von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 23.08.2022
«Die Klimakrise ist einfach nicht wegzudenken.»
Die Wälder brennen, die Krise ist Dauerzustand: Franziska Gänslers „Ewig Sommer“ ist so etwas wie der Roman der Stunde. Bei den Weinfelder Buchtagen stellt sie ihn vor. Im Interview erklärt sie, wie die Geschichte entstand und wo, für sie, die Grenze zwischen Literatur und Aktivismus verläuft. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Frau Gänsler, bei den Weinfelder Buchtagen läuft ihr Roman „Ewig Sommer“ unter dem Titel „Pflichtlektüre!“. Was macht das mit einer Debütautorin, wenn schon das Erstlingswerk solch eine Bezeichnung bekommt?
Ich freue mich darüber natürlich sehr, aber ansonsten ist „Ewig Sommer“ ja schon fertig geschrieben und gedruckt, und an meinem neuen Projekt arbeite ich wieder, ohne zu wissen, wie es dann aufgenommen wird.
Was macht Ihren Roman zur Pflichtlektüre?
Ich denke das Buch eignet sich dafür ganz gut, weil es verschiedene aktuelle Themen aufgreift und auch Spannungselemente hat.
In einem Interview haben Sie mal erzählt, dass am Anfang der Romanentwicklung eine ganz andere Geschichte stand. Ein Erlebnis ihrer Grosseltern, die 1957 nach einem Polio-Ausbruch mehrere Wochen in einem Hotel gestrandet waren. Wie kam die Klimakrise in die Geschichte?
Meine Oma war mit meiner Mutter in einem Hotel gestrandet, genau. Durch Waldbrände in Australien Anfang 2020 und die Corona Pandemie hat sich die Geschichte, die ich bis dahin im Kopf hatte, verändert. Ich habe in den Hauptfiguren Parallelen in dieser Bewegung des Ausharrens gesehen, darin, dass beide eine Situation nicht verlassen, obwohl eine offensichtliche Gefahr so nah ist.
„Schreiben ist für mich erzählendes Annähern an Menschen und ihre Umstände.“
Franziska Gänsler, Autorin
Inwieweit ist solch eine Entscheidung dann auch eine vom Verlagsmarketing getriebene Entscheidung, weil sich das Thema Klima gerade sehr gut verkauft?
Den Verlagen wurde das Buch ja erst angeboten, als der Text, bis auf das Lektorat, schon fertig war. Inwieweit da gerade gezielt nach Klimamanuskripten gesucht wurde, weiß ich gar nicht.
Ist die literarische Verarbeitung der Klimakrise Ihre Form des Protestes gegen die unzureichende weltweite Klimapolitik?
Das würde ich so nicht sagen, weil ich das Schreiben eher als ein erzählendes Annähern an Menschen und ihre Umstände empfinde. Die Klimakrise ist dabei aus unserer Gegenwart und Zukunft einfach nicht wegzudenken.
Wenn Realität Fiktion so schnell einholt, wie in diesem Sommer: Wie schreibt man überhaupt literarisch über ein so drängendes Problem wie die Klimakrise?
Das Schreiben passiert ja auf verschiedenen Ebenen. Zum Einen geht es darum, dass ich eine Situation verstehen will und zum anderen, Worte zu finden, die ich passend finde um diese Gedanken oder Stimmungen auszudrücken.
Da stellt sich auch die grundsätzliche Frage: Wie verarbeitet Kunst Politik? Oder anders gefragt: Wo hört Kunst auf, wo fängt Aktivismus an?
Das ist eine Frage, die vielleicht am ehesten am einzelnen Werk oder am Ansatz einzelner Künstler:innen beantwortbar ist. Es fragt sich ja auch, ob jemand nach innen gerichtet arbeitet, also zum Beispiel um die eigene Position auszuloten, oder ob es von vornherein darum geht, auf etwas aufmerksam zu machen. Dann gibt es sicher Arbeiten in denen beides gleichzeitig passiert, oder Prozesse, in denen das Eine aus dem Anderen hervorgeht. Ich habe „Ewig Sommer“ geschrieben, ohne zu wissen, ob es überhaupt verlegt werden wird und darin war es primär ein Ansatz, in dem ich beobachtet und verarbeitet habe.
