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von Jeremias Heppeler, 30.10.2020

Das bisschen Haushalt

Das bisschen Haushalt
Mit Staubwede in die Schlacht? Für die Ausstellung «It's only Haushalt» hat die Konstanzer Künstlerin Veronika Fischer bekannte Gemälde neu inszeniert. In diesem Fall Eugène Delacroixs «La liberté guidant le peuple» (1830) | © Veronika Fischer

Wenn man coronabedingt schon die ganze Zeit daheim bleiben muss, soll es da wenigstens schön sein. Aber wer kümmert sich darum? Eine Geschichte über starre Rollenbilder und den Alltag in der Kunst.

In der heutigen Zeit ermisst sich die Relevanz eines Themas durchaus auch in den erzielten Ergebnissen, die dir eine Google-Suche ausspuckt. Und die hat dann gefälligst zu liefern. Doch obwohl mir innerhalb von 0,7 Sekunden über 203'000 Ergebnisse zum Schlagwort „Haushalt” entgegen rieselten, war eine digitale Recherche wohl selten so unergiebig und doch so vielsagend wie meine Suche nach Anknüpfungspunkten zum vorliegenden Essay.

Denn „Haushalt” lässt sich nicht googeln, jedenfalls nicht so, wie es dieser Text, der ja idealerweise Querverbindungem, Verweise und Zitaten freilegen soll, eigentlich verlangt. Das liegt vor allem an der semantischen Mehrdeutigkeit des Wortes, aber eben auch daran, dass das Internet vor allem verkaufen möchte. In diesem Fall: Besen, Waschmittel, Staubwedel.

Unter diesen Eindrücken jedenfalls materialisiert sich eine erste These, die uns im Folgenden begleiten wird: Haushalt ist immer das, was man nicht sieht und was man nicht sehen soll. Mehr noch: Wir haben es mit einem fortlaufenden Prozess zu tun, dessen wichtigste Eigenschaft seine Unsichtbarkeit ist. Er findet immer dann statt, wenn niemand schaut.

Für die Ausstellung «It's only Haushalt» hat Veronika Fischer Gemäldeklassiker, nun ja, neu interpretiert. Vorlage war hier das Foto «Frida auf einer weißen Bank» von Nickolas Muray (New York 1939). Bild: Veronika Fischer

Das Thema geht uns alle an – ohne Ausnahmen

Staub, Dreck, Schmutz, Müll - in Zimmern und Schränken, hinter und unter Möbeln, auf der Wäsche und auf dem Besteck, verschont niemanden, der lebt. Ein ziemlich faires Konzept. Zumindest auf den ersten Blick. Und obwohl jeder von uns weiss, dass sich seine Gegenüber, Nachbarn und Freunde mit den gleichen lästigen Tätigkeiten abmühen, sind wir Teil eines gesellschaftlichen, beinahe moralischen, aber eben auch stummen Überwachungssystems. Warum aber wird nicht offen, laut und ehrlich über Haushalt geredet? Das liegt vor allem am Standing der haushaltlichen Arbeit.

Und ja, hier trampelt ein Elefant durch den Raum, dass alle Wassergläser wie in „Jurassic Park” Wellen schlagen. Das schlimmste: Der Elefant summt einen Schlager. „Das bisschen Haushalt” von Johanna von Koczian, mittlerweile längst geflügeltes Wort und Alltagsmeme, so fest verankert im kollektiven Gedächtnis, dass ein, zwei Triggerworte ausreichen, um es dir sofort in Wurmform durch die Gehörgänge kriechen zu lassen.

Video: Care-Arbeit - lebenswichtig und lausig bezahlt (BR)

Ein Klassiker von 1977 wird noch heute oft beschworen

Doch eben weil der Text des Schlagers mittlerweile längst auf schunkelnden Schenkeln totgeklopft wurde, vergisst man schnell um die Prägnanz des Textes: „Das bisschen Haushalt macht sich von allein | Sagt mein Mann | Das bisschen Haushalt kann so schlimm nicht sein | Sagt mein Mann | Wie  | eine Frau sich überhaupt beklagen kann | Ist unbegreiflich | Sagt mein Mann”, heisst es im 1977 erschienen Evergreen.

