von Christian Brühwiler, 22.02.2015
Walker debütiert

Dynamisch, unkompliziert, fest im Glauben verwurzelt: So präsentiert sich Roman Walker, der neue Leiter des Kammerchors Oberthurgau. Was die Ziele mit dem Chor sind, erzählt er im grossen Interview.
Christian Brühwiler
Letzten Herbst haben Sie die Leitung vom Gründer und langjährigen Dirigenten Mario Schwarz übernommen. Sie seien in grosse Fussstapfen getreten, heisst es. Nun stellen Sie sich und Ihre Arbeit mit dem Kammerchor Oberthurgau am nächsten Wochenende erstmals im Konzert vor. Wie erlebten Sie Ihren Einstieg?
Roman Walker: Mit Mario Schwarz verbindet mich seit vielen Jahren eine herzliche Beziehung. Als junger Primarlehrer in Häggenschwil Anfang der Neunzigerjahre lernte ich Mario als Musikschulleiter in Wittenbach kennen. Später begegneten wir uns wieder in Walchwil, wo ich den Kirchenchor gründete. Mein Pfarrer kannte Mario Schwarz aus seiner Frauenfelder Zeit und wir luden ihn mit seinem Chor nach Walchwil ein. Er wusste somit seit langer Zeit, wer ich bin und was ich mache. Mit meiner vierjährigen Erfahrung als Stiftskapellmeister am Kloster Engelberg fühlte ich mich gut gerüstet. Ich freute ich mich auf die neue Herausforderung und sah ihr zuversichtlich entgegen.
Wo sehen Sie Ihre Stärken als neuer Chorleiter?
Ganz klar beim Sängerischen. Ich kann meinen Chorleuten ganz klar sagen: "Das isch jetzt ziemlich gruusig gsi, losed emol ane" - und kann es dann besser vorsingen. Schon am Probedirigat sagte ich den Bässen: "Wenn ich eu etz besser kene wür, wür ich eu säge, bitte röhred nöd wiet Elch". Ich versuche, mit Humor und Direktheit die Sache auf den Punkt zu bringen. Die Sänger des Oberthurgauer Kammerchores haben ein gewisses Selbstwertgefühl und wollen gefordert werden. Das ist für einen Chorleiter eine sehr gute Voraussetzung: "Ihr wönd guet si, die Billet choschted 60 Franke, und da woni ghört ha, tönt nonöd noch 60 Franke."
Auftritt des Kammerchors Oberthurgau. (Bild: zVg)
Die Chorlandschaft im Thurgau ist im Umbruch, diverse Chöre wie etwa der Oratorienchor Frauenfeld oder der Oratorienchor Kreuzlingen stehen unter neuer Leitung. Auch Sie repräsentieren mit 45 Jahren eine jüngere, gut und vielseitig ausgebildete Generation. Was unterscheidet die aktuelle von der älteren Generation?
Ich glaube nicht, dass sich ein grundsätzlicher Unterschied der verschiedenen Chorleitergenerationen ausmachen lässt. Viel unterschiedlicher sind die individuellen Charaktere und Präferenzen. Es gibt Chorleiter, die vom Orchester oder vom Gesang herkommen, dann gibt es solche, die gerade bei der Oratorienliteratur stark vom Text ausgehen, während andere nur einen sehr oberflächlichen Bezug zum Text haben. In dieser Hinsicht hat mich meine Zeit im Kloster Engelberg stark geprägt. Mir ist es ein starkes Anliegen, die Aussage des Textes den Chorleuten und im besten Fall auch dem Publikum näher zu bringen. Mein Anspruch geht übers Konzert, über den Event hinaus. Das ist mein "feu sacré", das mich in der Arbeit mit dem Chor motiviert.
Andere Chöre sind in der Wahl der Orchesterpartner frei. Christian Dillig arbeitet beispielsweise mit dem Barockorchester Capriccio zusammen, Heinz Bähler und der Glarisegger Chor mit der Basel Sinfonietta, um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Kammerchor Oberthurgau hingegen ist eng verbunden mit dem Collegium Musicum Ostschweiz, und es ist wohl geplant, dass die Chorprojekte weiterhin gemeinsam realisiert werden. Hat der Chorleiter Roman Walker vielleicht auch mal Lust, mit einem anderen, beispielsweise einem „historisch informierten“ Orchester zusammenzuarbeiten?
Es ist ja mein erstes Konzert mit dem Collegium Musicum Ostschweiz (CMO), und ich gehe mal davon aus, dass die Zusammenarbeit funktioniert. Der Oberthurgauer Kammerchor ist aber mehr als der Oratorienchor des CMO. Er realisiert a cappella-Projekte oder beispielsweise in naher Zukunft ein Programm mit Klavierbegleitung. Ich stelle mir schon auch die Frage, welche Werke zum CMO passen, es muss ja nicht unbedingt Monteverdis Marienvesper sein. Ich denke an romantische Komponisten wie César Franck, Gabriel Fauré oder Camille Saint-Saëns. So gesehen kann ich mir eine Zukunft mit dem CMO sehr gut vorstellen.
"Die Sänger des Oberthurgauer Kammerchores wollen gefordert werden": Probe mit Roman Walker. (Bild: zVg)
Sind Sie Mario Schwarzs designierter Nachfolger auch beim CMO?