„Geht es darum, eigene Positionen auszuloten oder von vornherein darum, auf etwas aufmerksam zu machen?“
Franziska Gänsler, über die Grenze zwischen Literatur und Aktivismus
Gibt es eine Grenze zum Aktivismus, die Sie nicht übertreten würden?
Ich sehe nicht wirklich einen Verlauf, im Sinne von hier hört Literatur auf und hier fängt Aktivismus an, sondern denke, dass das zwei Aufgabenbereiche sind – Diskurs und Handeln. Einen Roman zu schreiben und zu erwarten, dass daraus reale gesellschaftliche und politische Änderungen erwachsen, kommt mir nicht ausreichend vor.
Ihr Roman beschreibt nicht nur die gesellschaftliche Krise, sondern auch eine sehr individuelle, familiäre Krise. Wo würden Sie „Ewig Sommer“ eher einordnen: Kammerspiel oder Gesellschaftsroman?
Ich denke, beides hängt zusammen. Dori und Iris bewegen sich durch individuelle und zeitgleich durch eine gesellschaftliche Krise, die sie zunehmend direkt betrifft und gefährdet. Um diese Verschränkung bewegt sich der Roman und für mich sind beide Entwicklungen gleichwertig zentral.
Sie haben sich für den Roman intensiv mit dem Thema befasst. Muss man sich das bei Autor:innen ähnlich vorstellen wie bei Schauspieler:innen, die nach einer Produktion erstmal eine Weile brauchen, um aus der Rolle wieder herauszuschlüpfen und offen für andere Themen zu werden?
Ja, ein bisschen Pause zwischen den Projekten ist gut, aber es ist ja nicht so, dass ich eine Geschichte fertig schreibe und dann war's das, sondern es geht dann ja eine neue Phase mit Überarbeitungen los. Parallel zum Lektorat im Winter fand ich es dann schön, langsam wieder einen neuen Anfang zu finden und allein an einem Text zu arbeiten, ohne dass andere lesen und Rückmeldung geben.
„Einen Roman zu schreiben und zu erwarten, dass daraus reale gesellschaftliche und politische Änderungen erwachsen, kommt mir nicht ausreichend vor.“
Franziska Gänsler, Autorin (Bild: Linda Rosa Saal)
„Ewig Sommer“ wurde vielfach besprochen und sehr oft gelobt für seine klare und präzise Sprache. Wie lange tüfteln Sie an Ihren Sätzen herum?
Ich habe vorher fünf Jahre an einem anderen Manuskript gearbeitet, das auch ca 200 Seiten lang ist. Da habe ich sehr lange an einzelnen Sätzen gefeilt und bin über jeden Absatz wieder und wieder drüber gegangen. „Ewig Sommer“ habe ich dann in fünf Monaten geschrieben und mich dabei absichtlich aufs Erzählen konzentriert, nicht so sehr auf die Formulierungen. Die langsame Arbeit an der Sprache des vorhergehenden Texts war für dieses schnell Schreiben aber sehr wichtig, glaube ich.
Wie oft kommt in dieser Phase der Gedanke: Ach, das ist doch alles Mist?
Solche Tage gibt es immer mal wieder. Bei „Ewig Sommer“ hat mir geholfen, dass die Kurzgeschichte, die dem Manuskript vorausging, für das Finale des Open Mike nominiert war. Daher dachte ich, so schlecht kann die Idee schonmal nicht sein.
Und was tun Sie dann dagegen, um den Mut nicht zu verlieren?
Ich kenne das ja inzwischen, meistens geht es am nächsten Tag wieder besser. Ansonsten hilft mir auch das Gespräch mit Anderen, die schreiben und die das Gefühl kennen, wenn es einfach nicht läuft.
„Wenn es beim Schreiben nicht läuft hilft mir das Gespräch mit Anderen, die auch schreiben und die das Gefühl kennen, wenn es einfach nicht läuft.“
Franziska Gänsler, Autorin
Es heisst oft, das zweite Buch sei das schwerste. Empfinden Sie das auch so?