Die Rollenverteilung der lyrischen Figuren ist eindeutig: Einerseits der hart arbeitende Mann, andererseits die Hausfrau, die sich erdreistet, dem ausgelaugten Geldverdiener ihr Leid ob der bisschen Hausarbeit zu klagen. Diese Konstellation wird im Text nie hinterfragt, ist aber selbstredend ironisch gebrochen. Und ebendieser Bruch hat einen durchaus komplexen Hintergrund, dessen Schemata sich bis heute abzeichnen.

Der Frauenstreik 2019 forderte eine Bezahlung von Care-Arbeit

Während des Frauenstreiks 2019 hiess es in einem Appell: „Wir fordern eine Wirtschaftspolitik, die bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit ins Zentrum stellt und diese finanziert." Im Zuge dessen wurde auch eine bereits in den 70er Jahren vom International Feminist Collective formulierte Idee wiederbelebt: Hausarbeit soll bezahlt werden! Diese Förderung sah sich ihrerseits sogleich auch feministischer Kritik ausgesetzt, da sie veraltete Rollenbilder konzentriert in Zement giesse.

In einem ausführlichen Artikel in der NZZ heisst es: „Für Peter (gemeint ist Anja Peter, Historikerin und Projektleiterin bei der Fachstelle für die Gleichstellung von Frau und Mann der Stadt Bern) ist Lohn für Hausarbeit eine emanzipatorische Forderung. „Früher hiess es, Hausarbeit gehöre zur Natur der Frau. Hausarbeit ist Arbeit, sie hat nichts mit der Natur der Frau zu tun.“ Gerade deshalb müsse die Gesellschaft diese Arbeit bezahlen."

Video: Frauen kämpfen für ihr Recht (Doku | SRF DOK)

Konservative Rollenbilder bröckeln erst ab dem 1970er Jahren

Im Erscheinungsjahr des Schlagers trat in Deutschland übrigens das „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts” in Kraft. Zuvor hiess es im 1957 in Kraft getretenen Gleichberechtigungsgesetz: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist." Frei übersetzt: Bis Ende der 70er durfte eine Frau nur arbeiten, wenn sie zuvor den Haushalt erledigt hatte.

Die hochgradig konservative und in klebriger Bürgerlichkeit verankerte Position der eindeutigen Rollenbilder wurde ab den 70er Jahren zusehends dekonstruiert. Umso hanebüchener erscheint es, das sich selbst heute, also mehr als 40 Jahre später, immer noch verquere Rollenbilder in der Gesellschaft verkantet haben, die den Mann als Ernährer und Arbeiter und die Frau als Hausfrau und Mutter verorten.

Hausarbeit ist längst auch Männeraufgabe. Aber wissen das alle?

Passend dazu geisterte dieser Tage ein Zitat der Moderatorin Collien Fernandez aus einem Interview mit YouFm durchs Netz: „Viele Frauen hören oft: ‘Ach, das ist aber nett, dass dein Mann dir im Haushalt und mit den Kindern hilft.’ Diese Formulierung zeigt schon, dass all das als Aufgabe der Frau angesehen wird und wenn der Mann superlieb und freundlich ist, dann hilft er ihr. Aber er hilft ihr nicht. Denn all das ist nun mal auch seine Aufgabe.”

Und genau in diesen Narrativen gründet das kaum vorhandene Ansehen der häuslichen Arbeit: Sie bringt kein Geld ein. Mehr noch: Sie kostet Geld. Für Lebensmittel und Putzmittel.

An der Stelle wollen wir nicht zu weit greifen, aber im gleichen Atemzug müssen wir auch Felder wie etwa die Kranken- und Altenpflege und pädagogische Berufe nennen, Jobs also die die jüngere Geschichte primär als „Frauenberufe” abgestempelt hatte und die auch deshalb bis heute sträflich unterbezahlt sind.

Ein ziemlich ekelhafter, vom Patriarchat aufgezogener Kreislauf. Der Haushalt markiert hier nur die für ewig vom Wasser verborgene Spitze des umgedrehten Eisbergs - auch wenn einem Grossteil von uns natürlich klar ist: Haushalt geht uns alle an. Und Haushalt verschont niemanden.

