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Russische Künstler:innen müssen draussen bleiben

Russische Künstler:innen müssen draussen bleiben
Darf nicht in der Kartause Ittingen spielen: Die russische Cellistin Anastasia Kobekina. | © Julia Altukhova

Die Kartause Ittingen sagt ein geplantes Konzert der Cellistin Anastasia Kobekina ab. Weil sie Russin ist. Wie konnte das passieren? Eine Rekonstruktion.* (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Es ist der 24. Februar 2022: Am Morgen beginnt die russische Armee mit ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine und um 22 Uhr am Abend postet die junge russische Cellistin Anastasia Kobekina ein Video auf ihrem Facebook- und Instagram-Profil.

Es zeigt sie bei einem Konzert mit ihrer ukrainischen Kollegin Anna Fedorova, darunter steht der Hashtag #notowar. Um die Wucht dieser Aktion zu verstehen, muss man wisssen: Auf Instagram hat sie fast 50’000 Follower, auf Facebook etwa 2’200.

 

Keine Woche später, am 2. März 2022, veröffentlicht Kobekina auf beiden Social-Media-Plattformen ein schwarzes Bild und darunter diesen Text: „The horrifying acts of violence are taking place in Ukraine. There can not be any goodwill or adequate reason to justify the sacrifice of human lives, to justify the war. I can’t and won’t accept that this war is going on my behalf as a Russian citizen. I am devastated. This tragedy should be stopped as soon as possible. Peace should be restored.“

„Musik kann nicht den Krieg stoppen, aber kann trösten und Hoffnung geben.“

Anastasia Kobekina, Cellistin

Wenige Tage später gibt die 28-Jährige ein Konzert in Essen. Und erklärt sich wieder einmal sehr klar. Die Tageszeitung „Neue Ruhr Zeitung“ notierte zu dem Abend: „Der Saal hält den Atem an, als sich die russische Cellistin Anastasia Kobekina am Ende ihres Konzerts ans Publikum wendet und ihre Abscheu vor dem Krieg in der Ukraine erklärt: „Musik kann nicht den Krieg stoppen, aber kann trösten und Hoffnung geben.“

Mindestens drei Mal hat sich die junge Cellistin, die seit 10 Jahren in Deutschland lebt, also zum Horror des Krieges in der Ukraine ziemlich unmissverständlich geäussert. Und trotzdem darf sie ihr geplantes Konzert in der Kartause Ittingen am 20. März nicht spielen (die Thurgauer Zeitung berichtete zuerst über die Absage).

Klickt man auf der Website der Künstlerin den Termin mit dem Konzert in der Kartause an, landet man zwar auf der Seite der Kartause Ittingen, bekommt aber nur die Meldung „Diese Seite existiert nicht“. Alle Links und Verbindungen sind gekappt. Was für ein symbolisches Bild.

 

„Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber wir mussten eine Entscheidung treffen.“

Heinz Scheidegger, Prokurator der Stiftung der Kartause Ittingen

Fragt man Heinz Scheidegger, Prokurator der Stiftung der Kartause Ittingen, nach den Gründen für diese Absage, dann holt er erstmal tief Luft: „Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber als die Diskussionen um Anna Netrebkos Engagement am Opernhaus Zürich liefen war es noch zwei Wochen bis zu unserem geplanten Konzert mit Frau Kobekina. Wir mussten eine Entscheidung treffen.“

Das Thema sei nicht einfach und als Veranstalter wolle man niemanden in Sippenhaft nehmen, sagt Scheidegger, „aber wir wollten in der jetzigen Situation auch ein Zeichen setzen, dass es nicht einfach so weitergeht wie bisher.“

Die Entscheidung sei keineswegs gegen die Künstlerin Anastasia Kobekina gerichtet, auch nicht gegen russische Künstler:innen insgesamt, aber letztlich habe die Geschäftsleitung diesen Entscheid in Absprache mit dem Stiftungsrat so gefällt. „Und dazu stehen wir auch noch heute“, ergänzt Scheidegger.

Russische Künstler:innen werden bis auf Weiteres nicht mehr eingeladen

Hört man ihm ein bisschen länger zu, dann klingt da auch eine gute Portion Hilflosigkeit und Überforderung im Umgang mit der aktuellen Lage heraus.

„Wir haben uns viele Fragen gestellt. Zum Beispiel, ob wir überhaupt entscheiden können, ob jemand putin-nah ist, oder nicht. Dürfen wir als Veranstalter überhaupt Fragen nach der politischen Gesinnung unsrer Künstler:innen stellen? Wie glaubwürdig sind öffentliche Distanzierungen in den sozialen Medien?“ Letztlich war die Unsicherheit in all diesen Fragen offenbar so gross, dass man sich für einen Komplett-Ausschluss russischer Künstler:innen entschied.

Das soll bis auf Weiteres auch über den Einzelfall hinaus gelten: Mindestens so lange bis sich die Situation in der Ukraine entschärfe, so Scheidegger.

 

„Am Ende standen wir vor vollendeten Tatsachen.“

Jürg Hochuli, Konzertmanager

Jürg Hochuli ist auch Tage nach der Entscheidung noch aufgewühlt. Seit 27 Jahren darf er klassische Konzerte für die Kartause Ittingen programmieren, er war auch Veranstalter des Kobekina-Konzertes, aber so etwas wie jetzt gab es aus seiner Sicht noch nie: „Ich kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen. Ich habe mich gegenüber der Kartause klar gegen eine Ausladung ausgesprochen und auch versucht zu argumentieren, warum es falsch ist, jetzt eine Künstlerin zu bestrafen, die sich deutlich gegen den Krieg positioniert hat.“

Er sei nicht durchgedrungen mit Argumenten: „Am Ende standen wir vor vollendeten Tatsachen“, sagt Hochuli. Die Idee seiner langjährigen Mitarbeiterin Henriette Joppien dann, das Konzert noch in ein Benefizkonzert für die Ukraine «umzuwandeln», sei nicht angekommen.

