von Inka Grabowsky, 02.12.2022
Tanz ist Verständigung
Claudia Heinle hat sich hier längst einen Namen als Expertin für ägyptischen Tanz gemacht. Für ein internationales Projekt reist sie nun nach Alexandria. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Ein bisschen aufgeregt ist Claudia Heinle schon. Anfang Dezember fliegt sie nach Ägypten. Endlich kann sie das Projekt «Salam» umsetzen, mit dessen Planung sie vor drei Jahren begonnen hat.
Es geht um die Entwicklung einer Performance bestehend aus Tanztheater und Video-Installation mit Laien aus Europa und Ägypten. «Angefangen hat alles bei einem Auftritt in Alexandria im Januar 2019», erzählt die Tänzerin und Choreografin.
Eine Performance mit Laien
«Wir stellten fest, dass Kommunikation zwischen Ost und West auf Augenhöhe durch den Tanz gelingt.» Die Kreuzlinger Compagnie tanz raum nahm sich vor, mit Laien eine Performance zu universellen menschlichen Themen wie Leben und Tod zu erarbeiten.
Das Pilotprojekt ging noch im gleichen Jahr über die Bühne. Teilnehmende und Künstlerinnen waren gleichermassen begeistert. Doch dann kam die Pandemie und alle Pläne waren Makulatur.
Transformationsprojekt als wichtige Zutat
Statt auf Reisen zu gehen, war die Compagnie tanz-raum auf sich selbst zurückgeworfen. Claudia Heinle nutzte die Zeit für ein Transformationsprojekt, gefördert mit kantonalen Mitteln.
Sie schuf zwei Videos zum Thema Tod, Endlichkeit und Ewigkeit, die den ägyptischen Tanz mit seiner Körpersprache in europäische symbolkräftige Schauplätze versetzte: in den Glockenturm des Konstanzer Münsters und in einen Wald oberhalb von Münsterlingen.
Diese beiden Filme waren im Rahmen einer interaktiven Installation im Kreuzlinger Kult-X und im Konstanzer Richentalsaal zu sehen. Nun bildet die Installation den Hintergrund, vor dem sich Tanzszenen entwickeln sollen.
Teilnehmende aus Ost und West
Zum Workshop in Alexandria reisen Frauen aus Italien, Deutschland, der Schweiz und Frankreich an. Die meisten der 16 Teilnehmenden – Männer wie Frauen – kommen aber aus Ägypten.
Einige hat das Kulturzentrum der Jesuiten vor Ort per Facebook-Aufruf mobilisiert, andere waren schon beim Projekt 2019 dabei. «Von einer Frau habe ich eine Voice-Mail bekommen, dass sie sich freut, wieder mitmachen zu können. Sie sagte, das Projekt habe ihr geholfen, sich selbst zu erkennen, was ich unglaublich schön finde», sagt Claudia Heinle.
Die Teilnahme kostet 300 Pfund (11,50 Franken) für die zehn Tage. «Es geht weniger um die Summe als mehr um das Commitment. Wenn etwas gratis ist, fühlt man sich nicht für die ganze Dauer des Projekts gebunden.»
Zeitgenössischer Tanz in ägyptischer Ästhetik
Die Profis sind auf engagierte Teilnehmende angewiesen, um ein anspruchsvolles Ergebnis schaffen zu können. Denn Selbsterkenntnis, Pädagogik und kultureller Austausch sind Mittel zum Zweck. Das Ziel von Claudia Heinle und der Tänzerin und Perkussionistin Caroline Chevat ist es, zeitgenössischen Tanz in ägyptischer Ästhetik zu präsentieren.
«Natürlich ist es eine gewisse Form von kultureller Aneignung.»
Claudia Heinle, Tänzerin (Bild: Inka Grabowsky)
«Es mutet seltsam an, wenn ich vom Bodensee komme, um in Alexandria ägyptischen Tanz zu unterrichten», räumt Claudia Heinle ein. «aber wenn wir anfangen, dann wundert sich niemand mehr. Wir können es eben wirklich.»
Die Ägypter sähen besser als das europäische Publikum, wie die Compagnie tanz-raum den traditionellen Tanz in die Moderne gezogen habe. «Natürlich ist es eine gewisse Form von kultureller Aneignung», so Heinle. In der Kolonialherrschaft sei der Tanz in den Dreck gezogen worden. Heute sei er in Ägypten keinesfalls eine überall anerkannte Kunstform.
Wertschätzung auch in Ägypten
«Islamisten lehnen ihn ebenso ab wie Teile der gebildeten Schicht, für die er zur blossen Folklore verkommen ist. Manche verbinden ihn auch mit dem kommerziellen Bauchtanz, der von einigen mit Prostitution gleichgesetzt wird.» Das aktuelle Projekt erinnere nun die Ägypter daran, wie wertvoll die eigene Tanzgeschichte ist. «Dafür erfahren wir Wertschätzung.»
Das Projekt mit einem Budget von 13.000 Franken wird mit 2000 Franken von der Thurgauer Kulturstiftung unterstützt – und dass nicht nur, weil die Compagnie tanz raum hier ihre Wurzeln hat, wie Heinle betont.
Ihre Erfahrungen bringt sie auch im Thurgau auf die Bühne
«Wir bringen die Ideen mit zurück und werden auch hier die Performance zeigen, allerdings zu dritt – mit Amir Ezzat als zusätzlichem Perkussionisten - und nicht mit zwanzig Künstlern wie in Alexandria.» Ende Januar soll zudem ein Film über «Salam» veröffentlicht werden.
Von Inka Grabowsky
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