Haushalts-Kunst? Aus  dem Instagram-Projekt „Kitchen Planets“ von Mojca Osojnik, das andere Sichtweisen im Haushaltsuniversum ermöglicht. Bild: Kitchen Planets

 

Wie es bei den alten Griechen war

Bedeutet aber auch: Während wir unsere Brotjobs über weite Teile unserer Lebenszeit abnicken, absitzen und akzeptieren, weil sie durch Bezahlung am Ende des Monats ihre Relevanz verteidigen, nehmen wir den Haushalt als nervigen Zeitenfresser war und verschieben ihn deshalb in den toten Winkel unseres Alltags. Definiert man die Arbeit von Hausfrauen und Hausmänner, da lautet die Antwort nicht selten: Er / Sie arbeitet nichts.

Der Blick in die Geschichte zeigt indes, dass es durchaus alternative Modelle hierzu gab. Der Blick zu den alten Griechen offenbart den Begriff „Oikos”, aus dem sich später die Wörter „Ökologie” und „Ökonomie” entwickelten. „Oikos” bezeichnete die Gesamtheit von Familie (inklusive Sklaven und Bediensteten), Land, Häusern und alles was darin kreuchte und fleuchte.

Zwar stand an dessen Spitze ein klassischer Patriarch, doch laut Sokrates Schüler Xenophon lag die Autorität über den „Oikos” inklusive allen finanziellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten vollends bei der Frau. Und auch wenn wir hier von hyperpriviligierten Adelsgeschlechtern sprechen, so eröffnet sich hier doch eine andere Sichtweise auf den Berufsstand der Hausfrau.

Die Kreuzlinger Künstlerin Anna Appadoo fertigt Collagen aus Gegenständen der Hausarbeit und setzt diese in ein romantisches Licht. Bild: Anna Appadoo

Kunst und Haushalt? Das findet nur selten zusammen

Doch selbst in der Kunst findet der Haushalt nur selten statt und das obwohl Alltagsdarstellungen beispielsweise tief in der Geschichte der Malerei rückverankert sind. Haushalt ist also nicht nur die Arbeit hinter der Arbeit sondern auch der Alltag hinter dem Alltag. Eine der wenigen Ausnahmen markiert das Gemälde „Ein Paar mit einem Papagei” von Pieter de Hooch, auf welchem besagte Turteltäubchen von in Schatten getunkten Putzutensilien umrahmt werden.

Mit diesem merkwürdigen Framing geht ein feinfühlig aufgezogenes Szenario einher, das uns Rezipienten zu heimlichen Beobachtern aus der hinterkulissigen Besenkammer macht und auf nächster Ebene den Verdacht nahelegt, dass die dargestellte Affäre des Paares wohl eher verheimlicht werden sollte.

Im Steckborner Haus zur Glocke gab es jetzt gerade eine Ausstellung, die sich genau um diese Verbindung zwischen Kunst und Alltag drehte. Die Ausstellung «Die Dinge des Alltags und die Kunst» wurde als Einheit verstanden, in der das Künstlerinnenduo LEWEIS (Renate Lerch und Jacqueline Weiss) und Max Bottini das ganze Haus zur Glocke bespielen.

LEWEIS stellen in ihren Installationen im Eingangsraum und auf dem Estrich in vielfältiger Weise eine Bezug zum Austausch zwischen Innen- und Aussenraum, vorher und nachher, oben und unten her. Max Bottini zeigte mit seiner Arbeit an 20 Jahren Selbstporträts eine Auseinandersetzung mit seinem eigenen Vergehen. Und kochte dazu die traditionelle Künstlersuppe.

