von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 13.07.2022
«Hart an der Kitschgrenze»
Der Pianist David Lang hat einen Song über seine Thurgauer Heimat geschrieben. Grund genug, ihn mal zu fragen, wie man das eigentlich macht: Einen Song über Heimat zu schreiben. Und warum eigentlich. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
David, Du hast mit „Heimat“ einen echten Heimatsong geschrieben. So ganz direkt gefragt: Braucht es das heute noch?
Diese Frage kann ich nur für mich beantworten. Nein, ich brauche keinen Heimatsong. Aber ich will einen! Ich liebe es, nun ein Lied zu haben, das mich mit meiner Heimat verbindet, an das ich mich erinnern kann, wenn ich weg bin.
Heimat ist ein so grosses und vielschichtiges Thema - wie packt man all das in einen einzigen Song?
Die Vielschichtigkeit war nicht mein Ziel. Sonst hätte ich ein Buch geschrieben. Ich wollte nur das einfache, unüberlegte Gefühl vertonen, das ich habe, wenn ich auf der Autobahn das Thurgauer Wappen kreuze, den Güllegeruch rieche (ziemlich genau ab dem Thurgauer Wappen) und die weiten Felder sehe, wenn ich Richtung See fahre. Ein warmes Gefühl.
Video: So klingt David Langs Heimatsong
Im Songtext geht es um klare Nächte, den Mond, Äpfel, Beeren und Seen - ist Heimat nicht mehr als hübsche Landschaften?
Ja, wenn ich grabe und überlege, wenn ich recherchiere und forsche, dann wird Heimat zu einem Thema, das Archive füllen wird. Viele Menschen tun das. Für mich ist Heimat aber einfacher. Ich spüre es oder ich spüre es nicht.
Was bedeutet Heimat für dich?
Ich habe mich mal gefragt, was ich eigentlich bin: Bin ich Weltbürger? Obwohl Weltbürger sein sexy ist: Das Gefühl sagt nein. Bin ich Europäer? Auch das macht einen Menschen interessant, weil erfahren und weltgewandt. Aber nein, nur ein bisschen Europäer bin ich. Auch wenn ich Frankreich, Deutschland und Italien liebe. Und das belgische Bier. Und die Österreicher mit ihrer plakativen Nonchalance.
«Für mich ist Heimat einfach: Ich spüre es oder ich spüre es nicht.»
David Lang, Pianist
Aber ich weiss nichts über die östlichen Länder in Europa, und überhaupt verstehe ich die Finnen nicht so recht, auch wenn sie mir sympathisch sind. Und auf den Färöer Inseln essen die Fleischkäse aus Fisch, das hat mich fast den Kopf gekostet. Du siehst: Ich bin wieder sehr einfach.
Bin ich Schweizer? Ja, durchaus. Bin ich Thurgauer? Und wie! Dort klickt es, das ist die gefühlsmässig stärkste Bezeichnung für mich. Ich könnte überall leben. Aber wenn ich das Thurgauer Lied höre oder das Thurgauer Wappen sehe, macht das etwas mit mir. Ist vielleicht etwas Archaisches. Oder anerzogen. Vielleicht etwas für meinen Therapeuten.
Mir geht es da ein bisschen anders. Heimat ist für mich eher da, wo meine Familie ist. Der geographische Ort spielt für mich keine Rolle. Ich finde, Heimat ist mehr eine soziale und emotionale Kategorie. Wie siehst du das?
Was würde ich tun, wenn meine Eltern kommen und sagen: «Du, wir ziehen jetzt ins Tessin, dort ist wärmer und die Gelati besser»? Ich würde die Stellung im Thurgau halten. Stand jetzt: Meine Liebsten sind verteilt auf die Schweiz und das anliegende Ausland, abgesehen von einer Person in NYC. Ich kenne keine Region mit all seinen Gerüchen und Gestalten besser als den Thurgau. Ich wirke vor allem im Thurgau. Gut, im Moment beruflich überall in der Schweiz, aber das geht wahrscheinlich wieder vorbei. Was war nochmal die Frage? Ach ja: Geografie spielt für mich eine Rolle. Definitiv.
«Ich könnte überall leben. Aber wenn ich das Thurgauer Lied höre oder das Thurgauer Wappen sehe, macht das etwas mit mir.»
David Lang, Musiker
Die Produktion von Song und Video hast du durch ein Crowdfundung finanziert. Wie kam es zu der Idee?
Auf der Tournee mit dem Thurgauer Festchor diesen Frühling haben wir «Heimat» als Duett und mit viel Instrumentarium und schönem Backgroundchor gemacht. Wir waren immer alle überwältigt. Irgendwie hart an der Kitschgrenze, aber weisst du was? Wenn das Kitsch ist, bin ich ab sofort ein Kitschliebhaber. Dann kamen erste Fragen: Sollen wir nicht ins Studio?