Für mich ist die Situation insofern anders, weil „Ewig Sommer“ zwar mein erster veröffentlichter Roman ist, aber nicht der erste Roman, den ich je geschrieben habe. Ich habe zuvor bereits an einem anderen Manuskript gearbeitet. Also eigentlich ist „Ewig Sommer" mein zweiter Roman. Zumindest wusste ich da, dass ich es auf jeden Fall zu Ende schreiben kann.
Gibt es schon Pläne für einen neuen Roman? Und wenn ja, können Sie zur Handlung etwas verraten?
Ja, ich schreibe an einem neuen Roman, in dem treffen Menschen aus dem Kunstbetrieb in einer Villa am Atlantik aufeinander.
Die Autorin & ihr Debütroman
Die Autorin: Franziska Gänsler, geboren 1987 in Augsburg, hat in Berlin, Wien und Augsburg Kunst und Anglistik studiert. 2020 stand sie auf der Shortlist des Blogbuster-Preis und war Finalistin des 28. open mike. „Ewig Sommer“ ist ihr Debütroman. Erschienen ist er im Verlag Kein und Aber. Franziska Gänsler lebt in Wien.
Darum geht es in ihrem Debütroman: Eine junge Mutter kommt mit ihrer Tochter in ein Hotel, in dem schon lange keine Gäste mehr abgestiegen sind. Seitdem die Brände im benachbarten Wald toben, hat der einstige Kurort seinen Reiz verloren. Für Iris, die Besitzerin des Hotels, ist der unerwartete Besuch gleichzeitig willkommene Abwechslung und Grund zur Sorge: Irgendetwas scheint mit der Fremden nicht zu stimmen. Ist sie auf der Flucht vor ihrem Mann? Sollte sie der Frau, die sich nicht immer angemessen um ihre Tochter zu kümmern scheint, helfen? Oder müsste sie das Kind vor ihr schützen? Mit der Zeit kommen sich die beiden Frauen näher und fangen an, die Schatten ihrer Vergangenheit auszuleuchten. Iris ahnt, dass dieser Besuch früher oder später ein jähes Ende finden wird – unklar ist nur, aus welcher Richtung wirklich die Gefahr droht.
Die Weinfelder Buchtage
Franziska Gänsler liest am Samstag, 3. September, 15.45 Uhr, aus ihrem Roman im Theaterhaus Thurgau. Tickets für die Lesung gibt es auf der Website der Buchtage.
Das gesamte Programm der Weinfelder Buchtage findest du auch bei uns in der Agenda.
Weitere Beiträge von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter
- Alte Mauern, neue Gedanken (11.11.2024)
- Auf Kinderaugenhöhe (21.10.2024)
- Was hält uns zusammen? (16.10.2024)
- «Falsch gespart»: Kritik am Sanierungs-Stopp (15.10.2024)
- Die Entdeckung des Raums (11.10.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Literatur
Kommt vor in diesen Interessen
- Interview
- Vorschau
- Belletristik
Ist Teil dieser Dossiers
Kulturplatz-Einträge
Ähnliche Beiträge
Wirklichkeit ist, was du daraus machst!
Michèle Minelli hat ein neues Buch vorgelegt, das schwer aus der Hand zu legen ist. Man will einfach wissen, wie es endet. Wer das noch nicht wissen will, der lese diesen Text nicht bis zum Schluss. mehr
Sanfte Radikalität
Die Aargauer Autorin Barbara Schibli stellt ihr zweites Buch vor: «Flimmern im Ohr» erzählt von einer Frau, die mitten im Leben steht und dennoch einen Blick zurück auf ihre wilden Jahre wirft. mehr
Familiengeschichte im Zeichen des Kolonialismus
Mit „The White Rasta“ erforschte die Autorin Dominique Haensell ihre Herkunft. Ein Teil des Buches entstand während eines Stipendiums im Literaturhaus Thurgau. Dort liest sie am 24.Oktober daraus. mehr