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von Aline Ostergaard, 09.05.2022

Der ganz normale Theaterwahnsinn  

Der ganz normale Theaterwahnsinn  
Mitwirkende des Stücks «Deus ex Machina»: Noce Noseda, Wanda Wylowa als Erika Leuenberger, Rahel Wohlgensinger mit dem Esel Herrn Fessler, Joe Fenner, Giuseppe Spina, Simon Engeli und Künstlerin Carole Isler. | © Regina Jäger

Die Theaterwerkstatt Gleis 5 feiert ihr 10-jähriges Jubiläum mit einem Stück über das Theatermachen und wirft dabei einen humorvollen Blick in den Alltag eines Theaterbetriebs. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Der lateinische und vielleicht zunächst etwas unnahbare Titel des Stücks «Deus ex Machina» entstammt dem griechischen Theater. Er bezeichnet den dramaturgischen Moment, wenn eine Gottheit oder gottähnliche Gestalt plötzlich auf der Bühne erscheint, um eine verfahrene Situation aufzulösen.

Tatsächlich durchziehen das ganze Stück zahlreiche Referenzen zum griechischen Theater, vom Bühnenbild der Künstlerin Carole Isler bis hin zur eigentlichen Handlung im Stück selbst. Die Figuren nämlich inszenieren ein griechisches Theater. Zumindest versuchen sie es.

Kulturprovinz. Provinzkultur?

Die Figuren im Stück, die als pointierte Alter Egos der Theatermacher:innen auftreten,  stehen vor der Herausforderung, sich für ein Theaterstück zu ihrem runden Geburtstag zu entscheiden.

An der Pressekonferenz bei der das neue Stück vorgestellt werden soll, sorgt die arrogante Journalistin Leuenberger von der NZZ für zusätzlichen Druck. Die kosmopolite Zürcherin hat nur ein müdes Lächeln und ein «Jö, so herzig!» für das «Chlii-Theater» und dessen vermeintliche Laienhaftigkeit übrig.

 

Eine echte Knacknuss: Erika Leuenberger von der NZZ zwischen Rahel Wohlgensinger und Noce Noseda. Foto: Regina Jäger

Mit viel Witz und Selbstironie

Wie würde diese überhebliche Person wohl darauf reagieren, wenn sie wüsste, dass die Schauspieler:innen überhaupt noch kein Stück geprobt haben? Nicht auszumalen! Wie gut, dass ein mysteriöses Mäppchen mit der Geschichte des griechischen Schauspielers und Tragödiendichters Thespis, angeblich vom klassischen griechischen Dramatiker Euripides, für die zündende Idee sorgt.

Das Werk soll kurzerhand zum 10-jährigen Jubiläum zum Besten gegeben werden, auch wenn Giuseppe Spina findet, es klinge eher wie eine «Hautkrankheit». Doch einen Versuch ist es wert: «Wenn d’Inszenierung en Erfolg wird, denn chömmer d’Chinder ufd Montessori-Schuel schicke», sagt Rahel zu ihrem Mann Simon.

Aus der Rolle gefallen

Bei der Umsetzung und den Proben des Stücks Thespis treffen die Figuren auf schier unüberwindbare Herausforderungen. Eine unfertige Bühne, eine Puppe im Stau, ein Teammitglied, das dem Ensemble untreu zu werden scheint. Improvisation ist das Schlüsselwort.

Da die bestellte Puppe von Rahel Wohlgensinger nicht rechtzeitig geliefert werden kann, greift die Puppenspielerin auf den Esel Herrn Fessler aus ihrem Fundus zurück. Die kindsgrosse Puppe mit einem Hang zur Jugendsprache soll den herrischen Tyrannen Peisistratos von Athen spielen. Eine schräge Situation, die für viele Lacher sorgt.

 

Gehen in ihren Rollen auf: Tyrann Herr Fessler und Giuseppe Spina als Thespis. Foto: Regina Jäger

Gesellschaftliche Trends unter der Lupe

«Und das alles als Frau und Muetter und em Simon als Maa!», macht Rahel Wohlgensinger ihrer Überforderung Luft. Die Frage nach passenden Rollen greift «Deus ex Machina» nicht nur im Zusammenhang mit dem Theaterschaffen und Besetzungen auf.

Kurze pointierte und mit viel Humor angereicherte Bezüge zu aktuellen Trends und Debatten wie dem hohen Workload, dem allgegenwärtigen Mansplaining oder dem unbeholfenen Bemühen um gendergerechte Sprache bringen komplizierte Themen mit Leichtigkeit aufs Tapet.

Und am Schluss…die Inszenierung

Trotz Widrigkeiten und tickender Uhr im Nacken schaffen es die Figuren am Ende tatsächlich, pünktlich zur Premiere ein Stück auf die Beine zu stellen. Giuseppe Spina holt persönlich das Publikum ab, das es sich während der Pause im Foyer bei einem Glas «Peisistratos» oder «Thespis» in angeregter Stimmung gemütlich gemacht hatte. 

Diese Premiere in der Premiere zeigt dann klassisches griechisches Theater in seiner heitersten Form. Tänzelnde Griech:innen, lebhafte Maskerade, beschworene Musen und ein «Deus ex Machina», eine Gottheit aus der Maschine.

 

Einblick in das Stück Thespis. Auch die Musik kommt nicht zu kurz. Bild: Regina Jäger

Eine Leidenschaft, die Leiden schafft

Das Publikum merkt an diesem Abend, wie sehr das Ensemble für das Theatermachen brennt, ja für diese «Bretter wo d’Welt bedütet» leben, wie Joe Fenner bereits im Prolog klar macht.

Die ironische Auseinandersetzung mit diesem komplizierten, aber eben auch lustvollen, Künstler:innendasein zeigt was es heisst, um Finanzierung zu kämpfen, an Grössen wie Auslastung gemessen zu werden oder von den Musen verlassen, verzweifelt um Inspiration zu suchen.

«Deus ex Machina» ist eine Ode ans Theater, an die Zerbrechlichkeit des Lebens. Die Theaterwerkstatt scheut sich nicht davor, auch in einer Komödie fundamentale menschliche Themen wie Freundschaft, Liebe, Vergebung und Tod anzusprechen. Es ist genau diese Spannung zwischen Ernsthaftigkeit und genüsslicher Übertreibung die den Reiz des Stücks ausmacht.

 

Von den Musen verlassen, bittet Simon Engeli als Hispias die Theatergöttin Thalia um eine göttliche Eingebung. Foto: Regina Jäger

 

Die Theaterwerkstatt Gleis 5

Seit seiner Gründung vor 10 Jahren ist die Theaterwerkstatt Gleis 5 zur etablierten Kulturinstitution im Kanton geworden. Wie soll ein solcher Meilenstein gefeiert werden? Die Theaterwerkstatt gibt mit «Deus ex Machina» die humorvolle Antwort auf diese Frage.

 

Das Jubiläumsstück lässt die 10 Jahre Theaterwerkstatt Revue passieren und gibt einen Vorgeschmack auf das, was da noch alles Fulminantes kommen wird. Ganze 70 Veranstaltungen sind für dieses Jahr geplant, darunter auch neue experimentierfreudige literarische Formate unter Mitwirkung von Judith Zwick, die das Team seit 2021 ergänzt.

 

«Deus ex Machina» ist noch bis zum 12. Juni live zu erleben. Alle Termine im Überblick gibt es bei uns in der Agenda.

 

 

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