von Barbara Camenzind, 16.09.2019
Mozart mit zwei Z
Das Jugendorchester Thurgau (JOTG) setzte beim diesjährigen Konzertzyklus alles auf die Karte des Wunderkinds aus Salzburg. Mit der Ouvertüre aus „Don Giovanni, dem Klarinettenkonzert in A-Dur, mit Solist Michael Reid und der „Haffner Sinfonie“, erfreuten die jungen Musikerinnen und Musiker - unter der Leitung von Gabriel Estarellas Pascual - ihr Publikum in der Kartause Ittingen, der Tonhalle St. Gallen und in der reformierten Kirche Amriswil. thurgaukultur.ch war beim letzten Konzert dabei.
Oha. JOTG-Fans waren in den letzten Jahren schon fast konditioniert darauf, bei Konzerten einen riesigen Klangkörper auf dem Podium zu erleben, mit entsprechendem Klangrausch. Mozart zaubert filigraner. Mit diesem Bewusstsein liess Dirigent Estarellas eine gut sortierte Auswahl seiner jungen Kräfte musizieren. Das lohnte sich - und war in der Akustik der Kirche Amriswil immer noch knallig genug. Wie schon oft beeindruckten die tiefen Streicher mit einer Wucht, so dass das Andante mit seinem berühmten dramatischen Quartfall wie scheibenzitternde Filmmusik ertönte. Die geneigte Zuhörerin war versucht, sich zu fragen, ob danach, während des sehr akkurat gespielten Molto Allegros dann der Komtur oder Darth Vader mit „Don Giovanni,a cenar teco!“ erscheinen würde. Das ist als Kompliment zu lesen. Nur schön wäre langweilig.
Das berühmte Klarinettenkonzert in A-Dur KV 622 besteht aus drei Sätzen. Nicht nur aus diesem Adagio, das jeder kennt. Solist Michael Reid und das JOTG fügten Mozarts spätes Werk, welches er wohl nie ganz gehört hatte, wieder zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Gut gefallen hat das Zusammenspiel von Solist und Orchester. Der erfahrene Klarinettenvirtuose, auswendig spielend, bezauberte durch seine natürliche, reduzierte Manier. Ganz der „Gesangslinie“ des Instrument folgend, gab er dem Orchester Raum, zu begleiten und da und dort wieder im Tutti zu glänzen. Und ja, das Adagio war schlicht und einfach sehr schön gespielt. Zur stillen Freude der Opernliebhaber stellten Solist und Orchester im Rondo das Thema aus Cosí fan Tutte sehr deutlich in den Raum. Aus der Klarinette wurde kurz Dorabella, die den frechen „Amore ladroncello“ besang. Auch Mozart zitierte sich gerne selber. Wenn diese Zitate in einer Interpretation aufblühen dürfen, um so besser.
Zauberhaft zurechtweisend
Gross, wirkmächtig und zukunftsweisend: Die Sinfonie in D-Dur, KV 385 schrieb der Komponist neun Jahre vor seinem frühen Tod 1791. Sie weist mit ihrer Klangsprache und Metrik schon weit ins 19. Jahrhundert hinein. In der „Haffner’schen“ erklingt ein grosser Konjunktiv. Damit sich dieser „Was-wäre-passiert- wenn-Wolfgang-Amadeus-Mozart-86-anstatt-36-geworden-wäre“ - Effekt hörbar wird, muss das Orchester etwas draufhaben. Und er stellte sich ein, dieser Konjunktiv. Wenn das JOTG etwas wirklich gut drauf hat, dann ist es die Musik, die auf die Klassik folgte. Estarellas setzte dem romantischen Duktus der nun etwas breiter spielenden Geigen eine klare Metrik und Klangbalance entgegen.
Das funktionierte fast immer, wobei die Phrasierungen, diese zu Ende gedacht wollenden Spannungsbögen, sich da und dort verloren, vor allem bei Stellen mit den endlosen Segue - Motiven. Das Menuett und Trio hätte mehr roten Faden gebraucht. Aber halt. Da ist er nun. Dieser Mozart mit zwei Z. Oder wie man in Wiener Musikerkreisen sagt: „Der Wolferl is a Hund“. Mozart Musik ist so zauberhaft wie zurechtweisend. Gnadenlos schön und gnadenlos schwer, weil sie das Können eines Musikers, eines Orchesters schonungslos offenlegt. Zauberhaft zurechtweisend lautet das Urteil des Komponisten: Gut gemacht, Jugendorchester Thurgau. Euch gelingt vieles schon wunderbar. Da gibt es einfach noch einiges, was wachsen und reifen darf.
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