von Bettina Schnerr, 26.02.2020
Der Klang eines Buches
Die Künstlerin Rahel Kraft arbeitet für ihre Performances und Installationen üblicherweise mit Sound, ihrer Stimme und Klangeffekten. Wie passt das in ein Buch?
Seit 2003 vermittelt die Reihe „Facetten“ der Kulturstiftung des Kantons Thurgau das Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern mit Thurgaubezug. Die Premiere von Ausgabe 19 dieser Serie steht unmittelbar bevor: Am 29. Februar stellt Rahel Kraft ihr Werk mit dem Titel „Paradoxical Creatures – Bodies, Paper, Words“ in Frauenfeld vor.
Hinter Kraft liegt ein Jahr intensiver Auseinandersetzung mit dem Projekt, denn eigentlich arbeitet die Künstlerin mit Akustik und räumlicher Atmosphäre. Die Arbeit am Künstlerbuch bedeutete die Auseinandersetzung mit einem für sie neuen und „sound-fremden“ Material.
Ein neues künstlerisches Projekt statt rückblickender Werkschau
Die Arbeit ging aus von einer Anfrage von Gioia Dal Molin, die bis Ende 2019 Beauftragte der Kulturstiftung war. Dal Molin öffnete mit ihrer Anfrage den offenen Rahmen des Künstlerbuchs: anstatt das künstlerische Werk zusammenzufassen, wurde es bei Rahel Kraft ein neues Projekt.
Sie musste erst einen Weg entwickeln, wie sich ihre Klangkunst mit Papier gestalten oder in Papier übersetzen lässt. Auf diese Weise schliesst sich das Projekt logisch an ihre Arbeit an, bedeutet zugleich aber auch eine deutliche Erweiterung in neue Sphären.
Ein grosses Glück in der Zusammenarbeit
Aus künstlerischer Sicht war die Arbeit an diesem Buch ein Sprung ins kalte Wasser. Ein gewisser Mut spielte eine Rolle, sich mit dem sozusagen fachfremden Medium auseinander zu setzen. Die Zusammenarbeit mit den drei Grafikern Samuel Bänziger, Rosario Florio und Larissa Kasper fasst Rahel Kraft auch aus diesem Grund als grosses Glück zusammen: „Konzeptionell war die Zusammenarbeit sehr wichtig, denn in unseren Gesprächen kamen viele Grundsatzfragen auf, die ich für mein Projekt klären musste.“ Während die Grafiker sie mit zahllosen verschiedenen Papieren zum Testen ausstatteten, fing Rahel Kraft mit Visualisierungen und Ausprobieren an.
„Ich weiss schon nicht mehr, wie viele Bücher ich in der Hand hatte,“ beschreibt sie die Anfänge der Arbeit. „Ich konzentrierte mich auf alles, worauf ich sonst nicht achte, wie sie klingen, sich anfühlen oder wie sie in der Hand liegen.“ Sogar mit dem Mikrofon zog sie los, zurückgreifend auf ihre Klangexperimente, um in Büchern Geräusche zu entdecken.
Kann man einer leeren Seite zuhören?
482. So viele Seiten hat das fertige Werk „Paradoxical Creatures“. Eine Zahl, die zeigt: Ja, Bücher haben nicht nur haptische Eigenschaften, sondern können tatsächlich auf verschiedenen Wegen akustische Phänomene erzeugen. Vorlesen ist nur die naheliegendste Version davon. Herausgekommen ist ein Buch, das in Teilen als Skript für eine Performance funktioniert. „Eine Partitur aus Wörtern und Bildern“ nennt es Rahel Kraft.
Sie gibt Anweisungen wie „crumple a sheet of paper“ oder „listen to an empty page“. Verschiedene Papiersorten verstärken die sinnlichen und akustischen Eindrücke, die sich aus solchen Aktionen ergeben. Kraft versucht, Handlungen und Klänge auf’s Papier zu holen und eine Form zu entwickeln, sie festzuhalten.
Die japanische Bindung ist nicht nur schön, sondern vollwertiger Teil des Konzepts. Kombiniert mit einer durchgängigen Perforierung liefert das Buch so eine zusätzliche Möglichkeit, selbst als Instrument und Material zu dienen. „Es ist auf Anhieb ein überraschend leeres Buch,“ sagt Kraft und verspricht zugleich: „Es steckt ein besonderes Innenleben darin.“
Während der Sound-Arbeit auf der Bühne wird sich das Buch verändern und das zum Teil auf eine Weise, die Rahel Kraft Überwindung abverlangt: „Es war überraschend zu sehen, wie sich das Verhältnis zu einigen Performance-Elementen veränderte, sobald aus losen Papieren ein gebundenes Buch geworden war.“ In den „27 Anweisungen, wie man mit einem Buch umgehen kann“ stecken kleine Überraschungen, selbst für die Künstlerin, die sie entwickelt hat.
Soviel sei an dieser Stelle noch verraten: Die Anweisung „create space to perform“ lässt sich mit Hilfe des Buchumschlags lösen. Achten Sie mal darauf!
Termine und Daten
Buchvernissage und Klangperformance: Samstag, 29. Februar, 18 Uhr, im Eisenwerk, Frauenfeld Gespräch mit Stefan Wagner, Beauftragter der Kulturstiftung
Daten zum Buch: Paradoxical Creatures – Bodies, Paper, Words
Facetten 19, herausgegeben von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau
Mit einem Text von Gioia Dal Molin und einem Essay des britischen Musikers, Autors und Kurators David Toop, Professor für Audiokultur und Improvisation am London College of Communication
ISBN 978-3-033-07701-0
Grafik: Samuel Bänziger, Rosario Florio, Larissa Kasper
Druck und Bindung: Druckerei zu Altenburg
Jungle Books St. Gallen, 2019, 482 Seiten
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