von Brigitte Elsner-Heller, 19.02.2018
Man muss auch träumen dürfen
„Die Insel“, vom Theater Bilitz gerade neu auf die Bühne gebracht, verzaubert durch dichte Stimmungsbilder, die am Ende sicher durch emotionale Stürme tragen.
Von Brigitte Elsner-Heller
Vögel zwitschern, flattern auf, Grillen zirpen. Das Reich von König Leon liegt friedlich da an diesem Morgen. Noch. Denn der Erzähler weiss schon mehr: „Das ist die Geschichte von einem Mädchen, das zaubern lernte“. Und dieses Mädchen ist Miranda, die Prinzessin (Sonia Diaz). Noch sieht alles nach Routine aus. Es klopft die Hausundhofmeisterin Gonzala (Klopf-klopf; Agnes Caduff, eben noch Erzählerin, klopft pantomimisch an eine Luft-Tür, während das Geräusch deutlich vernehmbar ist), ermahnt die Prinzessin zu „Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle“ und verliest die protokollarisch festgelegten Verpflichtungen des jungen Mädchens – was das gute Kind natürlich nicht sonderlich prickelnd findet. Lieber erstmal Mama einen guten Morgen wünschen. Doch Mama ist verschwunden, mitsamt ihren Kleidern und Malsachen. Miranda und Gonzala verstehen zunächst einmal gar nichts mehr.
Mama hat nur zwei Briefe hinterlassen (Agnes Caduff als Hausundhofmeisterin sowie Sonia Diaz als Prinzessin Miranda). Bild: Theater Bilitz
Schauen oder hören?
Die Bühne im Theaterhaus Thurgau, wo „Die Insel“ mit dem Theater Bilitz seine Premiere hat, ist nicht unbedingt so ausgestattet, wie man sich ein Königreich vorstellt. Doch gerade hierin liegt die Faszination begründet, die von der Inszenierung (Eveline Ratering) ausgeht. Denn die Requisiten, die wie Blechtonnen oder eine alte Leiter an den Vintage-Stil erinnern, sind wesentlich für die Erzeugung der Geräuschkulisse, die die Vorstellung neben der Musik (Daniel R. Schneider) wie ein Hörspiel begleitet. Will man also schauen oder einfach auch mal nur hören? Vielleicht wenn der Vogelschwarm aufflattert (ein Regeschirm wird knatternd auf- und zugeschlagen), als Miranda auf den Turm steigt, wo ihr Vater, der König, so tut, als würde er regieren?
Auch König Leon (Roland Lötscher) muss sich nach einem neuen Leben umsehen. Bild: Theater Bilitz
Eine Familie zerbricht
Gut, jetzt hat doch die Handlung wieder die Oberhand gewonnen. Denn natürlich kann man das nicht einfach so stehenlassen, dass eine Mutter komentarlos verschwindet. Schon gar nicht aus dem Leben ihres Kindes. Immerhin hat Mama (Königin Hermine; Agnes Caduff nun mit fröhlichem Kopfschmuck) ihrer Tochter und ihrem Mann jeweils einen Brief hinterlassen. Sie liebt ihre Tochter und wird sie besuchen kommen – das soll alles sein? Was hat Papa dazu zu sagen?
Papa nun also „regierend“, sprich: Papier-Falter faltend, auf dem Turm. Roland Lötscher sitzt als Leon (was hier wenig an einen Löwen denken lässt) auf der Leiter und muss Miranda sagen, dass Mama sich verliebt hat und mit dem Herrn Minister Tonio (später ebenfalls Roland Lötscher) ein Schiff bestiegen hat. Noch eben gerade so können Miranda und Leon es am Horizont vondannen segeln sehen – um spontan den Entschluss zu fassen, den beiden hinterher zu segeln.
Emotionale Stürme
Doch was will man sagen: Die Sache geht wie zu erwarten schief. Das Schicksal, ein Geist oder einfach ein Autor (Shakespeare kommt ins Spiel) lässt einen heftigen Sturm aufziehen. Während Mama und ihr Herzensbrecher verschollen sind, werden Miranda und Leon ordentlich durchgewirbelt. Ganze drei Ventilatoren schaltet die Erzählerin nacheinander ein, so dass nicht nur die Wellen in Bewegung geraten, sondern der Sturm in Form einer Plastikfolie Kind und König packt und schließlich an ein Gestade wirft – die Insel eben.
Miranda (Sonia Diaz) auf der Insel voller Töne. Bild: Theater Bilitz
Mit der Ankunft auf der Insel wird Shakespeare („Der Sturm“) noch einmal zu Rate gezogen, indem auf seinen Luftgeist Ariel sowie das Hexenkind Caliban zurückgegriffen wird. Nun geht es darum, wie mit dem Sturm, also der Aufwallung der Gefühle, umgegangen werden kann. Nun ist die Zeit der Träume, der Lichtstimmungen, aber auch der Zauberkräfte, in die Ariel das Königskind einweiht. Kann Mama so zurückgeholt werden? Was ist der Preis dafür? Was ist realistisch?
Träume: Üben für die Realität
Jetzt ist nach der schönen Theaterkunst selbst natürlich auch die hohe Zeit der Theaterpädagogik, denn für die ist die Inszenierung wie geschaffen. Lässt sie doch zunächst die Mittel, die Theater hat, wunderbar aufleuchten und analysieren: Bühne, Kostüme, Requisiten, Licht, Geräusche/Musik und nicht zuletzt die Schauspieler und damit die Menschen, die das Menschliche in vielen Facetten verkörpern. Auch das gelingt gut in dieser Inszenierung, die mit wenigen Mitteln Figuren aufleben lässt, die jeweils ihren eigenen Charakter haben. Denn so eindrucksvoll ein Autor (hier Henry Mason unter Verwendung von Shakespeare-Motiven) ein Stück auch geschrieben haben mag, auf der Bühne erst bekommt es Fleisch und Blut. Schliesslich die grosse Frage auf der inhaltlichen Ebene: Was tun, wenn eine Familie keine mehr ist?
Wie das Stück endet? Im Grunde ist es nicht das, was zählt. Es geht darum, auch in schwierigen Situation träumen zu dürfen und Experimente zu wagen. Nur dann kann auch die Realität neu ge- oder belebt werden.
Das Theater Bilitz hat das wunderbar gezeigt. Traumwandlerisch sicher.
Termine: Weitere Aufführungen von "Die Insel" gibt es am Mittwoch, 21. Februar, 15.15 Uhr, sowie am Sonntag, 25. Februar, 17.15 Uhr. Reservationen unter www.theaterhausthurgau.ch oder telefonisch via 071 622 20 40 (Mo-Fr 11.00-12.30).
Video: Arttv.ch hat einen Videobeitrag zur Produktion gedreht
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