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von Katrin Zürcher, 28.09.2012

Ein halbes Jahrhundert voller Poesie

Ein halbes Jahrhundert voller Poesie
Beat Brechbühl bekam zu seinem Lyrikfest im Eisenwerk Frauenfeld eine Gedicht-Säule geschenkt. | © Katrin Zürcher

Seit fünfzig Jahren schreibt Beat Brechbühl Gedichte. Begonnen hat er seine schriftstellerische Karriere in Egnach. Heute besitzt er eine Druckerei und einen Verlag in Frauenfeld. Ein Leben ohne Lyrik mag sich der gebürtige Berner nicht vorstellen.

Katrin Zürcher

Beat Brechbühls Poesie blüht im Thurgau, zwischen dem Bodensee und Frauenfeld. Als er am 27. September 1962 seinen ersten Gedichtband veröffentlicht, arbeitet der damals 23-jährige Berner als Redaktor der jungen Zeitschrift „le clou“ in Egnach. „Spiele um Pan“ nennt er den Band. Genau fünfzig Jahre später, am 27. September 2012, feiert er diesen Anlass mit einem Lyrikfest im Eisenwerk Frauenfeld, mit Lesungen, Musik und mindestens fünfzig Gästen.

Zwischen Egnach und Frauenfeld liegen Berlin, Zürich und Pfyn, liegen Jobs als Schriftsetzer, Grafiker, Radiomacher, Diogenes-Herstellungsleiter und Zytglogge-Verlagsleiter. Vor allem aber liegt ein halbes Jahrhundert voller Poesie dazwischen. „Ich habe als 17-Jähriger angefangen, Gedichte zu schreiben“, sagt Beat Brechbühl, „und wenn ich einmal keine Gedichte mehr schreibe, bin ich tot.“ Er pausiert kurz: „Oder eine sich noch bewegende Leiche.“ Er erzählt gern, in Kreisen, die er weiter oder enger zieht, und immer wieder blitzt sein Humor auf. Die feine, poetische Ironie findet sich auch in vielen seiner Gedichte:

nachts, ziemlich später

Wenn ich meiner Geliebten
am Telefon Gutnacht gesagt hab
lege ich den Hörer
so sanft und sorgfältig hin so
Häuchlein
so Küsschen
und streicheln.

(Ergo geht dieser Hörer auch nie kaputt.)

Schlafen könne er sowieso nicht, sagt er, und so sei es meist spät in der Nacht, bis er endlich Zeit für seine Lyrik oder Prosa finde. Tagsüber trägt Beat Brechbühl das Übergwändli des Bleisetzers und Handpressendruckers oder das Hemd des Verlagsleiters – an diesem Septembernachmittag ist es ein blaukariertes, das zu seiner Augenfarbe passt. Sowohl die Druckerei als auch das Verlagsbüro liegen im Sous-Sol des Frauenfelder Eisenwerks, die Tür dazwischen steht offen.

Am Stehpult arbeitet eine Grafikerin; die soliden alten Druckmaschinen stehen still. Ein fremder Kater nutzt die Gelegenheit und schlüpft mit der Besucherin hinein, um sich am gefüllten Fressnapf der verlagseigenen Mieze gütlich zu tun. Als Beat Brechbühl erscheint, huscht der Kater sofort durch die Katzenklappe ins Freie. Brechbühl lacht: „Katzen faszinieren mich. Ich muss aufpassen, dass ich nicht wie andere Schriftsteller ende, die nur noch Katzengeschichten schreiben.“ Der 73-Jährige setzt sich an seinen Schreibtisch, auf dem sich Bücher und Papiere stapeln. Von hier aus leitet er den Waldgut-Verlag, den er 1980 gegründet hat und gern in jüngere Hände geben würde. Er kennt sowohl die Arbeit des Verlegers als auch die des Autors aus eigener Erfahrung.

Schriftliche Entschuldigung

Sehr geehrter Herr Verleger,
ich habe letzte Nacht
und viele letzte Nächte
eine Frau ihres Liebes-
kummers enthoben
und wieder in das verfluchte Leben
gebracht.
Ich bitte Sie, mir zu ver-
geben, dass mein Manuskript
3 Jahre später bei Ihnen
eintrifft.

Sein erstes Liebesgedicht schrieb Beat Brechbühl für eine biblische Figur. In seinem frommen Elternhaus in Oppligen, einem Dorf zwischen Bern und Thun, war die Bibel das einzige Buch und deshalb viele Jahre seine einzige Lektüre. „Die Frauen aus der Bibel, Sarah etwa, waren mir sehr vertraut.“ Später gab es, obwohl er „unglaublich schüchtern“ gewesen sei, reale Freundinnen, eine Ehefrau, eine Tochter. Seine jetzige Partnerin, mit der er seit dreissig Jahren zusammen ist, wohnt in Deutschland. Sein 2006 erschienener Lyrikband „Gedichte für Frauen und Balsaminen“ ist ihr gewidmet. Der Bodoni-Band ist schön gestaltet und bereits in zweiter Auflage erschienen.

Auch mit seiner Prosa hat Beat Brechbühl Erfolg, sogar über die Sprachgrenzen hinaus. Er zieht „Fussreise mit Adolf Dietrich“ aus dem Regal, mit japanischen Schriftzeichen und dem Bauerngärtlein von Dietrichs Nachbar in Berlingen auf der Umschlagrückseite, die in Japan die Vorderseite ist. Auch eine Auswahl seiner Gedichte wird in Japan gern gekauft, was ihn besonders freut. „Ohne Lyrik kann ich einfach nicht sein“, erklärt er seine Liebe zu Gedichten, „gute Lyrik ist reine Sprache.“ In den letzten beiden Abschnitten seines Gedichts „Das Wesen der Lyrik“ formuliert er es so:

Lyrik
ist
ein Gedicht an dem ich immer lebe,
und manchmal schreibe.

Lyrik
ist
alles.

& das Salz dazu.

***

Gedichte aus: Beat Brechbühl: Gedichte für Frauen und Balsaminen, Bodoni Druck 29, Waldgut Verlag 2006, sowie: Beat Brechbühl, Vom Absägen der Berge, Nagel & Kimche Verlag 2001

*****

„Eine Aneinanderreihung von Glücksfällen“

Eigentlich wollte Beat Brechbühl an seinem Lyrikfest vom Donnerstagabend nichts sagen, aber dann trat er doch ans Mikrofon. „Danke danke danke“, sagte er zu seinen Autoren, Freunden und Besuchern. „Diese fünfzig Jahre sind keine Leistung, sondern eine Aneinanderreihung von glücklichen Umständen.“ Das Geschenk des Architekturbüros Staufer & Hasler ans Frauenfelder Eisenwerk ist ein Gedicht von Beat Brechbühl, das nach seiner Enthüllung nun dauerhaft einen Stützpfeiler im Foyer schmückt. „Eisenwerk Baobab“ ist Brechbühls lyrische Hymne ans Eisenwerk.
(kaz.)

*****

Ergänzend hier der Bericht der Thurgauer Zeitung.

 

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