von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 01.12.2016
Das Scala ist Geschichte
Rund 60 Kinofreunde haben am Mittwochabend in Konstanz Abschied vom Scalakino genommen. Eigentlich sollte der Filmpalast an diesem Abend noch mal bespielt werden. "Aus Sicherheitsgründen" hatte der Betreiber das Kino aber schon einen Tag früher geschlossen. Viele Menschen waren empört
Einer der meist gesagten Sätze an diesem Abend klang so: "Ich hatte mich so auf diesen letzten Abend in den roten Sesseln des Scalakinos gefreut und jetzt auch noch das." Ungefähr 60 Kinofans trotzten am Mittwochabend den eisigen Temperaturen und wollten Abschied nehmen von ihrem geliebten Arthouse-Kino. Sie wollten noch einmal die besondere Atmosphäre des mehr als 80 Jahre alten Filmpalastes spüren. Und dann kam eben auch noch das. Das kam in Form eines Aushangs am Kinoeingang. Betreiber Detlef Rabe hatte hier mal wieder eine Botschaft hinterlassen. Es ist seit Monaten seine Art mit treuen Kunden zu kommunizieren. Auch das erklärt ein bisschen, warum es mit dem Scala so weit kommen konnte.
In diesem Aushang erklärte Rabe: "Wir haben erfahren, dass für die letzten Vorstellungen in unserem Kino zu einer Art "Beerdigungsaktion" mit Fackeln, Kerzen, Särgen, Pickeln, Schaufeln und Co aufgerufen wurde. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir so ein Vorgehen aus Sicherheitsgründen nicht zulassen können. Angesichts der bisherigen Auseinandersetzung um die Schliessung unseres Kinos, müssen wir leider damit rechnen, dass eine solche Aktion geltende Sicherheitsbestimmungen nicht respektiert. Daher hat das Scala seine letzten Filme am Dienstag, 29. November, vorgeführt und bleibt am Mittwoch, 30. November, geschlossen."
Dia-Schau mit Bildern vom Scala-Abschied am 30.November 2016 in Konstanz
Es ist nicht ganz klar, was Rabe genau befürchtet hat. Aber wenn man die rund 60 Kinofans anschaut, die sich an diesem Abend die Füsse vor dem Kino in den Bauch stehen, erkennt man darunter viele Frauen, viele ältere Semester, ein paar Studenten. Sie hätten das Kino wohl nicht abgerissen. Andererseits ist auch diese Aktion des Betreibers wieder konsequent - es passt zu seiner desaströsen Öffentlichkeitsarbeit in der ganzen Geschichte. Statt sich der Debatte zu stellen hat er sich immer hinter Investoren und Hauseigentümern versteckt. Gesprächswünsche von Medien hat er in den vergangenen Monaten stets abgelehnt. Der entstandene Imageschaden für sein Geschäft wuchs so immer weiter in jeder Woche des Schweigens. Rabe schien das schlicht hinzunehmen. Sein Geld verdient er eben künftig im Multiplexkino Cinestar.
Die meisten Menschen, die an diesem Abend zum Scala-Abschied gekommen sind, werden wohl eher keinen Fuss in dieses Haus setzen. Zumindest sagen sie das. Sie wollen künftig häufiger das Zebrakino besuchen, ein Kommunales Kino, das auch jede Unterstützung gebrauchen kann. Käme es wirklich so und profitierte das Zebra von dem Aus für das Scala - es wäre dann vielleicht die einzige gute Nachricht, die man aus der ganzen Geschichte ziehen könnte. Ein bisschen hat die ganze Debatte die Stadt auch geteilt. In Kinofans und Leute, die eine Kinoschliessung nicht als besonders schlimm erachten. Tatsächlich hatte man zum Schluss auch das Gefühl, dass viele Menschen in Konstanz des Themas überdrüssig sind. In den sozialen Medien liefen die Debatten jedenfalls heiss und es gab nicht wenige Kommentare, die meinten, jetzt sei auch mal gut mit dem Gejammere um ein Kino.
Kunstnebel über Kunstgrab: Rund 60 Bürger haben am Mittwochabend symbolisch das Arthouse-Kino Scala in Konstanz zu Grabe getragen. Der Dokumentarfilmer Douglas Wolfsperger war mit einem Kamerateam dabei. Bild: Michael Lünstroth
Die rührigen Mitglieder der Bürgerinitiative liessen sich davon aber nicht beirren. Sie waren es auch die am Mittwochabend das Gros der Teilnehmer des Trauerzugs durch die Konstanzer Gassen hin zum altehrwürdigen Münster bildeten. Der Dokumentarfilmer Douglas Wolfsperger war auch vor Ort, um ein paar Sequenzen für sein "Scala-Projekt" zu drehen. Er verarbeitet den Kampf um das Arthouse-Kino in einem Film, der im Herbst 2017 in die Kinos kommen soll. Auch er lässt sich nicht entmutigen. Weder von der Konstanzer Rathauspolitik, die seiner Arbeit ablehnend gegenübersteht, noch vom neuen Pächter der Immobilie, der ihm Drehverbot im gesamten Haus erteilt hat.
