Religion und Remmidemmi

Am Samstag spielten Simon & Jan in Kreuzlingen. Die Gewinner des Deutschen Kleinkunstpreis füllten das Theater an der Grenze am dritten KiK-Abend bis auf den letzten Platz.
David Nägeli
Man kann sich gut vorstellen, wie das alles begonnen hat: Eine Studenten-WG in Oldenburg, zwei Lehramt-Studenten, zwei Gitarren und viel Zynismus. Am Küchentisch werden in Kapuzenpullover Simon & Garfunkel-Songs gezupft und die bösen Bemerkungen über Polit-Promis wandern in die Musik und einige Jahre später hört man die Songs im Vorprogramm von Götz Widmann, dann im Quatsch Comedy Club – und dann hagelt es Preise. Zurecht.
Stets mit gerunzelter Stirn: Jan Traphan (rechts) übernimmt den Lead im Duo.
Die Musik von Simon Eickhoff und Jan Traphan erinnert an Simon & Garfunkel, aber auch an das legendäre Bonner Liedermacher-Duo Joint Venture. Die beiden Gitarren umspielen sich genau so hübsch, wie die Gesangsstimmen der beiden. Mit Hilfe eines Loop-Gerätes lassen die beiden mehrstimmige Chor-Gesänge entstehen, die weinende Babys zum Schlafen bringen könnten. Wären da nur nicht diese Texte.
«Die Frage ist, was die Welt im Innersten zusammenhält / Der eine sagt: "Die Vernunft", der andere sagt: "Der Verstand"», singen Simon & Jan in harmonischem-wohligem Gesang. Ihre Antwort auf die grosse Frage: «Ich mach kilometerlange Märsche / Für Titten und Ärsche.»
Mit dem Burger auf dem Kopf liebliche Melodien zupfen und Gotteslästerung betreiben: Simon & Jan kennen wenig Anstandsgrenzen.
Der Gegensatz zwischen der bittersüssen Begleitmusik und den bitterbösen Behauptungen wirkt grossartig – auch als Kontrast zum pompösen Wohlfühlpop der Kommerzradios oder den Sommerferien-Schlager im Rap-Gewand. Doch ganz so obszön geht es meist nicht zu und her: Simon & Jan widmen sich auch etwas ernsthafter den grossen Fragen der Menschheit.
«Ach Mensch», der Titel- und Schlusssong ihres gleichnamigen, zweiten Programmes, versucht sich an der Gretchenfrage: Für Gott hätte der Mensch die Kinder beschnitten, die Frauen verschleiert, die Hexen verbrannt und die Messdiener gefickt, singen sie. Das Fazit: «Ach Mensch, du suchst nur nach Sinn / Nimm es doch einfach mal so hin / Mit den Geboten, da bin ich flexibel / Gib mir Hoffnung und ich scheiss auf meine Bibel».
Neben den Liedern lassen Simon & Jan wenig von sich hören. Simon sitzt grinsend mit Dreadlocks und im Kapuzenpullover auf der Bühne und zuckt mit meditativer Gelassenheit die Schultern, als Jan mal den Text vergisst. Dieser predigt mit stark gerunzelter Stirn und gebrochener Stimme, dass es nach einem langen, harten Leben nur noch einen Ausweg gibt: Volksmusik und Herzschrittmacher, die im Drei-Viertel-Takt schlagen. Den Soundtrack liefern die beiden gleich mit und singen fröhlich: «Herzelein, du musst nicht traurig sein».
Neben der Anspielung auf den Schlagerklassiker und den Goethe-Zitaten spielen Simon & Jan auf vielerlei weitere Werke an: Ein Klassik-Stück über den jungen Mozart, Melodie-Fragmente aus Pop-Klassikern, eine Liedzeile von den Fantastischen Vier – das Sammelsurium macht das Programm zugänglicher, auch heimeliger.
Den Höhepunkt findet das Jonglieren mit der Popkultur in der ersten Zugabe: Beim Akustik-Cover des Deichkind-Klassikers «Remmidemmi» singt das ganze Theater an der Grenze mit. Und wer einen Saal voller Menschen im meist mittleren Alter dazu bringt, «Yippie Yippie Yeah, Yippie Yeah / Krawall und Remmidemmi» mitzusingen, der hat definitiv einen Preis verdient*.
*Was bleibt
Der Text des Deichkind-Songs liest sich wie folgt:
«Deine Eltern sind auf einem Tennisturnier / Du machst eine Party, wie nett von dir [...] / Impulsive Menschen kennen keine Grenzen / Schmeiss die Möbel aus dem Fenster, wir brauchen Platz zum Dancen.»
Man stelle sich vor, die Eltern sind nicht auf einem Tennisturnier, sondern besuchen eine Kabarett-Vorstellung in Kreuzlingen. Und während sie dort «Krawall und Remmidemmi» singen, findet bei ihnen Zuhause eine Teenager-Party statt, an der der Originalsong auf voller Lautstärke gespielt wird. Insgeheim hoffe ich darauf, dass das in Kreuzlingen geschah, oder noch anderswo auf der Tour von Simon & Jan geschehen wird.
*** In unserer neuen Reihe "Was bleibt..." sammeln wir alle Eindrücke, Lehren, Gedankenschätze und auch kritische Beobachtungen, die unsere KorrespontentInnen von den Veranstaltugnen zurück mit in die Redaktion bringen.
Sie waren auch bei der Vorstellung und hatten einen ganz anderen Eindruck? Lassen Sie es uns wissen! Hier in den Kommentaren oder per E-Mail oder Kommentar auf Facebook und Twitter. Wir freuen uns! ***
Mehr über das KIK-Festival:
15.02.2016 / Kulturasylanten mit Blockflöten im Blätterwald
20.01.2016 / Professionell schräg
Die nächsten Veranstaltungen:
25.02.2016 Hagen Rether
26.02.2016 Sebastian Krämer
27.02.2016 Duo Luna-tic
03.03.2016 Simon Enzler
04.03.2016 Ehnert vs. Ehnert mit Verlosung
05.03.2016 Fabian Unteregger
08.05.2016 Egersdörfer und Fast Fürth
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