von Markus Schär, 20.09.2018
Mit den Augen von Daniel Ryser
Das Buch, von dem die Schweiz spricht, stammt von einem Journalisten, der in Steckborn aufwuchs und in Weinfelden in den Journalismus einstieg: Daniel Ryser hat die Biografie von Roger Köppel geschrieben, «In Badehosen nach Stalingrad». Ein Gespräch mit Markus Schär, der als ehemaliger Weltwoche-Redaktor die Arbeit am Buch begleitete.
«Sind Sie ein Auftragskiller, Herr Ryser?», fragte dich Roger Köppel einmal im Gespräch. Bist du ein Auftragskiller?
Ich verstehe, was er meinte. Ein Journalist kommt ja selten in die Lage, dass jemand über ihn schreibt; das löst Unsicherheit aus. Aber nein, natürlich war ich kein Auftragskiller. Ich musste mich eher gegen den Vorwurf wehren: Wie kann einer von der Wochenzeitung einen von der Weltwoche porträtieren? Das finde ich eine seltsame Haltung. Natürlich liesse sich diese Übungsanlage zu einem Showdown zuspitzen. Aber eigentlich geht es einfach darum, dass sich ein Journalist die Frage stellt: Wer ist Roger Köppel? Warum ist dieser Mann so extrem populär und so extrem kontrovers? Und dass er Antworten sucht, sachlich und nüchtern, indem er hundert Gespräche führt und ein Buch schreibt. Ich fühle mich deshalb jetzt auch nicht wie einer, der mit einer Geheimagenda auf Roger Köppel losging und ihn umlegte.
Du hast zwei Jahre mit ihm verbracht, da kommt man sich halt näher.
Eine Politologin warf mir deshalb vor, da verbrüdere sich ein Linker mit einem Rechten. Sie hat offenbar das Buch nicht gelesen. Ich habe meinen Job als Reporter gemacht. Punkt.
«Ich habe viel über die Schweiz gelernt, vor allem dass es kein Schwarz-Weiss gibt, sondern viel Grau.»
Daniel Ryser, Journalist
Hat es sich gelohnt, zwei Jahre mit Roger Köppel zu verbringen?
Ja, aus einem einfachen Grund: Ich habe einen extrem tiefen Einblick bekommen, wie dieses Land funktioniert. Dies nicht allein durch die Gespräche, die ich mit Roger Köppel führte, sondern auch indem ich mit dem ehemaligen NZZ-Chefredaktor Hugo Bütler, mit dem inzwischen erschossenen Medienanwalt Martin Wagner oder mit Christoph Blocher sprach, Tito Tettamanti in seiner Villa in Montagnola traf oder Jugendfreunde in Kloten und Weggefährten in den Medien suchte. Es gibt nichts Spannenderes als Journalismus, der sich mit der Welt auseinandersetzt, in der wir leben. Ich habe viel über die Schweiz gelernt, vor allem dass es kein Schwarz-Weiss gibt, sondern viel Grau. Und keine Verschwörung und keine Gleichschaltung: Ich hörte von fünfzig Leute fünfzig verschiedene Meinungen, selbst wenn sie alle Rechte waren.
Was für ein Fazit ziehst du bei Roger Köppel?
Heute Morgen sagte mir jemand, das sei ein trauriges Buch. Es gibt so viele Leute, die ihn schätzten, begleiteten und unterstützten. Aber er hat sich auf seinem Weg so verhärtet, dass sich viele verletzt fühlen. Es geht dabei gar nicht nur um Politik. Das ist Köppels Darstellung; sein Trick ist die Erzählung: Ich gegen den linken Medien-Mainstream. Sie ist falsch, nicht nur weil es nach meiner Meinung keinen linken Medien-Mainstream gibt. Es geht nicht um links oder rechts, sondern um Köppel oder nicht Köppel. Das war mir vorher nicht bewusst: Wie sehr er auch im rechten Lager polarisiert.
Er wollte dich zur Weltwoche holen. Kannst du dir das vorstellen?
