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von Andrin Uetz, 23.12.2020

Von Zweifeln und Hoffnung

Von Zweifeln und Hoffnung
Zumindest das: Zum Segeln auf dem Bodensee war 2020 ein sehr gutes Jahr, findet unser Korrespondent Andrin Uetz. | © Samuel Weniger

«Mein seltsames Jahr 2020»: Thurgaukultur-KorrespondentInnen erzählen von ihrem Corona-Jahr und worauf sie für 2021 hoffen. Heute: Andrin Uetz.

„Flight LX 139 to Zurich is now boarding” waren die ersten Worte, die ich im Jahr 2020 hörte. Ich befand mich am Gate des Hong Kong International Airport. Im Gepäck Feldaufnahmen und Erinnerungen, welche mich über Jahre beschäftigen werden. Die Stadt war bereits 2019 im Ausnahmezustand. Ein letztes Aufbäumen der Protestbewegung bevor die Regierung im Juni 2020 endgütig den Riegel schieben wird.

Irgendwann war die Schweiz im Lockdown. In den ersten Monaten empfand ich die Verlangsamung als befreiend. Über Jahre hinweg war ich rastlos; Konzerte, Konferenzen, Reisen; zwar interessant, aber ebenso anstrengend. Plötzlich bewegte ich mich nur noch zwischen Rheintal und Bodensee, las im Schatten einer Silberpappel, trank Tee, ging Segeln. Endlich ging es auch mit dem Schreiben meiner Dissertation voran.

Verschwende ich hier nicht bloss meine Ressourcen?

Ende September holten mich Zweifel ein. Die fehlenden Perspektiven, die prekäre Lage für Akademiker*innen und Kulturschaffende, kaum Einkommen. Der Suizid eines Freundes – auch er Sänger und Musikwissenschaftler – brachte das Fass zum überlaufen. Ich konnte gut arbeiten, indem ich mir einredete, dass das, was ich zur Zeit mache, in Zukunft an Wert gewinnen könnte. Nun schien es mir, dass ich bloss meine Ressourcen verschwendete.

Heute geht es wieder besser. Alles läuft noch auf Sparflamme, kostet mehr Kraft, geht nur langsam voran. Meine Wahrnehmung der Zeit ist irgendwie verschroben. Erinnerungen bis zurück in die Kindheit vermischen sich mit einer opaleszierenden Gegenwart. Oft gehe ich im Nebel durch die Nacht. Manchmal spricht der Wind zu mir, erzählt aus fernen Zeiten. In der Dunkelheit übernehmen das Gehör, die Nase und die Haut die Navigation. Was ich mir für das Jahr 2021 wünsche? Zeit. Nur leider ist das in unserem Land ein teures Gut.

Die ganze Serie «Mein seltsames Jahr 2020»

In unserer Mini-Serie «Mein seltsames Jahr 2020» erzählen Thurgaukultur-KorrespondentInnen von ihrem Corona-Jahr und worauf sie für 2021 hoffen.

 

Alle vier Teile im Überblick

 

Samantha Zaugg: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/4700

 

Andrin Uetz: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/4699

 

János Stefan Buchwardt: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/4698

 

Inka Grabowsky: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/4697

 

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