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Die Hügeli im Bodensee bleiben ein Rätsel. Noch.

Die Hügeli im Bodensee bleiben ein Rätsel. Noch.
Drohnenaufnahme während der Vermessungsaktion mit SfM (Structure from Motion) | © Fondation Octopus | AATG

Eher keine astronomische Anlage, aber vielleicht eine Totenkultstätte: Archäolog:innen liefern neue Erkenntnisse über die Steinformationen im See zwischen Romanshorn und Altnau. Die Ergebnisse präsentieren die Forscher:innen am Wochenende in Arbon. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Seit sieben Jahren forschen Archäologe:innen des Kantons Thurgau mit grossem Aufwand an den mysteriösen Steinformationen im Bodensee. Vieles haben sie ans Tageslicht gebracht. Aber weshalb die insgesamt 170 Steinhaufen vor tausenden Jahren in der Jungsteinzeit errichtet wurden und wozu sie dienten, das ist noch immer ein Rätsel.

Aktuell untersuchen die Forscher:innen die Steinhügeli im Hafen von Kesswil. „Es geht jetzt darum, herauszufinden, ob alle Hügel gleich aufgebaut waren. Wenn sich das Muster bei drei verschiedenen Hügeln wiederholt, gehen wir davon aus, dass es bei allen Hügeln so ist“, erklärte die Archäologin Simone Benguerel bei einer Medienkonferenz im Kesswiler Hafen.

Video: Taucharchäolog:innen bei der Arbeit

Mit Baggern den See umgraben

Stück für Stück soll so nachgewiesen werden, dass die Hügel wirklich zu einer Kette zusammengehören. Und Stück für Stück wollen die Forscher:innen so dem Geheimnis der Hügeli auf die Spur kommen.

Ein Erfolg der vergangenen Tage: Taucharchäolog:innen haben weitere Hölzer unter den Steinhaufen gefunden, die zugespitzt waren wie ein Pfahl: „Sie wurden vermutlich von Steinbeilen bearbeitet, darauf deuten jedenfalls die Spuren an den Hölzern hin“, sagt Simone Benguerel.

Bereits 7 Pfähle wurden gefunden

Sind das Spuren einer Pfahlbausiedlung? Benguerel ist da skeptisch. „Klassische Pfahlbauhäuser waren das vermutlich nicht, dazu sind die Hölzer, die wir gefunden haben nicht stabil genug, sie hätten kein ganzes Haus getragen.“ Es müssten eher kleinere Konstruktionen gewesen sein, so die Archäologin. Nähere Ergebnisse soll die weitere Forschung bringen. Mit Tauchgerät und Baggern sind die Archäologe:innen vor Ort, um mehr wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln.

Bereits wenige Tage nach der Medienkonferenz gibt es neue Erfolgsmeldungen: «Wir haben mittlerweile 7 Pfähle aus Weichhölzern, die Spitzen scheinen ebenfalls bei allen mit Steinwerkzeugen bearbeitet zu sein», schreibt der Archäologe Urs Leuzinger auf Nachfrage von thurgaukultur.ch.

 

Stolze Finder (von links): Urs Leuzinger, Florence Gilliard und Simone Benguerel im Hafen Kesswil. Der Pfahl wurde unter den Steinhügel bei Grabungen gefunden. Bild: Michael Lünstroth

 

Im Grabungsschnitt durch Hügel 5 fand sich unter den Steinen ein wahrscheinlich prähistorischer Pfahl aus Weichholz (vorne im Bild). Bild: Amt für Archäologie Thurgau, Florence Gilliard

 

„Vorstellbar wären saisonal knapp aus dem Wasser ragende Plattformen als künstliche Inselchen entlang des Seeufers, auf denen rituelle Handlungen im Rahmen einer Bestattungszeremonie stattfanden.“

Urs Leuzinger, Archäologe, zu einer möglichen Nutzung der Hügeli

Ein Problem bleibt allerdings: „Zur Zeit liegen keine archäologischen Funde und Befunde vor, die die Funktion dieses Bauwerks erklären können“, sagt Urs Leuzinger.

Interpretationen zu der möglichen Nutzung gibt es aber bereits jetzt: „Grundsätzlich möglich wären Deutungen im profanen Bereich (Fischerei, Siedlungshügel) oder im kultischen Umfeld (Bestattungsriten, astronomische Anlage) denkbar“, schreibt Leuzinger in einem wissenschaftlichen Aufsatz zum Stand der Forschung.

Für ihn am wahrscheinlichsten gerade: Ein Kontext zu einem jungsteinzeitlichen Totenkult. „Vorstellbar wären saisonal knapp aus dem Wasser ragende Plattformen als künstliche Inselchen entlang des Seeufers, auf denen rituelle Handlungen im Rahmen einer Bestattungszeremonie stattfanden. Dabei wäre der Übergang vom Land zum Wasser ein zentrales Element des Rituals gewesen“, schreibt Leuzinger.

