 

Innerhalb einer Stunde wollen die drei Künstler die christliche Passionsgeschichte in sieben Szenen darstellen. „Zunächst werden wir den Kirchenraum erfahrbar machen. Wir ziehen ein zu Schlägen auf der Rahmentrommel - dem Daff. Dann stelle ich durch Körperposen das Leid Jesu bei der Kreuzigung dar. Es ist schon auffallend, dass seine Haltung mit den ausgebreiteten Armen an die eines Sufitänzers erinnert.“ Die Ästhetisierung des Leidens sei aber ein heikler Moment.

Anschliessend wechselt Heinle die Perspektive und personifiziert das Leid von Maria und Maria Magdalena. Danach geht es um das Trauerritual der Nachtwache über dem Leib. „Für die Auferstehung musste man in Ägypten ja zum Beispiel den Körper einbalsamieren. Wir zeigen den Weg in die Unterwelt, ins Reich der Toten, und den Aufstieg aus der Dunkelheit wieder ins Licht.“

Der Thurgauer Flötist Martin Stadler bei den Proben zu «Passion». Bild: zVg

Die Kirche erweist sich als idealer Aufführungsort

Um die Geschichte passend zu inszenieren, wird die gesamte Dreifaltigkeitskirche bespielt. „Wir haben uns die Erlaubnis geholt, vieles umzustellen. Es wird verschiedenen Schauplätze für die Performance geben, deshalb müssen die Stühle aus der Mitte des Kirchenschiffs verschwinden. Ausserdem werden wir den Chorraum und die Säulen mit einbeziehen.“

Höchstens achtzig Menschen passen auf diese Weise in die Kirche. „Wenn mehr kommen sollten, dann machen wir eben noch eine dritte Vorstellung.“ Da keine Eintrittskarten verkauft werden – die Künstler bitten um eine freiwillige Spende, ist unmöglich vorauszusehen, wie viele Zuschauer sich für die Performance interessieren.

Begeistert ist Heinle von der Akustik im mittelalterlichen Gebäude. Verstärker oder Lautsprecher seien überflüssig. Die moderne Technik, die für unterschiedliche Lichtstimmungen sorgt, sei gut und der Messmer überaus hilfsbereit. Vor allem aber ist eine Kirche genau der richtige Ort, um dem Thema „Passion“ gerecht zu werden.

„Ich darf an einem Ort tanzen, in dem über Jahrhundert der weibliche Körper quasi ausgeklammert war.“

Claudia Heinle, Tänzerin (Bild: Inka Grabowsky)

Claudia Heinle freut sich, dass das katholische Dekanat Konstanz dem Projekt offen gegenüberstand. Ägyptischen Tanz in einer ehemaligen Klosterkirche der Augustiner-Eremiten aus dem 13. Jahrhundert zu zeigen, ist schliesslich etwas ungewöhnlich. „Ich darf an einem Ort tanzen, in dem über Jahrhundert der weibliche Körper quasi ausgeklammert war.“

Bachs Musik als Keimzelle der Idee

Startpunkt für die musikalische Arbeit an der Performance war Bachs Ciaccona aus der Partita Nr. 2 d-Moll für Violine, die Martin Stadler für seine Flöte transponiert hat. „Es war eine Herausforderung, das Werk eines universalen Komponisten, das er für Geige geschrieben hatte, für die Flöte anzupassen. Aber ich merkte, dass das Instrument eigentlich zweitrangig ist. Wichtiger war die Schaffensfreude, die das Werk inspiriert.“

Die Musik faszinierte auch Caroline und Claudia, die in der Schlussszene der Performance Rhythmus und Bewegung dazu ergänzen. „Die Kombination mit Tanz und Daff bringt eine Neuerung“, erzählt der Flötist. „Es entsteht ein gewaltiges Konzentrat. Wir haben bei den Proben die Erfahrung gemacht, dass etwas ins Spiel kommt, was man nicht genau fassen kann. Die Bewegung und der Rhythmus eröffnen Horizonte. Es gibt ein mystisches Erleben, das beflügelt. Er eröffnet Türen, von denen man nicht weiss, was sich dahinter verbirgt.“

Die Performance will also mehr sein als ein Barockkonzert mit Tanz. Neben Bach improvisiert Stadler auch zu Werken von Vivaldi und Stücken eines zeitgenössischen norwegischen Komponisten.  

So sieht der Plan der Choreografie Passion aus. Bild: Inka Grabowsky

Die Proben fanden lange vor allem digital statt

Während Martin Stadler schon durch seinen Beruf vertraut mit dem Thema der christlichen Passion war, fühlten sich Heinle und Chevat nicht so sattelfest. Sie begaben sich zu Ostern ins Dominikanerkloster Sainte-Marie de la Tourette, um sich über die Rituale zu informieren.

Die Choreografie entstand zunächst einmal im Kopf von Claudia Heinle. Eine Fussverletzung verunmöglichte das spontane Ausprobieren. Caroline Chevat und Martin Stadler haben lange Zeit vor allem online geprobt. „Wir haben in der Pandemie gelernt, wie gut es funktioniert. Und es ist terminlich einfacher. Martin schickt eine Datei mit seiner Flöten-Musik an Caroline. Sie findet dafür einen Rhythmus auf ihrem Daff und schickt die neue Version zurück. Dann wird diskutiert, ob es so passt. Das ist ein Teil der Probenrealität heute.“

Anna Hertz führt Regie bei dem Stück

Nach einer Intensiv-Probenzeit Mitte Juni in Frankreich ziehen die drei mit ihrer Regisseurin Anna Hertz erst kurz vor der Premiere zum Üben in die Dreifaltigkeitskirche in Konstanz. Die Regie sei insbesondere bei der Verbindung der Szenen unverzichtbar. Man brauche einen Beobachter von aussen, so Heinle.

Geführt würden die Mitglieder des Teams allerdings nicht. „Alle müssen mit Vorschlägen einverstanden sein. Gemeinsam finden wir immer eine Lösung. Wir haben ja alle viel Erfahrung.“

Gemeinsame Probearbeit: Die Perkussionistin Caroline Chevat und der Flötist Martin Stadler. Bild: zVg

Aufführungen sollen auch im Thurgau stattfinden

Heinle hat „Passion“ als Transformationsprojekt beim Kulturamt des Kantons angemeldet. Der Thurgau unterstützt Kulturschaffende dabei, nach der pandemiebedingten Pause ihr Publikum zurückzugewinnen. Die bewilligten 20.000 Franken werden helfen, sechs weitere Aufführungen im Thurgau innerhalb der kommenden zwei Jahre auf die Beine zu stellen.

Im Blickpunkt dabei bleibt sakrale Architektur – das Stück behandelt schliesslich die Leidensgeschichte Jesu. „Wir wollen ortsspezifische Aufführungen machen – also uns anpassen an Kreuzgänge, Rosengärten oder Kirchenräume.“

Ausserdem ist geplant, bei den ersten Vorstellungen Filmaufnahmen zu machen, die dann an ausgewählten Orten an Wände projiziert werden. „Kirchen, Hospize oder Spitäler wären dafür geeignet, denn wir setzen uns mit ‚Passion‘ explizit mit dem Tod und dem Leid auseinander.“

Termine: Erste Aufführungen von „Passion“ am 29. und 30. Juni in der Dreifaltigkeitskirche Konstanz um 21 Uhr.  Termine für die Installationen und die Aufführungen im Thurgau werden noch bekanntgegeben.

In der Konstanzer Dreifaltigkeitskirche. Bild: Inka Grabowsky

 

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