von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 30.11.2017
Auf der Suche nach dem Publikum von morgen
Das Interesse an Kultur verändert sich, die junge Generation hat andere Vorlieben als ihre Vorgänger. Die Frage ist: Wie gut sind die Kultureinrichtungen im Thurgau darauf vorbereitet?
Noch sind die Zahlen nicht sonderlich erschreckend. In einer aktuellen Statistik zum Kulturverhalten der Schweizer Bevölkerung steht: „Von den Befragten, die Kinder unter 16 Jahren haben geben 7 von 10 Personen an, mit ihren Kindern im abgelaufenen Jahr im Museum, Theater, an klassischen Konzerten, in der Oper oder an Tanzaufführungen gewesen zu sein. Über ein Drittel dieser Personen taten dies sogar mehr als 3 Mal.“ Es ist also nicht so, dass junge Menschen heute nicht mehr in Berührung mit Kultur kämen. Und trotzdem ändert sich da gerade etwas. Weil sich die jungen Menschen heute für andere Dinge interessieren als ihre Vorgänger-Generationen. Weil sie andere Ansprüche an Gestaltung und Vermittlung von Inhalten haben. Kultur verstehen sie als sehr viel breiteren Begriff jenseits von den üblichen Schubladen-Einordnungen. Für diejenigen, die Kultur machen, anbieten und vermitteln wollen, ist das eine grosse Herausforderung. Oder plakativer gesagt - es ist eine Frage des Überlebens für sie. Denn nur wer sich heute schon um das Publikum von morgen kümmert, kann weiter existieren.
Einer, der ziemlich nah dran ist an der jungen Generation ist Johannes Eiholzer. Und das sogar aus zwei Perspektiven. Eiholzer ist Angestellter des städtischen Kulturamts in Frauenfeld und seit Jahren aktiv im Verein KAFF: Kulturarbeit für Frauenfeld. Hier kommen vorwiegend junge Menschen zwischen 20 und 25 Jahren zusammen, um ehrenamtlich Konzerte, Partys, Ausstellungen und mehr auf die Beine zu stellen. Eiholzers Beobachtung ist: „Künstler buchen und präsentieren reicht heute nicht mehr, um junge Menschen zu erreichen. Es braucht einen Event-Charakter.“ Ihm ist aufgefallen, dass Kultur nur dann interessant ist, „wenn sich die Jungen sofort damit identifizieren können“. Und: „Ich kenne niemanden unter 25, der gerne ins Kunstmuseum geht, aber wenn wir Do-it-yourself-Art machen, kommen doch 40, 50 Leute. Für mich bedeutet das: Die Qualität der Kunst ist eigentlich egal, die Grenzen zwischen Künstler und Publikum verschwinden.“ Ein bisschen hat sich das reale da dem virtuellen Leben in den sozialen Medien angepasst: Mir gefällt, was meinen Freunden gefällt.
Das Naturmuseum hat es leichter als das Kunstmuseum
Die Frage ist nun für alle Kulturanbieter: Wie damit umgehen? Bei der Beantwortung wäre schon mal hilfreich, sein Publikum etwas besser zu kennen. Aber Zahlen dazu gibt es kaum. Weder die für diesen Beitrag angefragten Einrichtungen noch das kantonale Kulturamt haben Daten zur Altersstruktur von Kulturnutzern im Thurgau allgemein beziehungsweise zu den Interessen der jungen Generation. Was es gibt, sind Schätzungen. Zum Beispiel im Naturmuseum Thurgau: „Unser Kinderanteil an der Gesamtbesucherzahl liegt bei 50 bis 55 Prozent“, sagt Hannes Geisser, Chef des Naturmuseums. Sein Haus bietet zahlreiche Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche an, oft wird mit Schulen kooperiert. Kommuniziert werden diese Angebote bislang hauptsächlich auf dem klassischen Weg: Über Flyer, Website und Medien. Angenommen werden die Angebote laut Geisser unterschiedlich: „Nebst dem Thema spielen auch Zufälligkeiten eine Rolle, wie das Angebot besucht wird, zum Beispiel das Wetter oder zeitgleiche Konkurrenzveranstaltungen.“
Neu ist die Frage: Wie können wir junge Menschen von unserem Angebot überzeugen? für die kantonalen Museen nicht. Wohl auch deshalb wurde 1999 die Initiative „Museum für Kinder“ ins Leben gerufen: Sämtliche kantonalen Museen sind darin mit Anlässen für Kinder und Familien vetreten, jährlich umfasst das Programm mehr als 30 Angebote. Kommuniziert wird auch das über Flyer, Website und in Zusammenarbeit mit den Schulen. Hannes Geisser hat die Initiative damals mitbegründet. Aber funktioniert sie heute überhaupt noch? „Die Initiative funktioniert meiner Meinung nach immer noch sehr gut, auch wenn einzelne Anlässe auch mal weniger gut besucht werden. In den ersten Jahren waren die Anlässe häufig auf Monate hinaus ausgebucht. Das lag bestimmt daran, dass wir damals die ersten Museen weit herum waren, die ein solches Familien- und Kinderprogramm angeboten haben. Heute gibt es mehr vergleichbare Angebote, die Konkurrenz ist also grösser geworden. Das trägt mit zu den schwankenden Besucherzahlen bei. Auch entscheiden die Besuchenden (hier vor allem die Eltern, die ihre Kinder anmelden) viel spontaner, was sich ebenfalls auf die Nutzungsfrequenzen niederschlägt.“ Trotzdem weiss auch Geisser - nichts ist so gut, dass man es nicht verbessern könnte: „Verbessern könnte man die Werbearbeit, ist es doch immer schwieriger, gute Angebote auch unter die Leute zu bringen, da das Angebot riesig ist. Bestimmt wären auch einzelne Formen zu prüfen oder neue Formen für neue Publika. Ob die Anzahl nicht allenfalls zu gross ist und wir uns gegenseitig unter den Museen selber konkurrenzieren, wäre wohl auch eine Überlegung wert“, erklärt der Naturmuseums-Direktor.