Nach der Tournee kam ein Telefon von der SRF Musikwelle, das Lied sei im Radio gewünscht worden, aber es gibt es noch nicht in dieser Version zu senden. Also dann: Was kostet die Chose? Dann habe ich ein Budget gemacht, Aufnahmeraum reserviert (Danke, evangelische Stadtkirche Frauenfeld und Marcel Keller!), Musiker:innen gebucht (fast der schwierigste Teil), Tonmeister verpflichtet und die Sänger:innen mobilisiert.
Tönt ziemlich aufwändig.
Ja, sehr. Da haben Menschen ihren Nachtdienst verschoben, den Enkelhütedienst abgesagt, ihre Schüler vertröstet, der Firma gesagt, dass das Meeting nicht stattfinden kann am Montagabend. Es war magisch. Alle setzten alle Hebel in Bewegung, damit die Heimat aufgenommen werden konnte. Zurück zur Frage: Das Ganze war teuer, etwa 6000 Franken mit Videoproduktion. Eine Stange Geld für einen einzigen Song und für mich allein. Weil viele Menschen involviert waren, dachte ich, mit einem Crowdfunding könnte es klappen. So war es denn auch.
Hat dir das Crowdfunding neben den Einnahmen noch was anderes gebracht? Hast du was dabei gelernt?
Ich habe Schönes und Tragisches gelernt: Ich habe wieder einmal gelernt, dass man manchmal riskieren muss. Die Kosten von 6000 Franken hätte ich selber getragen, wenn es nicht geklappt hätte. Dazu war ich bereit. Aber es hat geklappt. Ich habe gelernt, dass Menschen gerne Teil eines Projekts sind. Die Erfahrung hatte ich bereits mit meinen anderen vier Crowdfundings für meine vier Alben gemacht.
Auch ich selber finde es irgendwie faszinierend, nur für eine handgeschriebene Karte 50 Franken auszugeben. Ich mag das. Man fühlt sich verpflichtet, dem Projekt mit aller Kraft zum Erfolg zu verhelfen. Obwohl man Geld gibt oder eben gerade weil man Geld gibt. Wir hatten in den ersten zwei Wochen nach Erscheinung des Lieds auf YouTube bereits über 2000 Klicks. Das ist viel für einen Song, der ohne Marketing veröffentlicht wird und mit relativ wenig nackter Haut und wüsten Sprüchen auskommt.
Ich habe auch gelernt, dass man das Leben nicht voraussehen kann und genau solche Projekte machen muss, weil das Leben kurz ist. Einen Monat nach der Aufnahme ist unser Perkussionist Phil Dold völlig unerwartet 38-jährig gestorben. Wir haben nun für immer ein Andenken an Phil.
«Ich habe gelernt, dass Menschen gerne Teil eines Projekts sind. Die Erfahrung hatte ich bereits mit meinen anderen vier Crowdfundings für meine vier Alben gemacht.»
David Lang, Pianist
In deinem Newsletter kündigst du „Heimat“ als Thurgauer Sommerhit an. Was macht einen Song zum Sommerhit?
Die Saison. Ich finde, Heimat ist einfach ein Hit. Jetzt ist Sommer und der Song kommt raus. Also ist Heimat ein Sommerhit.
Darf ich ehrlich sein: Für mich klingt „Heimat“ eher wie ein Herbst- oder Wintersong. Weil er so ruhig und ein bisschen getragen daher kommt. Keine funky Beats nirgends. Wo ist da die Leichtigkeit des Sommers?
Das Lied ist für die Intimität einer lauen Sommernacht: Man reflektiert mit einem Glas Rotwein in der Hand die Leichtigkeit des Tages und sinniert darüber, dass die Leichtigkeit durch erlebte Schwere noch viel leichter ist.
Letzte Frage: Wann kommt auf der Bühne Mammern „Heimat - das Musical!“?
Eine Idee, der ich unbedingt nachgehen muss! Jetzt kommt im Juni 2023 erstmal «Schacher Sepp», ein Stück über ein Dorf, dessen wunderbarer Vergnügungspark einen gruseligen Hintergrund hat. Und irgendwer bringt die Wahrheit über die Heimat der kurligen Dorfbewohner:innen ans Licht.
David Lang live
Im September ist David Lang mit verschiedenen Projekten auf Bühnen im Thurgau zu erleben.
Der Chor der 100: Der Wochenend-Projektchor «Chor der 100» besteht seit 2012 und hat zum Ziel, gesangsfreudige Menschen zusammenzubringen. Gemeinsam wird an einem Wochenende ein neues Chorwerk eingeübt und anschliessend dem Publikum am Konzert präsentiert. Nächste Station des Chores ist Frauenfeld vom 2. bis 4. September. Das öffentliche Konzert findet am Sonntag, 4. September, 16 Uhr, im Eisenwerk statt. Wer mitsingen will: Alle Infos zur Teilnahme gibt es auf der Website von David Lang.
Männergesang: Mit diesem Programm gastiert David Lang (gemeinsam mit Reto Hofstetter, Simon Savoy, Chasper Mani und Jean-Pierre Dix) an verschiedenen Orten im Thurgau. Los geht es am 16. September in Frauenfeld. Alle Infos zu Programm und Ticketverkauf gibt es hier.
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