Nein. Roger Köppel sagt: Ich würde Sie sofort einstellen; ich lasse alles gelten. Aber ich sehe so viele Leute, die bei der Weltwoche weggingen, weil sie sich eingeengt fühlten, also im Dienst der Ego-Mission eines Nationalrats schrieben. Drücken wir es so konstruktiv wie möglich aus: Strahlt er eine kreativitätsfördernde Grundstimmung aus? Ich würde sagen: nein. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, bei der Weltwoche zu arbeiten. Ich würde da nicht glücklich.
«Die Kanti interessierte mich einfach nicht. Eigentlich wollte ich einfach schreiben.»
Daniel Ryser, Journalist
Du hast für heutige Verhältnisse ebenfalls eine ungewöhnliche Biografie, keine Matur und auch keine Journalistenausbildung.
Die Kanti interessierte mich einfach nicht – ich hätte sie wohl auch nicht geschafft. Deshalb schaute ich rum, was ich machen könnte. Und ich hörte, dass es bei Portmann in Kreuzlingen eine Lehrstelle gab.
Wie kommt ein Fünfzehnjähriger darauf, eine Lehre als Zigarrenverkäufer zu machen?
Ich weiss es nicht mehr, das war ein Zufall. Ich weiss nur, dass ich schnell merkte: Eigentlich wollte ich einfach schreiben.
Und wie kam es dazu?
Nennen wir es frühkindliche Prägung. Ich las immer viele Bücher, dann in diesem Alter «Kaltblütig», die literarische Reportage von Truman Capote über zwei Typen, die eine ganze Bauernfamilie umbrachten. Und dazu die irren Gonzo-Reportagen von Hunter S. Thompson oder die wüsten Gedichte von Charles Bukowski.
Lustig, du lasest mit 17 immer noch, was wir eine Generation früher mit 17 lasen.
Mein Vater, der früher Redaktor bei der Thurgauer Zeitung war, hat Englisch studiert und seine Lizarbeit über John Steinbeck geschrieben. Diese Bücher standen deshalb bei uns in der Bibliothek. Dann sprach ich bei einem Essen einmal mit Daniel Nufer, der in Zürich die englische Buchhandlung «Pile of Books» führt.
Mein Sekundarschulfreund in Weinfelden.
Er lachte über meine Lektüre und sagte mir: Schon gut, aber lies zuerst mal Niklaus Meienberg. So kam einiges zusammen, und die Mischung machte mir klar, was ich wollte.
Und beim Lesen hast du so gut schreiben gelernt?
Ja, wenn das so ist, dann kommt es wohl davon, dass ich mega viel las. Und auch davon, dass ich mich immer damit auseinandersetzte, wie man schreibt: dass man nicht einfach Informationen verarbeitet, sondern Geschichten erzählt. Das mache ich heute noch so bei grossen Geschichten: Ich setze mich mit jemandem hin und erzähle sie ihm.
«Wenn ich Glück hatte, gab es eine Gemeindeversammlung in Bussnang oder die Eröffnung eines Coiffeursalons in Müllheim. Da wirst du ja irre.»
Daniel Ryser, über seine Anfänge als Journalist im Thurgau
Du fingst dann mit 21 beim Mittelthurgauer Tagblatt an, einem kurzlebigen Kopfblatt des St. Galler Tagblatts.
Das würde ich wieder so machen, wenn es solche Lokalredaktionen noch gäbe, ja. Wir mussten jeden Tag eine Seite Kreuzlingen und eine Seite Weinfelden füllen. Ich kam also am Morgen ins Büro und fragte mich nur: Was ist heute meine Aufmachergeschichte? Wenn ich Glück hatte, gab es eine Gemeindeversammlung in Bussnang oder die Eröffnung eines Coiffeursalons in Müllheim. Da wirst du ja irre. Wegen dieses Drucks sterben so viele Journalisten an Herzinfarkt.
Der Druck kommt im Lokaljournalismus auch davon, dass man im Alltag mit den Leuten lebt, über die man schreibt.
Das ist so. Wenn du an einen Anlass gehst und ihn nicht gut findest, dann kommt es vor, dass der Veranstalter am nächsten Tag in die Redaktion stürmt: Was schreibst du da für einen Scheiss? Dich mache ich fertig, du Sauhund!
