von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 06.07.2020
Gemeinsam gegen den Corona-Frust
Die Pandemie macht’s möglich: Erstmals veranstalten fünf Konstanzer Kulturinstitutionen ein gemeinsames Festival. Im Programm: Open-Air-Kino, Konzerte, Theater, Poetry Slam und vieles mehr. Der Kultursommer könnte das werden, was der Stadt so lange gefehlt hat.
In Konstanz war das in der Kulturszene lange so: Es gibt viele verschiedene Akteure, das Angebot wächst seit Jahren, aber gemeinsam etwas auf die Beine stellen? Das galt immer als schwierig. Die meisten Institutionen schauten vor allem darauf, dass sie selbst irgendwie über die Runden kamen. Das könnte sich jetzt ändern: Am 16. Juli startet ein Festival in Konstanz, das es so dort noch nie gegeben hat und der Stadt doch so sehr gefehlt hat - der Kultursommer Konstanz.
Mehr als sechseinhalb Wochen lang gibt es dann fast täglich ein wechselndes Programm aus Open-Air-Kino, Konzerten, Theater, Poetry Slam und manchem mehr. Fünf Konstanzer Kulturinstitutionen haben sich hierfür zusammengeschlossen: Das Zebra-Kino, der Kulturladen, das K9, die Südwestdeutsche Philharmonie und das Neuwerk samt seinem Club, der Kantine. „Dieses Projekt hätte es schon viel früher geben müssen, aber erst jetzt in der Krise haben sich plötzlich viele Türen wie von selbst geöffnet“, sagt Benjamin Kreibich, Programmchef des Kulturladen und einer der InitiatorInnen des Kultursommers, im Gespräch mit thurgaukultur.ch
Video: Aus der Schweiz dabei: Dagobert
Mit dabei: Dagobert, Pauls Jets und Yugen Blakrok
Der Anstoss dazu kam vom Zebra-Kino: „Wir machen seit vielen Jahren unser Open-Air-Kino im Innenhof des Neuwerk und wir dachten in diesem Sommer wäre es eine schöne Idee, das Ganze ein bisschen grösser anzugehen mit mehreren Partnern“, erklärt Christoph Sinz, Geschäftsführer des alternativen Programmkinos. Auch das K9 und die Südwestdeutsche Philharmonie waren schnell im Boot als sie von der Idee hörten: „Bei uns ist im Frühjahr viel ausgefallen. Deshalb haben wir ohne Zögern zugesagt. Das ist einfach eine super Idee“, findet Marie-Therese Gey, Programmchefin des Kulturzentrums K9.
Video: Der neue Austro-Pop-Hype: Pauls Jets
Gemeinsam haben sie dann binnen weniger Wochen und oft auch in ehrenamtlicher Arbeit ein bemerkenswert vielfältiges Programm auf die Beine gestellt. Mit dabei ist zum Beispiel Dagobert (15. August): Der aus dem Aargau stammende Liedermacher, der so verblüffend stimmig Schlager und Synthieklänge versöhnt. Die gehypte Austro-Pop-Band Pauls Jets ist ebenso am Start (7. August) wie die Indie-Popper von Please Madame (8. August), die südafrikanische Hip-Hop-Wucht Yugen Blakrok (22. August) und der unverwüstliche Entertainer und Liedermacher Bernd Begemann (23. Juli).
Video: Die Hip-Hop-Wucht Yugen Blakrok
Kinderkonzerte jenseits der schlimmen Volker-Rosin-Liga
Dazu gesellen sich aber auch Konzerte von Kammerensembles der Südwestdeutschen Philharmonie, Improtheater, Arthouse-Kino, Kabarett, Poetry Slams, eine deutschsprachige Erstaufführung des Monologs „Ein Leben im Takt“ und ein Programm für Kinder. „Die hatten es in den vergangenen Monaten auch nicht leicht, wir wollen auch ihren Sommer ein bisschen schöner machen“, sagt Benjamin Kreilich vom Kula.
