von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 29.03.2017
Wir bieten mehr als alte Steine
Das Archäologische Landesmuseum (ALM) in Konstanz wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Von Anfang an hat das ALM intensiv auch mit dem Thurgau zusammen gearbeitet. Die erste Ausstellung im 1992 noch neuen Haus kam zum Beispiel vom Archäologischen Museum aus Frauenfeld. Aus Anlass des runden Geburtstags haben wir mit Museumsdirektor Jörg Heiligmann über alte Steine, spannende Geschichte(n) und die Bedingungen der Museumsarbeit in aufgeregten Zeiten gesprochen.
Interview: Michael Lünstroth
Herr Heiligmann, das Archäologische Landesmuseum wird in diesem Jahr 25 Jahre alt, Sie sind seit 24 Jahren dabei. Wie hat sich das Museum in dieser Zeit entwickelt?
Es sind so viele Dinge passiert. Wir haben eine Schiffsabteilung angebaut. Darin zu sehen ist unter anderem das älteste Schiff vom Bodensee. In der Dauerausstellung sind neue Räumlichkeiten entstanden und sie wurde gut modernisiert. Darüber hinaus sind wir inzwischen zu einem Landesbetrieb geworden, der die Ergebnisse der Archäologie im Land auch landesweit vermittelt. In unserem Zentralen Fundarchiv in Rastatt haben wir - alles zusammen genommen - rund drei Millionen Funde, wir betreuen sieben im ganzen Land verteilte Zweigmuseen. Wir haben in der Zeit gezeigt, dass wir große Landesausstellungen stemmen können. Ich glaube man kann sagen, das was man damals bei der Gründung auf den Weg bringen wollte, ist weitestgehend gelungen.
Mal ehrlich: Warum muss man sich auch heute noch für tausende Jahre alte Steine oder Scherben interessieren?
Die Funde sind im Grunde genommen die Urkunden für die frühe Geschichte des Landes. Dazu gibt es ja wenig Schriftquellen, insofern sind sie, zusammen mit den Grabungsbefunden das einzige, was wir haben, um über diese Zeit und die damalige Lebensweise etwas zu lernen. Da die Archäologie - und somit unser Haus - weit mehr zu bieten hat, als nur Steine und Scherben, kann sie im Grunde zu fast allen Lebensbereichen Informationen liefern.
Hilft uns die Archäologie, die Welt besser zu verstehen?
Sie hilft zumindest dabei, ein genaueres Bild von der damaligen Welt zu bekommen. Jeder Fund ist wie ein kleiner Mosaikstein in dieser grossen Landesgeschichte, je mehr Sie davon haben, umso genauer wird das Bild am Ende. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Frühzeit. Selbst im Mittelalter, einer Zeit, aus der ja durchaus Schriftquellen wie Urkunden und Aufzeichnungen überliefert sind, erzählen die Funde ganz eigene Geschichte und Geschichten. Zum Beispiel so etwas ganz Banales, wie die Frage, wie eigentlich die Bevölkerung damals gelebt hat? Das geben die Urkunden nicht her, da ist der Adel berücksichtigt, aber das gemeine Volk kommt da nicht vor.
Sehen: Videobeitrag zur Landesausstellung über Pfahlbauten
Was genau kann man da archäologisch finden?
Ein Beispiel: Wenn wir hier in Konstanz Latrinen untersuchen, so ist hochinteressant, was da alles rauskommt, weil die Latrinen zum Glück damals auch die Müllhalden der einzelnen Häuser waren. Sie können dann da zum Beispiel anhand der Speiseabfälle feststellen, wie sich die soziale Struktur eines Viertels über die Jahre verändert hat. Im 13. Jahrhundert finden Sie in den Latrinen kaum Knochen von hochwertigem Fleisch, 200 Jahre später sieht das schon ganz anders aus. Die Gesellschaft ist wohlhabender geworden, Fleischkonsum ist nicht mehr nur Adligen vorbehalten.
Trotzdem interessieren sich viele Menschen nicht für alte Steine - wie weckt man deren Interesse?
Im Wesentlichen durch die Vermittlungsarbeit. Es gibt da ganz unterschiedliche Zugänge. Da gibt es das klassische Programm mit Ausstellungen, Führungen und Vorträgen. Einen speziellen Zugang muss man jungen Menschen bieten, auf die muss man zugehen. Das klappt bei uns ganz gut. Rund 50 Prozent unserer Besucher sind Kinder und Jugendliche.
Wie wichtig ist diese Vermittlungsarbeit heute?
Extrem wichtig. Sie können nicht mehr erwarten, dass die Leute einfach so ins Museum kommen. Da müssen Sie etwas bieten. Die Art der Vermittlung hat sich natürlich in den vergangenen 25 Jahren auch geändert. Ein Punkt - allzu lange Sequenzen bei allen Veranstaltungsarten funktionieren heute nicht mehr. Die Zeit ist erheblich schnelllebiger geworden. Diese Entwicklung darf man nicht ignorieren, wenn man weiterhin Besucher haben will. Wichtig für uns war vor allem, die Einführung unserer Playmobil-Ausstellungen.
Das muss man vielleicht kurz erklären. Sie haben 2006 begonnen, Geschichte auch mit Playmobilfiguren zu inszenieren. Seither sind ganz unterschiedliche Epochen so dargestellt worden.
Wir haben das Format damals entwickelt, um auch über die Weihnachtstage Leute ins Museum zu locken. Das waren lange sehr besucherschwache Zeiten für uns. Dann kam die Idee, Geschichte und Archäologie mal spielerischer zu denken und zu zeigen. Damit erreichen wir inzwischen nicht mehr nur die Jungen, sondern auch ältere Besucher haben ihre Freude daran.