Heinz Scheidegger von der Stiftung der Kartause Ittingen bestätigt, dass es diesen Vorschlag gegeben habe, er habe aber nicht überzeugt. „Mit einem Benefizanlass hätten wir nur ein Mäntelchen über alles gelegt und alles wäre weiter gegangen wie geplant. Wir wollten aber den bewussten Bruch mit den üblichen Wegen, um eine breite Diskussion anzustossen“, sagt Scheidegger.

Video: So klingt Anastasia Kobekinas Musik

Wurde Kobekina zum Verhängnis, dass sie Putin nicht direkt verurteilte?

Zum Verhängnis würde Anastasia Kobekina vermutlich auch, dass sie sich zwar klar gegen den Krieg, aber nicht direkt zum Kriegstreiber Wladimir Putin geäussert hat. Das war schon die Haltung, die auch das Opernhaus Zürich dazu brachte, die Zusammenarbeit mit Anna Netrebko vorerst aufs Eis zu legen.

Gregorz Kotow seufzt ein bisschen, wenn man ihn auf die aktuelle Situation anspricht. Er muss gerade viele Fragen nach politischer Gesinnung beantworten. Dabei ist er doch eigentlich Konzertmanager und Künstlervertreter. Mehrere russische Künstlerinnen zählen zu seinen Klient:innen, darunter auch Anastasia Kobekina.

Ein Manager, der gerade mehr politische als musikalische Fragen beantworten muss

Die Situation sei gerade für alle schwierig. „Anastasia ist traurig, dass ihr Konzert in Ittingen abgesagt wurde. Erst recht, da sie sich oft und klar gegen den Krieg ausgesprochen hat.“

Dafür, dass sie nicht genauso klar gegen Putin Stellung beziehen könne, bitte er um Verständnis - Kobekinas Familie lebt noch in Russland. Und mit deutlicher Kritik am Autokraten würde sie die in noch grössere Gefahr bringen als ohnehin schon, ist Kotow überzeugt.

An der Stelle kann man auch noch mal an eine der klügeren Passagen aus der Netrebko-Erklärung des Opernhauses Zürich erinnern. Darin hiess es unter anderem: «Wir halten es grundsätzlich nicht für angemessen, aus der Perspektive einer westeuropäischen Demokratie, die Entscheidungen und Handlungen von Bürgerinnen und Bürgern repressiver Regime zu beurteilen.»

Aber zurück ins Künstlerbüro von Gregorz Kotow im deutschen Hannover. Die Entscheidung der Kartause, das Konzert abzusagen bezeichnet Kotow als Fehler. Bislang sei es allerdings die einzige Absage eines Konzertes der Cellistin. Er bemühe sich nun darum, Ersatzkonzerte für seine Künstlerin zu organisieren. „Sie hat auch längst ihre Bereitschaft erklärt, Benefizkonzerte für die Ukraine zu spielen“, sagt Gregor Kotow.

 

„Ich rufe zum Überdenken der armseligen Handlung und zu einer umgehenden öffentlichen Entschuldigung auf.“

Oliver Schnyder, Pianist und früherer Leiter der Ittinger Pfingstkonzerte (Bild: Marco Borggreve)

Während es für Anastasia Kobekina auch ohne das Konzert in Ittingen weitergehen wird, stehen der Kartause Ittingen wohl einige ungemütliche Tage bevor. Die Wut und das Unverständnis über den Rauswurf von Anastasia Kobekina ist gross in den sozialen Medien.

Oliver Schnyder, Pianist und Gastintendant der Ittinger Pfingstkonzerte 2016, schreibt auf Facebook: „Der Entscheid enttäuscht mich und bringt Schande über einen Kraftort der inneren und äusseren Einkehr. Ich rufe zum Überdenken der armseligen Handlung und zu einer umgehenden öffentlichen Entschuldigung auf. Wäre ich in Anastasias Situation würde ich rechtliche Schritte prüfen. Wegen Vertragsbruch und Diskriminierung.“

 

Oliver Schnyders Kommentar auf Facebook.

 

Worte, die offenbar auch an dem Prokurator der Kartause Ittingen nicht spurlos vorbei gehen. „Wir stehen zu unserer Entscheidung. Aber ob sie richtig war, kann ich ihnen erst in einem halben Jahr sagen“, sagt Heinz Scheidegger zum Abschied.

* Disclaimer: In einer früheren Version des Textes hiess es im Lead des Textes noch zusätzlich «Und nun wird das Ganze auch noch zum Präzedenzfall: Ab sofort werden keine russischen Künstler:innen mehr in die Kartause eingeladen.» Inzwischen (31. März) hat die Kartause Ittingen ihre Haltung in diesem Punkt präzisiert. Es würden nun nicht grundsätzlich keine russischen Künstler:innen mehr eingeladen, teilt die Kartause mit, sondern die Frage stelle sich derzeit nicht. Erst im Herbst beginne das weitere Konzertprogramm und dann hoffe man, dass die Lage in der Ukraine befriedet sei. Daraufhin haben wir unseren Leadsatz entsprechend angepasst.

Kommentar zum Thema: Gefährlicher Kurzschluss: Wenn wir jetzt die kriegskritischen russischen Künstler:innen kalt stellen, hat Putin gewonnen. Warum die Absage des Konzertes von Anastasia Kobekina in der Kartause Ittingen falsch ist. Ein Kommentar

 

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