Und das nicht irgendwie, sondern mit Kinderkonzerten jenseits der schlimmen Volker-Rosin-Liga. Das Duo Eule & Lerche (16. August) war schon auf zwei Alben des Samplers „Unter meinem Bett“ dabei, jetzt kommen sie mit einem kompletten eigenen Kinderlieberalbum. Ebenso im Kinderprogramm: Der Flohzirkus Orquestra (19. Juli) und zwei Kinderkonzerte der Südwestdeutschen Philharmonie (18. & 25. Juli).
Video: Kindermusik geht auch nicht nervig
All das findet natürlich unter den gegebenen Corona-Bedingungen statt: Maximal 100 bis 130 ZuschauerInnen werden eingelassen, alle Veranstaltungen sind bestuhlt, der Mindestabstand von 1,5 Metern ist zu wahren, Kontaktdaten der BesucherInnen werden für eine eventuelle Nachverfolgung gesammelt. „Wir hoffen da auch auf die Kooperationsbereitschaft der Gäste. Aber es ist ja ganz einfach: Wenn sich alle an die Regeln halten, können wir alle ein entspanntes Festoval geniessen“, sagt Marie Therese Gey vom K9.
Wenn es gut läuft, könnte das Festival auf Jahre bleiben
Der Veranstaltungsort, das Neuwerk, liegt fern der üblichen touristischen Routen in Konstanz und ist schon alleine deshalb eine gute Wahl. Der Genossenschaftshof, ein Mix aus Handwerksbetrieben, kreativen Agenturen, Kunsthalle und Club hat einen urbanen Chic wie man ihn nicht oft in Konstanz findet. Haltung und Ausrichtung von Veranstaltungsort und Festivalprogramm fügen sich hier ziemlich trefflich ineinander.
Ohnehin ist die gesamte Festivalidee eigentlich zu schade, um sie nur einmal zu realisieren. Frage des Reporters: Ob es eine Chance gibt, dass der Kultursommer jetzt jeden Sommer stattfindet? Alle Beteiligten nicken. „Es wäre doch schön, wenn aus der Corona-Misere heraus, dieses Projekt entsteht und auch über diesen Sommer hinaus leben würde“, sagt Benjamin Kreibich.
Der Veranstaltungsort: Das Neuwerk Konstanz
Das Programm
Der Kultursommer Konstanz beginnt am Donnerstag, 16. Juli, mit dem Film „Jojo Rabbit“. Das Festival endet am Samstag, 29. August mit einem grossen Finale. Dazwischen gibt es ein umfangreiches Programm aus Arthouse-Kino, Konzerten, Theater und Poetry Slam. Das komplette Programm gibt es auf der Internetseite des Festivals. Hier finden sich auch alle Informationen zum Ticketvorverkauf.
Wer zahlt's? Die Finanzierung des Festivals
Alle Beteiligten des Konstanzer Kultursommers gehen erstmal in Vorleistung. Sie investieren Arbeitskraft und Engagement vielfach ehrenamtlich. „Weil wir alle dieses Projekt wollen“, wie Benjamin Kreibich vom Kulturladen sagt. Das Kulturamt der Stadt Konstanz unterstützt das Projekt finanziell mit 15’000 Euro, weil es Zuschüsse für coronabedingt abgesagte Veranstaltungen von Kulturladen und Zebrakino umwandelte. Dieses Geld allein wird aber nicht reichen. Deshalb haben die OrganisatorInnen noch einen Förderantrag beim Land Baden-Württemberg gestellt. 50’000 Euro sollen von dort aus dem wegen der Pandemie eingerichteten Fördertopf „Kultur Sommer 2020“ kommen und den Löwenanteil der Festivalkosten decken. Eine Zusage darüber steht allerdings noch aus. „Wir konnten nicht auf die Zusage warten, sonst wäre das Festival in diesem Sommer nicht mehr möglich gewesen“, sagt Marie Therese Gey vom K9. Und was, wenn das Geld nicht kommt? „Es gibt keinen Plan B“, heisst es.
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