Und dennoch empfiehlst du den Einstieg im Lokaljournalismus?
Ja, das ist eine super Schule. Ich sage nicht, es sei die beste; es gibt viele Zugänge, nicht nur den konventionellen Weg über die neumodischen Journalismus-Lehrgänge. Letztlich ist auch mein Buch Lokaljournalismus: Du musst ganz nah hingehen und verarbeiten, was du siehst und hörst. Und du musst dabei ganz genau sein, denn du weisst: Die Leute, über die du schreibst, sind alle da, und sie geben alle ihren Senf dazu. Roger Köppel hinterliess auf seinem Weg so viele Verletzungen, dass sie auf den Reporter zurückfallen können. Das hält nur aus, wer es mal im Lokaljournalismus gelernt hat.
«Letztlich ist auch mein Buch Lokaljournalismus: Du musst ganz nah hingehen und verarbeiten, was du siehst und hörst.»
Daniel Ryser, Journalist
Leider bieten die Schweizer Medien kaum mehr Gelegenheiten, das zu machen, was du am besten kannst. Gibt es eine Zukunft für grosse Reportagen?
In Amerika, ja, in Deutschland und in England wohl auch. Und die Schweiz ist reich, da gibt es immer Möglichkeiten. Die Republik hebt ab wie eine Rakete, noch mit ungewissem Ziel. Und die Woz hockt auf einer prall gefüllten Kasse; ich glaube, die Leser unterstützen sie je länger, je mehr nicht aus politischen Gründen, sondern einfach, weil sie unabhängigen Journalismus wünschen. Also ja, es gibt eine Zukunft. Man muss einfach den Glauben daran wieder finden, nicht an diese sich selbst erfüllende Prophezeiung des Niedergangs. Ich muss daran glauben, ich will ja nicht Tramchauffeur werden – nicht, dass ich etwas gegen Tramchauffeure hätte, aber es ist einfach nicht meine Berufung.
Allerdings werden in deinem Metier nicht einmal die Besten reich, im Gegenteil. Du hast die letzten Jahre mit einem 50-Prozent-Pensum bei der Woz von 2500 Franken im Monat gelebt.
Im Moment verdiene ich etwas mehr, die Republik zahlt gut. Und ich könnte auch noch mehr verdienen, wenn ich nicht nur 80 Prozent arbeiten würde, weil ich mir im nächsten Jahr nach der Arbeit am Buch überlegen möchte, was ich wirklich machen will.
Kannst du dir vorstellen, irgendwann in den Thurgau zurückzukommen?
(Überlegt lange.) Wenn mir die Thurgauer Zeitung eine gute Stelle anbietet… Ein Journalist kann überall seine Erfüllung finden; Geschichten liegen überall herum. Das meine ich völlig ernst. Er braucht aber gute Bedingungen. Ich bedaure deshalb, dass es vielleicht in zehn Jahren die Möglichkeit gar nicht mehr gibt, dass der Chefredaktor der Thurgauer Zeitung anruft: Wir suchen jemanden, der jede Woche eine Seite mit einer guten Geschichte schreibt – und dich wollen wir dafür.
«Ein Journalist kann überall seine Erfüllung finden; Geschichten liegen überall herum.»
Daniel Ryser, Journalist
Das Buch und die Lesungen
Das Buch: In Badehosen nach Stalingrad. Der Weg von Roger Köppel. Gebunden, 272 Seiten. 36 Franken, 32 Euro. Erschienen im Echtzeit Verlag. Der Link zum Buch: https://echtzeit.ch/buch/in-badehosen-nach-stalingrad
Die Lesungen: Daniel Ryser ist in der gesamten Schweiz unterwegs mit seinem Buch. Im Thurgau liest er am Donnerstag, 27. September, in der Buchhandlung Klappentext (Weinfelden) und am 18. und 25. Oktober in Frauenfeld. Erst bei saxbooks, dann im KAFF. Am 29. November stellt Daniel Ryser sein Buch in Winterthur (Kraftfeld) vor, am 14. Dezember ist er in Kreuzlingen (Horst) zu Gast. Alle Lesetermine im Überblick gibt es hier.
Von Markus Schär
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