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von Bettina Schnerr, 25.06.2020

«Das Literaturhaus muss noch bekannter werden»

«Das Literaturhaus muss noch bekannter werden»
Der Amriswiler Gallus Frei übernimmt für die kommenden drei Jahre die Programmleitung des Literaturhauses Thurgau in Gottlieben. | © Bettina Schnerr

Der Amriswiler Gallus Frei übernimmt ab dem Sommer die Programmleitung des Literaturhauses Thurgau für die kommenden drei Jahre. Er ist Literaturvermittler aus Leidenschaft und begeistert sich für neue Formate, die er auch in Gottlieben ausprobieren will.

Die berühmte Nacht hat er schon über die Anfrage der Bodman-Stiftung geschlafen, ob er die Programmleitung des Literaturhauses Thurgau übernehmen wolle. Doch die Zusage von Gallus Frei kam schnell, von Herzen und das spürt man, wenn man sich mit ihm darüber unterhält: „Nach meiner Zusage gingen mir sofort zahlreiche Ideen durch den Kopf, die ich alle realisieren wollte,“ erzählt er.

„Ich habe eine lange Liste von AutorInnen, die ich nach Gottlieben einladen will.“ Seine Begeisterung füllt das Programm des ersten Quartals gleich mit drei Veranstaltungen mehr als eigentlich vorgesehen. „Ich kann nichts dafür, dass ausnahmslos alle zusagten, die ich angefragt hatte,“ entschuldigt sich Frei augenzwinkernd.

„Es gibt viele Literaturbegeisterte, die nicht wissen, dass der Kanton ein eigenes Literaturhaus hat.“

Gallus Frei, Programmleiter Literaturhaus Thurgau (Bild: Bettina Schnerr)

Gallus Frei beginnt seine Arbeit für das Literaturhaus Thurgau mit derselben Energie und Verve, mit der er seit vielen Jahren für die Literaturvermittlung tätig ist. Bekannt ist er unter anderem als Blogger, der den Schweizer Buchpreis begleitet sowie als Rezensent, der dem Namen seines Blogs auf besondere Weise Leben einhaucht: Literaturblatt ist nicht nur das Zuhause seiner Buchbesprechungen, sondern auch der Begriff für seine handschriftlich verfassten und illustrierten Rezensionen, die er mehrmals jährlich an Abonnenten verschickt. Soeben versandte er mit dem 50. Literaturblatt eine Jubiläumsausgabe, wie immer verfasst mit kleiner, gleichmässiger Schrift und schwarzem Kugelschreiber.

Literaturvermittlung per Handschrift und gutem Essen

Diese Literaturblätter sind ein Markenzeichen des Amriswilers geworden, abonniert von mittlerweile mehr als 200 Personen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz. Angefangen hatte er damit, weil die üblichen Computerausdrucke ziemlich lapidar zur Kenntnis genommen wurden. Er probierte eine handschriftliche Version mit grafischer Gestaltung aus und die Rückmeldungen waren, wie er sagt, „umwerfend“. Seither behält er die Technik bei und empfiehlt alle zwei Monate je vier ausgewählte Titel.

Über Jahre hinweg war sein Wohnzimmer auch das Zuhause von „Literatur am Tisch“, einem Format, bei dem er einen Autor oder eine Autorin nach Hause einlud und bei „Leckereien und Wein“ direkt mit seinen Leser:innen in Kontakt brachte. „Als Leser schätze ich die persönliche Begegnung mit einem Autor sehr,“ erzählt Frei. „Das verleiht dem Leseerleben immer eine zusätzliche Dimension.“

Dieses Format will Gallus Frei aus diesem Grund auch ins kommende Programm in Gottlieben aufnehmen. Nicht nur für die Leser:innen, sondern auch, weil seiner Erfahrung nach die Schreibenden diese Begegnungen geniessen: „Bei einer Lesung muss man das Buch nicht kennen und mitunter ist nur das moderierte Gespräch das, was die Zuhörer mit nach Hause nehmen. Doch wenn man mit den Künstlern an einem Tisch sitzt, ergeben sich vertiefte und neue Einblicke in das Werk,“ so sein Fazit.

„Ich möchte Bücher mit einer gewissen literarischen Relevanz im Programm haben. Das Buch muss etwas mit mir machen, in mir auslösen.“

Gallus Frei, Programmchef Literaturhaus Thurgau

Was er generell ins Programm holen wird, sind „Bücher mit einer gewissen literarischen Relevanz. Das Buch muss etwas mit mir machen, in mir auslösen,“ beschreibt er sein Auswahlkriterium. Im Genre legt er sich nicht allzusehr fest. Das kommt seiner Idee zugute, künftig bewährte Formate mit neuen Konzepten zu mischen und die beruhen vor allem darauf, dass er verschiedene Sparten miteinander verbinden möchte.