Video: Terra X über die Hügeli im Bodensee

Bodensee-Stonehenge? Eher nicht, meinen die Forscher

Der beliebten Theorie eines „Bodensee-Stonehenge“ erteilt er eine Absage: „Aktuell gehen wir nicht davon aus, dass es sich bei den Steinschüttungen um eine prähistorische Kalenderanlage handelt. Die Hügeli waren nämlich aus der Perspektive einer am Ufer stehenden oder in einem Einbaum sitzenden Person nicht als Kette über längere Strecken, geschweige denn über die gesamten 10 Kilometer, sichtbar“, erklärt der Archäologe.

Auch eine Nutzung als Siedlung (Siedlungsabfälle fehlen, es gibt keine Zugangsstege) oder für die Fischerei (zu viel Aufwand für den erwartbaren Ertrag) hält Urs Leuzinger derzeit für wenig plausibel. „Aktuell sind wir etwa in der Mitte des Projektes, das wird uns sicher noch einige Jahre beschäftigen“, enttäuscht Leuzinger Hoffnungen auf eine baldige Lösung des Rätsels.

 

Der Hügel 5 vor Uttwil wurde im Frühling 2018 mit einem Unterwasser-Radargerät untersucht. Bild: Amt für Archäologie Thurgau, Matthias Schnyder

 

Der 30-Tonnen-Bagger beim Ausheben des Sondierschnitts durch Steinschüttung 5 vor Uttwil im Herbst 2019. Bild: Amt für Archäologie Thurgau, Urs Leuzinger

Was trieb die Menschen zu diesem Bau?

Was allerdings jetzt schon klar ist: Für eine prähistorische, bäuerliche Gesellschaft war es ein riesiger Aufwand, diese Kette aus Steinhügeln zu errichten. Das lesen die Forscher:innen aus dem Gewicht, das für den Bau bewegt wurde.

Pro Hügel (angenommen wurden ein Durchmesser von 24 Metern und eine Höhe der Hügel von 70 Zentimetern) wurden nach ihren Berechnungen 460 Tonnen Steine verbaut. Hochgerechnet auf alle 170 Hügel wären das 78’000 Tonnen. Das ist fast acht mal das Gewicht des Pariser Eiffelturms.

Steckte ein Heiligenkult hinter dem Bau?

„Wenn Sie ein solches Bauwerk errichten möchten, brauchen Sie eine Autorität, die sagt, dass es wichtig ist, dies zu tun“, folgert Urs Leuzinger, „es muss ein starker Wille da gewesen sein, das wirklich durchzuziehen. Ein spiritueller Hintergrund, eine Art Totenverehrung, die von einer Gottheit gefordert wurde, hält er für möglich. „Gefühlsmässig benötigt man diese „Hügeli" nicht für den Fischfang, Schutz (Wellenbrecher, Angriff), Schiffahrt, Landwirtschaft. Also bleibt eigentlich nur noch was rituelles“, sagt Leuzinger.

Aber dafür Belege finden? Schwierig, räumt der erfahrene Archäologe ein.

Manche Rätsel bleiben vielleicht auch für immer

„Belegen könnten wir das nur, wenn beispielsweise auffällige Funde, zum Beispiel Deponierungen von Waffen oder Schmuck oder Überreste von Skeletten zum Vorschein kämen. Beides fehlt bislang und es ist auch unwahrscheinlich, dass wir sowas noch finden werden. Stand jetzt würde ich sagen - archäologisch werden wir das nie herausfinden.“

 

Perspektivische Sicht auf die Hügelkette. Der Mensch zwischen den Hügelchen vermittelt ein Gefühl für die Dimension der einzelnen Steinschüttungen und macht das ganze Ausmass der gesamten Kette besser greifbar. Bild: Livia Enderli, Zürcher Hochschule der Künste

 

Pop-up-Ausstellung in Arbon

Um die Erkenntnisse aus der Forschung auch an die Bevölkerung zu vermitteln, gastiert das Amt für Archäologie am 25. (16 bis 21 Uhr) und 26. November (10 bis 17 Uhr) in Arbon. In der Webmaschinenhalle, dem zukünftigen Standort des Historischen Museums Thurgau, veranstalten die Archäologe:innen einen Pop-Up-Event zu den jungsteinzeitlichen Hügeli im Bodensee. Die Taucharchäolog:innen stellen ihre Arbeit vor, die Archäologen Hansjörg Brem und Urs Leuzinger erzählen von ihrer Forschung und in dem Projekt „sanken landscape“ zeigt die Master-Studentin Livia Enderli wie die Steinzeit-Menschen die Hügeli erlebt haben und wie sie für sie aussahen.

 

 

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