von Andrin Uetz, 05.07.2023
Transzendenz einer lauen Sommernacht
Noch bis 23. Juli zeigt die Kunsthalle Arbon Arbeiten von Barbara Signer. Beim Konzert des Trios News3Art entstanden spannende Beziehungen zwischen Musik und Kunst. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Eigentlich passte es ganz gut, dass unweit der Kunsthalle Arbon das internationale Treffen des Goldwingclub Schweiz stattfand. Denn diese Wohnmobile auf zwei Rädern gehören genauso in die 1990er Jahre, wie der titelgebende Eurodance-Song „The First the Last Eternity” der deutschen Band SNAP!
Während dem das Volksfest mit Guggenmusik und Motorenlärm vor sich hindröhnte, fand sich im von der Abendsonne erhitzten Industriegebäude um 19:30 Uhr zum Konzert des Trios New3Art eine interessierte Hörerschaft. Auf dem Programm standen „Kontakte”, ein Pionierwerk der elektroakustischen Musik von Karlheinz Stockhausen aus den Jahren 1958-60, sowie das Auftragswerk „Geschichten der Gewalt” (2023) des Komponisten Antoine Chessex (*1980) und eine Improvisation mit Jens Ruland am Schlagzeug, Judith Wegmann am Piano und Robert Torche an den Tonband-Geräten.
Video: Trailer zum aktuellen Programm von New3Art
Fast ein bisschen viel verlangt
Die Kunsthalle Arbon hat es sich zur Gewohnheit gemacht, zu jeder Ausstellung ein Konzert zu veranstalten. Dabei kann und darf es zu Reibungen kommen mit den Kunstwerken und der eigenwilligen Industriehalle, was den Reiz dieser Veranstaltungen ausmacht. Wer sich gemütlich in einen gepolsterten Sessel im Konzerthaus setzen will, hat andere Optionen.
Dennoch wurde diesmal etwas viel abverlangt vom Publikum, wenn bei grosser Hitze fast eineinhalb Stunden Stockhausen, Improvisation und Neue Musik zum Besten gegeben wurde. Allein das aufwendige Instrumentarium mit Flügel, riesigem Perkussionsappart, Tonbandmaschinen, und vier Lautsprechern für das immersive Hörerlebnis beanspruchten etwas gar viel Raum für sich. Oder anders gesagt: Man sah vor lauter Instrumenten die Kunst fast nicht mehr.
Musikalisch war es aber durchaus interessant, vor allem die minimalistische Komposition von Antoine Chessex sowie die Improvisation mit den Tonbandgeräten erzeugten mit Drones und Interferenzen klangvolle Stimmungen, die ein symbiotisches Verhältnis zu den Skulpturen von Barbara Signer eingingen. Stockhausen war sowieso beeindruckend, aber ein derart komplexes Werk beansprucht eben auch sehr viel Platz für sich.
Die Nacht gehört den Liebenden
Wie auf dem Programm angekündigt, begann nach dem Ernst der E-Musik ein Sommernachtsfest, und mit dem Eindunkeln und Aufräumen der Instrumente verwandelte sich die Kunsthalle in eine zauberhafte Gartenlandschaft für Nachtschwärmer:innen. Bei Pisco Sour und einem DJ Set von Bit-Tuner entstand eine cineastische Grundstimmung, bei der sich die Synthesizer- und Techno-Klassiker von Ryūichi Sakamoto und Brian Eno und die Skulpturen wie Komplementärfarben gegenseitig zum Leuchten brachten.
Wirkte Barbara Signers, an Ballontore von Gartenfesten angelehnte, „Gate I (Eternity)” (2023) bei Tageslicht noch wie eine gespenstische Erinnerung an ein längst verjährtes Hochzeitsfest, so leuchten die mit Polyurethan zur festen Plastik gebildeten Ballone nun wie ein Tor zu einer intensivierten Gegenwart.
Solaris und andere Dimensionen
Eine Strassenlaterne wirft ihr Licht in einen mit schwarzer Folie und Wasser angedeuteten Teich bei „Gate II (Looking into a very deep pond)” (2023), wobei die Laterne durch den kurzen Mast überdimensional gross wirkt, und das dunkle Nass als schimmernde Oberfläche umso geheimnisvoller wirken lässt.
Sowohl der Roman „Solaris” von Stanislav Lem als auch dessen Verfilmung durch Andrei Tarkowski scheinen hier anzuklingen, zumal Barbara Signer mit einfachen Mitteln eine feinsinnige psychologische Wirkung erzeugt, wie das Tarkowski in der berühmten Szene mit einer Autofahrt durch Tokio gelingt, oder Lem durch die detailreiche Beschreibung dieses intelligenten extraterritorialen Wesens, welches ein Gewässer ist auf einem Planten, und gleichzeitig als Spiegel für die Unzulänglichkeiten der Menschheit fungiert.
Garnelenhände und Gurkensuppe
„Gate III (Warten)” (2023) besteht aus einer Mosaik-Bank und einer Fieberglas-Blume mit LED Leuchten, welche Signer in einem Lunapark in Neapel entdeckt hat, und nun als Skulptur nachbilden liess. Das blinkende Licht fungiert dann um 23 Uhr auch gleich als Disco-Beleuchtung für die Performance der norwegischen Künstlerin Nathalie Price Hafslund, die als grotesk-divaeske Sängerin Garnelen als Fingernägel trägt, und diese mit expressiven Bewegungen zu ihrer Varieté-haften Gesangseinlage auf den Boden fallen lässt.
Als dadaistische Eurovision-Dekonstruktion passt die Performance hervorragend ins surreale Setting, wobei es Hafslund gelingt ganz selbstverständlich zu einem Teil der Installation zu werden, wie ein mythisches Wesen oder ein Cyborg in einem Science Fiction Film, wobei einmal mehr der Bezug zu Solaris mit der Figur von Harey gemacht werden könnte.
Mit Gurkensuppe, Drinks und weiterer Musik von Bit-Tuner dürfte das Sommernachtsfest in der Kunsthalle noch bis in die späte Nacht angedauert haben.
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