Seite vorlesen

von , 22.11.2016

Frauenfeld droht Schlafkaserne

Frauenfeld droht Schlafkaserne
Heute wird der Kasernenhof noch vom Militär genutzt. Bei der geplanten Umnutzung gehen die Projektskizzen verschiedene Wege. | © Sascha Erni

Bis die Stadtkaserne und das obere Mätteli tatsächlich umgenutzt werden, vergehen noch einige Jahre. Und der Plan, der letzte Woche als Gewinner des Ideenwettbewerbes publiziert wurde, ist kein definitiver Fahrplan für die Nutzung der Kaserne. Dennoch: Wenn man nicht aufpasst, geht die Kultur rasch mal verloren. Und der Gewinn für die Frauenfelderinnen und Frauenfelder ebenfalls. 

Von David Nägeli

Das Siegerprojekt der Zürcher Park Architekten will aus dem Kasernenhauptbau ein Seminarhotel und aus der ID-Halle eine Eventhalle schaffen. Das Historische Museum Thurgau soll in einem Neubau am oberen Mätteli Unterschlupf finden. Kreativräume wie Ateliers oder Proberäume sind in den Seitenflügeln als Zwischennutzungen geplant. Das Siegerprojekt spricht in einem weiteren Schritt von Wohnräumen. Klar, ökonomisch muss die Kaserne auch sein.

Pendlerheim statt Lokalkultur

Diese Nutzungsplanung schiesst an der Bevölkerung vorbei. Die Stadtentwicklung gab sich Mühe, dass die Bürger in Sachen Kaserne mitreden können. Mit einer Fokusveranstaltung Ende November 2015 und einer schriftlichen Bevölkerungsbefragung erfasste die Stadtverwaltung die Interessen der Bevölkerung. «Kultur & Bildung» stand bei 63 Prozent der Befragten an erster Stelle.

Sollte die ID-Halle wie geplant als Eventhalle genutzt werden, bietet sie neben der Rüegerholzhalle, der Konvikthalle und dem Casino nur wenig Mehrwehrt. In solchen Hallen entsteht zwar Kultur, aber oft nur hochkommerzielle Kultur. Kleinere Kulturveranstalter müssten für Veranstaltungen hohe Subventionen beziehen, die sie über kreatives Budgetieren für die Hallen- und Technikmiete aufwenden, statt für die Künstlergagen. Die geplante ID-Halle läuft so Gefahr, nur ein besser gelegener Tourstopp für Acts wie die Chippendales zu werden, die ihre blanken Hintern nicht mehr bis ins Rüegerholz hochschleppen müssen. Kein grosser Gewinn für Frauenfeld.

Dass das Historische Museum in einen Neubau ziehen soll, ist schön und gut. Aber in erster Linie ist das ein politischer Schachzug, um das prestigeträchtige Museum in der Stadt zu behalten, und es nicht an andere interessierte Gemeinden zu verlieren. Wenn man einen Neubau bieten kann, wird das Museum zuschlagen. Aber ob damit das gewünschte «pulsierende Leben» Einzug hält – das lässt sich bestreiten.

Ein weiteres Hotel? Wirklich jetzt?

Ende Juni 2016 schloss das Hotel «Domicil» seine Türen – die Nachfrage nach Übernachtungsmöglichkeiten in Frauenfeld war schlicht zu klein. Und jetzt arbeitet die Stadtentwicklung in ihrer Planung mit einem Seminarhotel. Woher sollen die Gäste kommen? Die Stadt habe Anfragen erhalten, heisst es von offizieller Seite her. Finanziell mag es sich lohnen, hier eine Herberge zu errichten. Der Flughafen ist mit Bus und Bahn rund 40 Minuten entfernt. Aber ob die eingeflogenen Gäste Frauenfeld beleben, ist eine andere Frage.

Im Auswertungsbericht zur Bevölkerungsumfrage heisst es weiterhin: «Studios und Proberäume wurden beinahe von der Hälfte aller Teilnehmer einmal genannt.» Das Siegerprojekt plant diese in den Seitenflügeln der Kaserne – mit dem Stichwort «Zwischennutzung». Das scheint etwas gefährlich. Denn Wohnungen sind verlockend rentabel und für viele Politiker eine hübsche Alternative zu den «Kreativen». Wenn es da an den Finanzen hapert oder die Finanzierungsidee doch nicht ganz aufgeht, steht da plötzlich doch das Eigenheim, wie es im Siegerprojekt in einer späteren Etappe angedacht ist.