Mit der Übergabe des Staffelstabs von Marianne Sax an Gallus Frei setzt sich zudem ein wichtiges Element in der Literaturvermittlung im Kanton fort: Das Literaturhaus soll stärker im Bewusstsein verankert werden. Sax veranlasste dafür bereits eine klarere Namensgebung, Frei wird die Bestrebungen fortsetzen. „Es gibt viele Literaturbegeisterte, die nicht wissen, dass der Kanton ein eigenes Literaturhaus hat“, stellt Frei immer noch fest. „Dabei ist dieses Angebot schon etwas Besonderes. In der gesamten Schweiz gibt es überhaupt nur sechs Stück und in Gottlieben steht tatsächlich eines der ersten.“

Das Literaturhaus Thurgau in Gottlieben. Bild: Brigitta Hochuli

Jubiläumsjahr mit neuen Akzenten

Dass Gallus Frei just in jenem Jahr übernimmt, in dem das Literaturhaus sein zwanzigjähriges Bestehen feiert, ist Zufall. Doch es fügt sich ausgezeichnet, dass das diesjährige Programm ab dem Sommer — da es Corona-bedingt ohne Feierlichkeiten auskommen muss — mit neuen Formaten geschmückt wird.

Den Start im August macht ein Abend mit Kat Menschik. Sie arbeitet als Illustratorin und Bücher mit ihren Bildern haben bei vielen Leser:innen Sammlerstatus. „Der Literaturabend mit ihr verspricht einen anderen Blick auf Literatur und ihre Wirkung,“ sagt Frei. Ein anderes Format folgt im November, wenn er Lyrik mit Musik verknüpfen wird.

Ein Konzept auf Improvisationsbasis, das er in Basel entdeckte: „Die Lyrikerin und die Musikerin treffen sich erst am Tag der Aufführung persönlich und haben einen Tag Zeit, die Lesung zu gestalten. Das Format braucht keine Moderation, ist sehr offen und wegen seiner Spontaneität sehr beliebt.“ Auch die Fans der klassischen Lesungen werden bei Gallus Frei auf ihre Kosten kommen. Das Programm läuft derzeit durch die Druckerpresse und wird Anfang Juli auf der Website des Literaturhauses bekannt gegeben.

Was AutorInnen über das Literaturhaus Thurgau denken

„Es ist wunderbar, dass der Kanton Thurgau an diesem schönen Ort am Bodensee ein Literaturhaus besitzt, um das ihn viele grössere Orte in der Schweiz beneiden.“

Charles Linsmayer (Bild: Von Bobo11 - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=42941044)

 

„So wie das schöne Bodmanhaus ist auch die wertvolle Literatur: Nicht an der grossen Strasse gelegen, sondern eher fern des Rummels, letzten Endes aber doch erreichbar. Sie ist immer da, wo sich Grenzen aufheben und wir, mit der nötigen Musse, dem Näherkommen, was die Welt zusammenhält.“

Dana Grigorcea

„Dieser stille und doch nicht abgelegene Ort, der Literatur nicht nur ausstellt, sondern auch ihre Entstehung ermöglicht.“

Peter Stamm (Bild: Gaby Gerster)

Das Literaturhaus Thurgau

Das Literaturhaus Thurgau geht auf eine Initiative der Thurgauischen Bodman-Stiftung zurück. Bei seiner Eröffnung im Jahr 2000 war das Bodmanhaus nach Basel und Zürich das dritte Literaturhaus in der Schweiz. Durch seine Nähe zu Konstanz hat es eine wichtige Funktion für grenzüberschreitende Begegnungen in der Bodenseeregion.

 

Untergebracht ist es im ehemaligen Wohnhaus des Dichters Emanuel von Bodman, dessen Arbeitszimmer originalgetreu besichtigt werden kann. Neben verschiedenen Veranstaltungsräumen ergänzt eine Buchbinderei das Literatur-orientierte Ensemble. Ausserdem beherbergt das Literaturhaus regelmässig Stipendiat:innen für schriftstellerische oder übersetzerische Arbeiten.

 

Der Autor Jochen Kelter war von 2000 bis 2004 erster Programmleiter des Bodman-Literaturhauses. Wie er die Entwicklung des Hauses in den vergangenen 20 Jahren sieht, beschreibt er in diesem Text.

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