Entwickeln Konzepte, um auch ein junges Publikum von Kultur zu begeistern (von links): Hannes Geisser (Naturmuseum TG), Markus Landert (Kunstmuseum), Martha Monstein (Kulturamt TG). Bilder: Inka Grabowsky/Thurgaukultur/Kulturamt
Während das Naturmuseum noch vergleichsweise leicht an junge Besucher kommt, hat es das Kunstmuseum in der Kartause Ittingen da schon schwerer: Die abgelegene Lage, die komplexen Themen, „das Museum ist definitiv kein Ort einer expliziten Jugendkultur, in der Fun und Unterhaltung dominieren wollen“, sagt Markus Landert, Direktor des Kunstmuseums. Deshalb versucht er trotzdem etwas anzubieten, das junge Menschen interessieren könnte, ohne den Bildungsanspruch des Museums aufzugeben. So bieten die Museen in Ittingen massgeschneiderte Programme für Kinder. Mehrere Dutzend Veranstaltungen im Jahr gebe es für das junge Publikum: „Junge Menschen erhalten die Möglichkeit, sich kreativ und frei auszudrücken, an unkonventionellen Orten interessante Dinge zu erfahren“, beschreibt Markus Landert seine Ideen. Für ihn ist klar, dass nur didaktisch kluge und inhaltlich attraktive Angebote das Museum auch in Zukunft am Leben halten: „Wer in jungen Jahren das Museums als einen Ort der lebendigen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Themen entdeckt, wird die Institution auch später nutzen und lieben.“ Richtig schlüssige und nachhaltig erfolgreiche Konzepte hat man aber auch in Ittingen noch nicht gefunden.
Die Lehrer? Haben oft zu wenig Ahnung was kulturell geboten wird
Eine Schlüsselrolle in der Kulturvermittlung liegt bei den Lehrern. Christian Brühwiler, Programmchef der renommierten Konzertreihe „Klangreich“ in Romanshorn hat da aber ernüchternde Erfahrungen gemacht. „Manchmal gibt es zwar Musiklehrer, die mit ihren Schülern anrücken zu unseren Konzerten. Es ist aber immer wieder irritierend, dass viele Musiklehrer keine blasse Ahnung davon haben, was kulturell in der Region angeboten wird“, sagt der Kulturveranstalter, der selbst auch Musiker ist. „Klangreich“ ist eine experimentelle Reihe, die immer wieder etwas Neues wagt, trotzdem ist das Publikum eher älter. Spezielle Konzerte für junge Menschen bietet Brühwiler nicht, aber Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren müssen keinen Eintritt bezahlen. Dass so wenig junge Menschen zu seinen Konzerten kommen, führt Brühwiler auch auf deren Eltern zurück: „Für viele Eltern ist dies wohl eine fremde Vorstellung, und es ist mittlerweile allgemein akzeptiert, dass Kindern Kindermusik am besten schmeckt. Beim Essverhalten sind wir mittlerweile differenzierter. Wir wissen, dass es nicht gut kommt, wenn die Kleinen nur mit Pommes und Hamburgern gefüttert werden, auch wenn sie gern aufs Gemüse verzichten würden.“
"Kultur ist nur dann interessant, wenn sich die Jungen sofort damit identifizieren können", sagt Johannes Eiholzer (KAFF, links im Bild) über die Kulturvorstellungen der jungen Generation. Christian Brühwiler von der Klassikreihe "Klangreich" hat auch seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Bilder: Privat
Von Romanshorn nochmal zurück nach Frauenfeld. Dort sitzt ja auch das kantonale Kulturamt. Anfrage an Martha Monstein, Leiterin des Kulturamts: Welche Möglichkeiten hat das Amt, die Entwicklung zu beeinflussen? „Das Kulturamt unterstützt im Rahmen seiner finanziellen Unterstützung die Gruppe und den Theaterclub des Theaters Bilitz, weitere Kinder- und Jugendtheaterproduktionen, die jährlich stattfindenden Ostschweizer Schultheatertage, den „Contest – thurgau rockt!“ für Kinder und Jugendliche, diverse Bandcontests, das Projekt „Junge Texte“, die Liberty Brass Band, Musiklager für Kinder und Jugendliche, das Projekt „Literatur aus erster Hand“ und vieles mehr“, erklärt Monstein. Was sie stört ist die Bezeichnung „Publikum von morgen“ für das junge Publikum. Das sei eigentlich nicht richtig, „denn das junge Publikum ist bereits heute ein wichtiger Teil des Publikums von Kultureinrichtungen“.