Video: «Die Dinge des Alltags und die Kunst»

Wenn Hausarbeit zum Vergnügen wird

Im Film gibt es indes eigentlich nur zwei Varianten von Hausarbeit, die prominent in Szene gesetzt werden: Einerseits die Tatortreinigung - entweder durch die Täter selbst (in “Pulp Fiction” oder “Breaking Bad”) oder durch professionelle Putzkräfte („Der Tatortreiniger”) oder andererseits wenn ungewöhnliche Frauenfiguren so ungewöhnlich sind, dass sie sogar die gewöhnliche  Last der Hausarbeit zum ungewöhnlichen Vergnügen transformieren (entsprechende Szenen finden sich in „Pippi Langstrumpf”, „Mary Poppins” oder „Mrs. Doubtfire”).

Im Seriensektor (wo der Alltag der Figuren aufgrund der längeren Erzählzeit ohnehin eine grössere Rolle spielt und Hausarbeitsthemen speziell in Sitcoms immer wieder angeschnitten werden) öffnete „Desperate Housewives” den Blick hinter die biedere und immer Hochglanz polierte Welt der Hausfrauen - ein Konzept an welches auch die weniger bekannte Serie „Little Fires Everywhere” nach dem grossartige Roman von Celeste Ng anknüpfte.

Video: Haushalt und Musik

Von Küchenmusik und Wiener Gemüseorchester

Viel homogener und kreativer verankert ist der Haushalt und seine Geräusche in der neuen und experimentellen Musik. Hier stichst du in ein regelrechtes Wespennest der Klangprojekte. Vom britischen Musikproduzent Matthew Herbert der für ein Album ausschliesslich Sounds aus dem Offenbacher Club „Robert Johnson” sampelte (inklusive Toilettenspülung und Küchenklirren).

Über die berühmt gewordenen Videoschnipsel „Küchenmusik” der ersten Popakademie, welches Musik in ziemlich verschrobener Art und Weise in Industrieküche musizieren lässt. Oder die Kinderoper „Teufels Küche” des hochdekorierten Komponisten Moritz Eggert. Bis hin zum Wiener Gemüseorchester, das seine Instrumente komplett aus - naja - Gemüse schneidet, aber auch Geräte wie Entsafter oder Mixer einsetzt.

Video: Das Wiener Gemüseorchester

Haushalt, Heimat, Erforschen

Und erst hier wird klar, was Haushalt eben auch bedeutet: Heimat. Und aufwachsen. Erforschen. Mit Kinderaugen. Und Kinderhänden. Wenn es aus der Küche tönt und dröhnt. Wenn du selbst Kochlöffel und Topf zum Schlagzeug umbaust. Und schlägst und schlägst im Takt deiner ureigenen Anarchie und im Rhythmus von Staubsauger und Spülmaschine.

 

It's only Haushalt: Eine Ausstellung zum Thema

Lässt sich die Arbeit im Haus tatsächlich auf den Schmutz reduzieren? Die langweilige Routine? Das Ende jeder Kreativität? Müssen Frauen, um als Künstlerinnen ernst genommen zu werden, so tun, als wären sie frei von Hausarbeit? Könnte nicht genau das Gegenteil der Fall sein? Kann der Haushalt nicht auch als Quelle für Inspiration und meditative Gedankenspiele genutzt werden?

 

Mit diesen Fragen beschäftigt sich nun ein Kollektiv aus Kulturschaffenden. Die Kreuzlinger Künstlerin Anna Appadoo fertigt Collagen aus Gegenständen der Hausarbeit und setzt diese in ein romantisches Licht, Autorin Veronika Fischer hat die Rolle der (Haus-)Frau in der Kunstgeschichte neu interpretiert und mit Texten aus Putzratgebern, Werbeslogans und Revolutionsgedanken kombiniert. Hinzu kommen Beiträge aus dem Instagram-Projekt „Kitchen Planets“ von Mojca Osojnik, das andere Sichtweisen im Haushaltsuniversum ermöglicht und die Berliner Illustratorin Teresa Holtmann aka Frollein Motte steuert witzige Comics bei.

 

Die Ergebnisse werden seit dem 25. Oktober öffentlich präsentiert  und auf Plakaten in der Konstanzer Innenstadt sowie auf der Homepage https://its-only-haushalt.de/zu sehen. Der Haushalt wird somit aus den vier Wänden befreit, privates wird öffentlich, Unsichtbares sichtbar.

 

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