von Brigitte Elsner-Heller, 18.07.2022
Sex in Zeiten des Krieges
Ein Sommerabend, das See-Burgtheater, die Kulisse der Akropolis vor See-Kulisse. Zum Glück handelt „Lysistrata“ nicht nur vom Kampf zwischen Armeen, sondern auch jenem zwischen den Geschlechtern. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Wenn am Ende das Publikum reichlich Applaus spendet, die Inszenierung sogar mit Standing Ovations bedenkt, kann das Theater so viel ja wohl nicht falsch gemacht haben.
Und wenn man zudem noch in die Waagschale wirft, dass sich die Macher des sommerlichen Freilichttheaters von vornherein als demokratische Akteure verstehen: „Das See-Burgtheater spricht mit aktuellem kritischen Volkstheater die Menschen in ihrem Lebensbereich an ...“, heisst es bekanntlich zur grundlegenden Ausrichtung der seit 1990 bestehenden Einrichtung. Man kennt sich, man schätzt sich.
Bare Münze
Reichlich Applaus also in diesem Sommer für die Inszenierung von „Lysistrata“ von Aristophanes, ein Stück, das schon im alten Athen für Aufmerksamkeit sorgte und heute, hier und da und überhaupt um Aktuelles angereichert, schon auch noch schmunzeln lässt.
Denn es geht darum, dass sich die Frauen – hier die Athenerinnen sowie die Frauen des gegnerischen Sparta – zusammentun, um ihre Männer zur Aufgabe des seit langem währenden Krieges zu bewegen. Und was ist den Männern wichtig, was macht den Mann zum Mann? Zunächst die Kriegskasse und dann der Sex.
Bei Aristophanes wird der erzwungene Sex während Kriegshandlungen jenseits des heimischen Bodens oder Herdes vorsorglich ausgespart, dafür dürfen die Gattinnen der Krieger zu Hause in den Sex-Streik treten. Nachdem sie die Finanzen vor dem Zugriff der Männer gesichert haben, versteht sich. Oh, là là.
Die Frauen
Durch die Kulisse der Akropolis (Bühne: Damian Hitz) inspiriert, treten Frauen wie Männer in griechisch anmutenden Gewändern vor das Publikum (Kostüme: Joachim Steiner). Und ja, Lysistrata (Sophie Arbeiter) hat es zunächst nicht leicht, bei den Athenerinnen ein offenes Ohr zu finden für ihr Anliegen, die Männer zur Aufgabe des Krieges zu bewegen.
Frauen schminken sich nämlich lieber oder kaufen Schuhe als sich für Politik zu interessieren. Wir entscheiden uns, dies lustig zu finden, schliesslich wollen wir ja auch noch die Berechtigung erwerben, den Männern das ihre an Häme zukommen zu lassen.
Ein wenig unbeholfen noch der Chor der Damen, die sich mit hellen Stimmen ihrer neu gefundenen Einheit vergewissern. Angeführt von Lysistrata und ihrer Freundin Lampito aus Sparta (Johanna Köster) – bekanntlich ein sportives Völkchen, das spartanisch zu leben wusste. Lampito kommt also als trainigsstarke Frau daher, deren Hobby vermutlich das Fitnessstudio ist. „Kohlenhydrate nein, Protein ja – das definiert den Körper!“. Schöne Ironie.
Die Männer
Der Boden ist nun bereitet für den Auftritt der Männer, die so kaputt wie voller Vorfreude auf die heimischen Schösse aus einer der vielen Schlachten mal wieder auf Urlaub in Athen auftauchen. Dass sie mit einem Rammbock aufkreuzen, sagt nicht nur Sigmund Freud etwas.
Aber nun geht die Schlacht der Frauen gegen die Männer los. Zwei Parteien, die eine ziemlich dämlich und als „hirnlose Hormonbehälter“ tituliert, während die Frauen ihre Reize nur noch zur Geltung bringen, um die Männer damit aufzustacheln und zu demütigen.
Die Chippendales lassen grüssen
Schlüpfrig geht es nun auf beiden Seiten zu, was dem Publikum nicht wenig zu gefallen scheint. Vor allem der Strip der Männer, die sich in der Nachfolge der Chippendales sehen, heizt ein.
Choreografie und Gesang kommen generell gut an (Musikalische Leitung: Philippe Frey; Choreografie: Robina Steyer), sowohl Auftritte der Männergruppe als auch der Frauen. Während die Frauen noch „Macht jetzt Frieden, Jungs“ intonieren, genehmigen sich selbige erst einmal ein kühles Bier. So weit, so „alltäglich“.