Nein. Klar könnte ich auch Orchesterkonzerte dirigieren. Aber das umfassende Engagement von Mario Schwarz übersteigt meine Kapazitäten bei weitem. Ich bin ja in meinem Hauptberuf Rektor des Gymnasiums Appenzell. Dadurch kann ich meine Aufgabe als Chorleiter locker und entspannt angehen, ich bin nicht von ihr abhängig. Wenn Mario Schwarz einmal auch das CMO abgeben sollte, wird es eine sehr anspruchsvolle Aufgabe sein, die Nachfolge zu regeln.
Als Leiter des Gymnasiums Appenzell haben Sie täglich auch mit jungen Menschen zu tun. Auf der anderen Seite ist das Durchschnittsalter in den traditionellen Oratorienchören im Steigen begriffen. Wenn man sich die Zusammensetzung des Publikums ansieht, ist der Altersschnitt wohl noch höher. Wie erleben Sie als Pädagoge und Musiker diese gegensätzlichen Kulturen?
Wenn Jugendliche keinen Zugang zu klassischer Musik haben, dann ist das nicht ihre Schuld, sondern es liegt daran, dass niemand sie zu ihr hingeführt hat. Das ist eine anspruchsvolle pädagogische Aufgabe. Wenn die Lehrpersonen keine Affinität zu klassischer Musik haben, werden die Jugendlichen auch keinen Zugang finden. Man darf und muss klassische Musik den Jugendlichen durchaus zumuten.
Konzertjahr 2015 eröffnet mit Theresienmesse
Der Kammerchor Oberthurgau präsentiert in seinen beiden Oratoriumskonzerten 2015 als grösstes Ensemble des Collegium Musicum Ostschweiz zwei spannende musikalische Welten. Eröffnet wird die Konzertsaison 2015 mit der wohl schönsten der sechs grossen Messen Haydns, der Theresienmesse; dazu kommt die Liedkantate „Mein Herr und mein Gott“ von Carl Rütti in einer neuen Orchesterfassung. Die Konzerte finden am 28.Februar in der St. Laurenzenkirche St. Gallen (20 Uhr) und am 1. März in der St. Martinskirche Arbon (17 Uhr) statt. Erstmals tritt der Kammerchor unter neuer Leitung von Roman Walker auf.
Kommen wir noch auf die Konzerte vom nächsten Wochenende stattfinden werden. Mario Schwarz hat einerseits das gängige Repertoire der Oratorienchöre gepflegt, andererseits aber immer wieder Unbekanntes ausgegraben und auch neuere Chorwerke zur Aufführung gebracht. Die Konzerte mit der Theresienmesse von Joseph Haydn und einer Uraufführung von Carl Rütti scheinen ein typisches Schwarz-Programm zu sein. Waren sie bei der Werkauswahl schon involviert? Wo werden Sie in Zukunft inhaltliche Akzente setzen?
Haydns Theresienmesse war Marios Vorschlag, wer könnte da nein sagen? Auf der Suche nach einem weiteren Werk fragte ich Carl Rütti an, ob er sich vorstellen könnte, von der Liedkantate "Mein Herr und mein Gott" eine Orchesterfassung zu erstellen. Das Werk hat einen starken Bezug zu St. Gallen, denn die Melodie "Mein Herr und mein Gott" wurde vom St. Galler Domkapellmeister Gallus Scheel komponiert. Carl Rütti, den ich von meiner Zuger Zeit persönlich kenne, hat nun eine Fassung erstellt, die sich an der Instrumentierung der Theresienmesse orientiert.
Das Spezielle am Programm vom nächsten Wochenende?
Die Theresienmesse ist eine Perle unter den Messvertonungen, eine Komposition mit sinfonischem Anspruch. Carl Rüttis Liedkantate ist klanglich berührend, wunderschön gemacht, und der Gebetstext von Niklaus von der Flüe ist überkonfessionell und wohl auch über das Christentum hinaus verständlich, es ist kein katholischer oder reformierter Text, es ist kein muslimischer und kein buddhistischer Text, aber jeder, der ihn liest, versteht den tiefen Gehalt.
"Mein Anspruch geht übers Konzert, über den Event hinaus. Das ist mein 'feu sacré'", sagt der neue Leiter. (Bild: Christian Brühwiler)
Wie geht es weiter mit dem Kammerchor Oberthurgau?
Wer nicht in den Kammerchor kommt, ist selber schuld. Wir pflegen einen heiteren Umgang, das ist ganz wichtig. Das hat nichts mit mangelnder Seriosität zu tun, sondern ist die Grundlage für eine ernsthafte, verbindliche Zusammenarbeit. Wir beginnen im Frühling mit einem neuen weltlichen Projekt, bei dem auch Gäste teilnehmen und den Chor und den neuen Chorleiter beschnuppern und kennenlernen können. Es wird um eine musikalische "Ferienreise" gehen mit Abstechern ins Vorarlbergische, nach Bayern und nach Übersee.
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Aufführungen:
28.Februar 2015 in der St. Laurenzenkirche, St. Gallen, 20.00 Uhr
1. März 2015 in der St. Martinskirche, Arbon, 17.00 Uhr
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Weitere Informationen:
Zur Person von Roman Walker
Facebook-Seite des Collegium Musicum Ostschweiz
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