Es kann alles auch noch schlimmer werden

Frauenfeld ist bereits ein wenig zur Schlafstadt für Pendler geworden. Und wenn die lokale Politik den Umnutzungsprozess nicht aufmerksam beobachtet, könnte es auch noch schlimmer werden. Ein Seminarhotel lockt zwar Fluggäste in den Thurgau (wollen wir das?) und die Zwischennutzungen könnten spannend sein. Aber wenn sich im Planungsprozess doch irgendwo ein ökonomisch-sinnvoller Wohnturm einschleicht – so wie es andere Architekten eingeplant haben –, dann ist es rasch aus mit lauter Kultur. Dann bleibt Frauenfeld die Schlafstadt in der Agglomeration von Zürich. Und das will hier wohl niemand.


Diskutieren Sie mit: Was halten Sie von den jetzt vorgelegten Plänen zur Entwicklung der Stadtkaserne? Entweder direkt hier im Kommentarfeld oder schreiben Sie uns: redaktion@thurgaukultur.ch 

Weiterlesen: Mehr zu den einzelnen Entwürfen lesen Sie in dem Beitrag von Sascha Erni bei uns

 

 

KOMMENTARE *

 

von Markus Landert・vor 3 Monaten

 

Dieser Artikel ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein kleingeistige Verbohrtheit jede Initiative gleich mal in den Boden stampft. Statt Potentiale zu sehen wird schlechter Wille und Kommerzialisierung unterstellt. Statt die formulierten Ideen mit eigenen Ideen anzureichern, wird mit an den Haaren herbeigezogenen Befürchtungen alles schlecht gemacht, ganz im Stil der SVP. Irgendwie provinziell eben. Leider.

 

 

 

von Fiona Käppeli・vor 4 Monaten

 

danke david. auf den punkt gebracht.
was ich von den plänen halte: nicht viel.
ich kann mich gut an die 63% erinnern und habe mich auch weiterhin dafür eingesetzt. das ist nicht, was ich mir erhofft hatte.
was man gegen die laschen pläne tun kann, würde mich interessieren?

 

* Seit März 2017 haben wir eine neue Kommentarfunktion. Die alten Kommentare aus DISQUS wurden manuell eingefügt. Bei Fragen dazu melden Sie sich bitte bei sarah.luehty@thurgaukultur.ch.

 

 

 

 

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Wissen

Kommt vor in diesen Interessen

  • Debatte
  • Architektur

Werbung

Eine verschleierte Königin

Einblicke ins Leben der Künstlerin Eva Wipf: Hier geht's zu unserer Besprechung der aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau.

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

„Der Thurgau ist ein hartes Pflaster!“

Wie ist es im Kanton für junge Musiker:innen? Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen!

Unsere neue Serie: «Wie wir arbeiten»

Unsere Autor:innen erklären nach welchen Grundsätzen und Kriterien sie arbeiten!

Was bedeutet es heute Künstler:in zu sein?

In unserer Serie «Mein Leben als Künstler:in» geben dir acht Thurgauer Kulturschaffende vielfältige Einblicke!

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

Kultur für Klein & Gross #22

Unser Newsletter mit den kulturellen Angeboten für Kinder und Familien im Thurgau und den angrenzenden Regionen bis Ende Januar 2025.

«Kultur trifft Politik» N°I

Weg, von der klassischen Podiumsdiskussion, hin zum Austausch und zur Begegnung. Bei der ersten Ausgabe am Mittwoch, 27. November geht es um das Thema "Räume".

#Kultursplitter im November/Dezember

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

"Movie Day": jetzt für 2025 bewerben!

Filme für das 12. Jugendfilm Festival können ab sofort angemeldet werden. Einsendeschluss der Kurzfilme für beide Kategorien ist der 31.01.2025

Ähnliche Beiträge

Wissen

Neues Zentrum für Baukultur

Die Denkmal Stiftung Thurgau wird 20 Jahre alt in diesem Jahr. Mit einem neuen Projekt will sie auch die Zukunft gestalten.
 mehr

Wissen

Überraschende Zusammenhänge

Museum Rosenegg: Die Sonderausstellung «kunst werk bau» bringt Kunst und Architektur noch bis 7. April in Kreuzlingen zusammen. mehr

Wissen

Der Sog der Stadt

Von Utopie zu Dystopie ist es manchmal nur ein kleiner Schritt: In der Ausstellung „Youtopia“ im Konstanzer Turm zur Katz können Besucher:innen ihre eigene Traumstadt entwerfen. mehr