Geschichte spielerisch erzählt: Im Archäologischen Landesmuseum Konstanz wird grosse Geschichte auch mal mit kleinen Playmobilfiguren erzählt. Aktuell läuft eine Ausstellung zu den Pfahlbauten. Hierzu gibt es am Ende des Artikels auch ein Video. Bild: ALM Konstanz
Das Spezielle an diesen Ausstellungen ist ja. Sie sind sehr detailliert und liebevoll aufgebaut und sie blicken mit einem gewissen Augenzwinkern auf die jeweiligen Epochen. Das ist gewissermassen im besten Sinne lehrreiche Unterhaltung. Darf man im Museum auch mal lachen?
Auf jeden Fall. Aber nicht jeder hat den gleichen Humor, insofern kommen unsere eingebauten Gags auch nicht bei allen Besuchern gleich gut an...
Davon lassen Sie sich aber nicht abhalten?
Nein, dazu haben wir selbst zu grossen Spass an der Sache und der Zuspruch unseres Publikums ist ausnehmend gut. Wir sind davon überzeugt, dass man den Leuten Brücken bauen muss zu unseren Angeboten. Auch wenn manch ein Kollege die Nase rümpft über unsere Playmobil-Ausstellungen, halten wir daran fest. So erreichen Sie Menschen, die Sie mit seriösen, exakten Fach-Ausstellungen nicht erreichen. Als Archäologisches Landesmuseum müssen Sie heute beides bieten - die wissenschaftlich exakte Darstellung der Funde aus dem Land, aber eben auch Angebote für die Menschen, die sich nicht von Haus aus für Archäologie interessieren. Die nächste Playmobil-Ausstellung wird sich übrigens mit dem römischen Landleben in unserer Region befassen. Da arbeiten wir mit unseren Thurgauer Kollegen zusammen
Wie läuft insgesamt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit?
Das funktioniert reibungslos und sehr freundschaftlich. Darüber bin ich sehr froh. Vor allem darüber, wie unkompliziert das läuft. Die erste Ausstellung, die 1992 hier bei uns im Haus gezeigt wurde, stammte aus dem Thurgau. Sie hiess „Von der Adelsburg zur Augenklinik - Der Unterhof zu Diessenhofen". Danach folgten weitere Kooperationen. Jetzt gerade arbeiten wir zum Beispiel auch gemeinsam an der Schau „Stadt, Land, Fluss", die in diesem Jahr zuerst in Frauenfeld gezeigt wird und später dann hier bei uns.
Schauen wir nochmal ein bisschen nach vorne. Wie muss sich das ALM in den nächsten 25 Jahren entwickeln, um weiter attraktiv zu bleiben?
Wir müssen uns in der Art der Dauerausstellung ändern. Ich bin der Meinung, dass man sich ohnehin von solchen Dauerausstellungen, wie wir sie jetzt haben, verabschieden sollte. Besser wäre es, semi-permanente Dauerausstellungen zu haben, die rund zwei, drei Jahre laufen, dann kommt wieder etwas Neues. Das bisherige Konzept ist zu starr, es gibt immer ein Argument, nicht zu kommen. Entweder hat man sie schon gesehen oder denkt, man könnte sie ja auch ein anderes Mal anschauen. Da sollten Museen künftig flexibler agieren. Ich würde mir auch Gedanken darüber machen, wie man Kinder und Jugendliche noch besser einbinden kann, zum Beispiel mit interaktiven Stationen. Eine separate Kinderabteilung ist heute auch nicht mehr ganz zeitgemäss; ein Museum sollte ein gemeinsames Familienerlebnis bieten, dann wird es das auch.
Das Archäologische LandesmuseumDie Geschichte: Das Archäologische Landesmuseum (ALM) wurde 1992 in den Räumen eines früheren Benediktinerklosters eröffnet. Das Bild links zeigt den modernen Anbau für die Schifffahrtsgeschichte. Seit Türöffnung wurden hier und an anderen Orten insgesamt 206 Ausstellungen gezeigt. Das ALM war federführend an mehreren grossen Landesausstellungen beteiligt. Zuletzt zum Beispiel 2016 in den Zweigmuseen Bad Buchau und Bad Schussenried mit der Schau "4000 Jahre Pfahlbauten" Allein in dem Haus in Konstanz verzeichnete das Museum nach eigenen Angaben bis einschliesslich Januar 2017 799 135 Besucher. In die sieben in Baden-Württemberg verteilten Zweigmuseen kamen weitere rund 1,4 Millionen Menschen. Die grossen Landesausstellungen besuchten demnach etwa 820 000 Gäste. Unter dem Strich macht das zusammen rund drei Millionen Besucherinnen und Besucher. Interessant dabei: rund 50 Prozent der Besucher in Konstanz sind Kinder und Jugendliche. Und noch eine Zahl: In 25 Museumsjahren gab es 11772 Führungen, davon waren 4310 für Schulklassen.
Der Festakt: Am Donnerstag, 6. April, feiert das Museum mit geladenen Gästen seinen 25. Geburtstag. Am Abend wird zudem die neue Ausstellung "Zu Gast bei Juden. Leben in der mittelalterlichen Stadt" eröffnet. |
Weitergucken: Video zur aktuellen Playmobil-Ausstellung "Pfahlbauten"
Zur Orientierung: Hier finden Sie das Museum
Das Museum von aussen:
Noch mehr gucken: Videobeitrag zur Playmobil-Ausstellung "Konstanzer Konzil"
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