Rollenspiel
Vorerst haben die beiden Parteien nicht allzu viel miteinander zu tun, ihre Auftritte wechseln sich ab, wobei die chorisch gesungenen (aktuellen, aus unterschiedlichen Richtungen herangezogenen) Lieder an Prägnanz und Tiefe deutlich gewinnen.
Mit „Go to Sleep Little Baby“ findet sogar ein Wiegenlied Eingang in die Inszenierung, wobei dies weniger als Ironie zu verstehen sein dürfte. Derweil haben sich die Männer eines trojanischen Pferdes bemächtigt, um die Frauenfestung zu stürmen. Ein nettes Bild, das jedoch im Nichts endet und isoliert dasteht.
Da rührt sich was
Nach der Pause ist das Leiden der Männer, denen es an Befriedigung mangelt, im wahrsten Sinne des Wortes zu besichtigen. „Feaver!“ wird dazu heraus geschrien. Doch auch an den Frauen geht die sexuelle Abstinenz nicht spurlos vorüber, so dass sich so langsam doch eine Annäherung andeutet. Wobei sogar die Argumente der Frauen gegen den Krieg fruchten.
Kinesias (Lucca Kleimann) ist der Erste, der sich Gedanken darüber macht, dass und wie junge Männer in Kriegen verheizt werden, die von alten Männern angezettelt werden. Plötzlich findet man sich auf einer ganz anderen Ebene wieder, wenn Lucca Kleimann, der vom Musical her kommt, „It's always the old to lead us to the war. It's always the young to fall“ mit glockenrein ausgebildeter Stimme singt.
Eingefügt in den englischen Liedtext ist dann noch dieser despotische „Russian leader“ der Gegenwart, von dem wir eigentlich nichts mehr hören und sehen wollen. Ein Höhepunkt der Inszenierung, die insgesamt nicht ganz ohne stilistische oder ästhetische Brüche auskommt (Regie: Giuseppe Spina).
Ja und dann?
Was soll man noch sagen? Reichlich mehr oder weniger amüsantes Geplänkel zwischen der Gruppe der Frauen und der Männer, viel Schlüpfriges zum Amüsement der sommerlichen Theatergäste am Seeufer.
Und als alles wieder „gut“ ist auf den als Schlachtfeldern missbrauchten Äckern wie im heimischen Bett, als alle Lieder gesungen sind (Sophie Arbeiter brilliert im Schlussgesang; Seline Jetzer vom ersten bis zum letzten Ton mit der Harfe dabei), sind die Schlussworte noch einmal ernster mit der Friedensnobelpreisträgerin Leyma Gbowee, die einen Streik der Frauen in Liberia organisierte.
Alles gar nicht so einfach
Aktuell. Kritisch. Volkstheater. Das sind drei Aspekte, die erst einmal unter einen Hut zu bringen sind. Das kann schwierig werden, wenn „das Volk“ gern über die Irrungen des Alltags lachen möchte, während parallel Themen wie die immer noch nicht gleichberechtigte Teilhabe der Frauen an sozialer oder finanzieller Macht verhandelt werden soll.
Schliesslich – ursprünglich natürlich so gar nicht eingeplant – ein russischer Führer, der das Thema Krieg auf einen fürchterlich aktuellen und (für Europa) neuen Stand gebracht hat. Zu verschweigen war das nicht, aber die Mischung bleibt auch bei viel Spielfreude aller Beteiligten schwierig.
Weitere Aufführungen
Di 19.7. / Mi 20.7. / Do 21.7. / Fr 22.7. / Sa 23.7.
Di 26.7. / Mi 27.7. / Do 28.7. / Fr 29.7. / Sa 30.7.
August
Di 2.8. / Mi 3.8. / Do 4.8. / Fr 5.8. / Sa 6.8.
Di 9.8. / Mi 10.8.
Die Zuschauertribüne ist überdacht.
Ab 18 Uhr Kassenöffnung. Aufführungsdauer: 20.30 - ca. 22.30 Uhr.
Eintritt
CHF 54.- (1.-8. Reihe)
CHF 48.- (9.-10. Reihe)
Schüler, Studierende, Auszubildende CHF 20.-
Weitere Beiträge von Brigitte Elsner-Heller
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