Meistens engagieren sich Jugendliche aus privilegierten Verhältnissen
Das Kulturamt ist auch aktiv in der Zusammenarbeit mit Schulen: „Mit dem Portal www.kklick.ch ermöglichen wir einen erleichterten Zugang zur Kultur, indem wir Kulturvermittlungsangebote in allen Sparten, für alle Schulstufen (Volksschule 1.-9. Klasse und Sek II (Mittel- und Berufsschulen) und in allen Regionen des Kantons auf der Webseite vorstellen. Mit finanzieller Hilfe aus dem Lotteriefonds unterstützen wir zusätzlich den Kulturbesuch von Schulklassen“, erläutert Martha Monstein. Der Ansatz bei den Schulen sei bewusst gewählt: „Die öffentlichen Schulen spiegeln das ganze gesellschaftliche und soziale Spektrum, deshalb setzen wir dort an, denn so können wir alle erreichen“, ist die Kulturamtsleiterin überzeugt.
In den Kulturinitiativen selbst bleibt die Durchmischung der Schichten allerdings oft ein Problem - sie findet eher nicht statt. Das hat auch Johannes Eiholzer beobachtet. „Ein grosser Teil unserer aktiven Mitarbeiter im KAFF kommt aus relativ privilegierten Verhältnissen der Mittel- und oberen Mittelschicht. Nur ein kleinerer Teil kommt aus der Unterschicht.“ Seine Erfahrung im KAFF hat Eiholzer aber nicht zum Kulturpessimisten werden lassen: „Am Anfang hatten wir "Älteren", welche zum grossen Teil selber in Bands spielen, Mühe zu akzeptieren, dass der Nachwuchs sich nicht im gleichen Ausmass für Live-Musik interessiert. Aber wir haben auch gemerkt: Wenn man sich den Jungen öffnet und ihnen Freiraum bietet, engagieren sie sich auch. Das bedeutet halt auch, spontan zu sein und Strategien und Strukturen immer wieder anzupassen."
Lernen von den Nachbarn: Winterthur und seine Kulturstifter
Wie man junge Menschen auch an die Kultur heranführen kann, zeigt ein Beispiel aus Winterthur. Das neu lancierte Pilotprojekt «Kulturstifter» verbindet Kulturinstitutionen wie das Fotomuseum, das Salzhaus oder das Musikkollegium Winterthur über eine Sackgeldjobbörse mit 13- bis 18-jährigen Jugendlichen. Die Idee ist eigentlich simpel und trotzdem spielt Winterthur damit eine Pionierrolle: Jugendliche verdienen an freien Nachmittagen oder in den Ferien ihr Sackgeld anstatt beim Fensterputzen in einer Kulturinstitution und lernen diese ganz anders kennen. Während ihres Sackgeldjobs blicken die Jugendlichen hinter die Kulissen, knüpfen Netzwerke und kommen später, so zumindest die Hoffnung der Projektinitiatoren, als Besucher, freiwillige Helfer oder sogar als ausgebildete Mitarbeiter zurück ins Theater oder ins Museum. "Kulturstifter" will so die kulturelle Teilhabe sowie die berufliche Integration und den Generationendialog fördern. Initianden und Träger des Projektes sind jugendarbeit.digital und die Winterthurer Firma fyld - Kultur und Kommunikation. Mehr im Internet: www.kulturstifter.win
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