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08.06.2020

Was der See über Thurgauer Geschichte verrät

Was der See über Thurgauer Geschichte verrät
Das Forschungs-Team bei den Bohrarbeiten im November 2019. | © Amt für Archäologie des Kantons Thurgau, Urs Leuzinger

Wie haben sich die Umwelt- und die Lebensbedingungen in der Jahrtausende währenden Besiedlungszeit des Thurgaus verändert? Das ist bis heute nicht umfassend untersucht. Ein neues Projekt der Universität Basel und des Amtes für Archäologie Thurgau will das ändern.

Wie sah der Thurgau in römischer Zeit aus? Wie war die Landschaft während des Konstanzer Konzils von 1414–1418? Wie beeinflusste der Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert die Waldentwicklung? Ohne umfassende Grundlagendaten aus natürlichen Umweltarchiven in der südlichen Bodenseeregion sind solche historischen Fragen kaum zu beantworten.

Dies könnte sich in den nächsten Jahren ändern: Das Amt für Archäologie Thurgau hat in Kooperation mit der Universität Basel das Projekt «Klima, Mensch und Umwelt im Thurgau» (KUMiT) ins Leben gerufen, das die Gewinnung von Grundlagendaten zu Umwelt, Klima und menschlichem Einfluss während der letzten 15'000 Jahre anstrebt. Das hat das Amt für Archäologie jetzt in einer Medienmitteilung erklärt.

«Wir rollen mit der Analyse der Bohrkerne die Umweltgeschichte des Kantons Thurgau neu auf und schaffen dabei Links zur Archäologie und zur Geschichte.»

Oliver Heiri, Geoökologe der Universität Basel

Um Veränderungen in der Umwelt zu untersuchen, wirft das Projekt dabei einen genaueren Blick auf die so genannten Seesedimente. Das sind biologische Überreste, die sich über Jahrtausende am Grund von Seen abgelagert haben. Sie lassen sich mittels Bohrungen erschliessen. Dafür hat das Forschungsteam die Kleinseen Bichel- und Hüttwilersee ausgewählt, die beide in Privatbesitz sind.

Im Herbst 2019 entnahm das Team aus beiden Seen Bohrkerne, die eine durchgehende Sedimentabfolge enthalten. «Wir sind froh, dass dies so gut gelungen ist», kommentiert der Projektleiter PD Dr. Urs Leuzinger vom Amt für Archäologie Thurgau diese Arbeiten, «denn gebohrt wird von Hand und gerade das manuelle Herausziehen der meterlangen Sedimentsäulen aus dem Seegrund ist anspruchsvoll».

Dr. Fabian Rey bei der ersten Begutachtung der aufgetrennten Sedimentkerne im Labor. Bild: Universität Basel, Oliver Heiri

Was die Seeablagerungen verraten

Der rund sieben Meter lange Kern aus dem Bichelsee deckt eine Zeitspanne vom Spätneolithikum (um 3200 v. Chr.) bis heute ab. Die 13 Meter lange Sedimentsäule aus dem Hüttwilersee reicht von der ausgehenden letzten Eiszeit (ca. 15'000 Jahre vor heute) bis in die Gegenwart. Diese Sedimentkerne werden nun im Labor des Departements Umweltwissenschaften präpariert und untersucht.
 
«Dieses Projekt zeigt anhand eines konkreten Fallbeispiels, wie Umweltrekonstruktion funktioniert», erklärt der Geoökologe Prof. Dr. Oliver Heiri vom Departement Umweltwissenschaften, der für die Laborarbeiten verantwortlich ist. «Wir rollen mit der Analyse der Bohrkerne die Umweltgeschichte des Kantons Thurgau neu auf und schaffen dabei Links zur Archäologie und zur Geschichte», resümiert Heiri.

Ein beprobter Sedimentkern. Die abwechselnd hellen und dunklen Stellen zeigen Kälte- und Wärmeperioden. Bild: Universität Basel, Christian Flierl

Wie die Wissenschaftler arbeiten

Wie die Analyse funktioniert, erklärt Dr. Fabian Rey, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Projekt beteiligt ist. Das Team entnimmt in regelmässigen Abständen Stichproben aus den Sedimentkernen. Diese werden dann gesiebt und chemisch aufbereitet und so von unerwünschten Bestandteilen wie zum Beispiel Kalk- und Tonpartikel gereinigt.

Was danach kommt, ist wiederum aufwändige Handarbeit: Die Forschenden bestimmen und zählen die mikroskopisch kleinen biologischen Überreste – beispielsweise Pollenkörner oder Insektenreste. Anhand dieser Analyse können sie danach zum Beispiel zeigen, ab wann sich die Kastanie in der Gegend ausbreitete oder Flachs angebaut wurde.

«Das A und O dieses Projektes ist es, dass das Alter unserer Proben mittels vieler Radiokarbondatierungen genau bestimmt wird», sagt Rey, «denn so lassen sich auch Veränderungen in kurzen Zeiträumen genau beschreiben».

«Die Sedimentkerne sind wie ein Geschichtsbuch.»

Urs Leuzinger, Archäologe des Kantons Thurgau (Bild: Sascha Erni)

Einige Proben sind bereits ausgezählt, was den Forschenden schon heute die Formulierung erster Erkenntnisse erlaubt. So haben sie herausgefunden, dass es rund um den Bichelsee in der Bronze- und Eisenzeit zu grösseren Waldrodungen und verstärkter Bodenerosion gekommen ist.

Ausserdem konnten sie, wie in anderen Sedimentkernen aus der Schweiz, das Aufkommen von Walnuss und Esskastanie in jüngeren Sedimentabschnitten verorten. «Die Sedimentkerne sind wie ein Geschichtsbuch», erklärt Leuzinger. Dieses gilt es nun zu entziffern.

Bis die Hundertausenden von Pollenkörnern, Algen- und Insektenresten ausgezählt und bestimmt sind und umfassende Umwelt- und Klimadaten vorliegen, dauert es aber noch einige Zeit. Ein Abschluss der Auswertungen ist in rund drei Jahren vorgesehen. Die finanziellen Mittel für das Kooperationsprojekt «Klima, Mensch und Umwelt im Thurgau» stammen aus dem Walter Enggist-Fonds.

Bei der Betrachtung unter dem Mikroskop sind in den Proben Pollenkörner, weitere biologische Überreste sowie hinzugefügte Zählhilfen (eingefärbte rote Lycopodium-Sporen) sichtbar. Bild: Universität Basel, Christian Flierl

 

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