Seine Gegenwart und die seines Teams mit Kamera und Mikrofon macht diesen Abend am Ende aber auch ein bisschen skurril. Weil eben nicht alles nur passiert, weil es eben passiert, sondern ein Stück weit auch, weil der Regisseur einfach gute Bilder für seine Geschichte braucht. Inklusive Kunstnebel, "spontanen" Grabreden vor einem aufgeschütteten Haufen Erde unweit des Kreuzgang des Münsters und inszeniertem Trommelschlag zum Trauerzug.
Jessica Bentsche ist die Erste, die das Wort am Grab ergreift. Die Studentin hat sich schon früh in der Bürgerinitiative engagiert. Sie ist immer noch enttäuscht von der Politik. "Eine andere Lösung wäre möglich gewesen", ist sie überzeugt. Das Kinoerlebnis habe viele Menschen auch zusammnengebracht. Man sei als Fremde in den Kinosaal gekommen und als Komplizen im Geiste gewissermassen wieder heraus gegangen. "Wir haben wirklich alles versucht, um das Scala zu retten, bei der Stadt haben wir aber nur auf Granit gebissen", blickt sie zurück.
Alles gesagt: Mit "Bye Bye" verabschieden sich die Kinofans von ihrem Scala. Die Lichtprojektion weist auf das Aus für das Arthouse-Kino hin. Bild: Michael Lünstroth
Es folgen weitere ähnliche Reden. Und man merkt, bei aller skurrilen Künstlichkeit, die diese Szenerie in diesen Momenten hat, das Kino lag den Menschen wirklich am Herzen. Es war so etwas wie ein kunstsinniger Zufluchtort in einer durchkommerzialisierten Stadt. Damit ist nun Schluss. Aber es soll nicht das Ende sein. Oder wie Lutz Rauschnick, früherer Sprecher der Bürgerinitiative es formulierte: "Das Scala ist zwar jetzt tot, aber ich bin sicher, die Stadt wird auch künftig noch von uns hören." Es klang wie ein Versprechen. Das Versprechen, sich die Stadt zurückerobern zu wollen.
KOMMENTAR
Die Macht der Konsumenten
Von Michael Lünstroth
Das Scala in Konstanz ist nun endgültig Geschichte. Eine fast 80-jährige Kinotradition endete am Dienstagabend unwürdig. Es ist wohl das erste Mal in der Kinogeschichte, dass ein Betreiber aus Angst vor seinen Kunden sein Geschäft vorzeitig einstellt. Ein weiterer Punkt, der diesen ganzen Fall so aussergewöhnlich macht. Einerseits.
Andererseits steht diese mehrmonatige und bisweilen sehr heftig geführte Auseinandersetzung exemplarisch für zwei Entwicklungen unserer Zeit: Das Sterben von Kinos mit anspruchsvollem Programm in unseren Städten. Und das Erstarken einer am Menschen vorbeizielenden, kalten und primär investorenhörigen Stadtentwicklungspolitik. Ausgeführt von einer jungen und vor allem unpolitischen Generation moderner Citymanager. Auch deshalb ist es so wichtig, dass der Dokumentarfilner Douglas Wolfsperger dieses Thema erkannt hat und mit einem Film würdigen wird.
Kann man aus dem "Fall Scala" etwas lernen für die Zukunft? Unbedingt. Und zwar vor allem auf zwei Ebenen. Erstens: Eine andere Lösung wäre unter zwei Bedingungen möglich gewesen. Mit einem Betreiber, der sich wirklich für sein Kino interessiert und einer Politik, die unter Stadtentwicklung nicht nur das Anlocken von Investoren versteht, hätte der Filmpalast im Herzen der Stadt nicht sterben müssen.
Viel zu oft war in der Debatte der Eindruck entstehen, die Eigentümer der Immobilie seien hauptverantwortlich für das Aus. Das ist falsch. Vielmehr wäre die Erbengemeninschaft bereit gewesen, den Vertrag mit dem Kino zu verlängern gegen eine leichte Erhöhung der Pacht, die mit 5,60 Euro pro Quadratmeter für diese Lage extrem günstig war. Der Kinobetreiber hat das abgelehnt und damit den ganzen Prozess erst ins Rollen gebracht. Das Desinteresse der Rathausspitze am Thema hat die Abwicklung dann beschleunigt.
Zweitens: Der Konsument muss seine Macht mehr nutzen, wenn ihm etwas wichtig ist. Das bedeutet in diesem Fall vor allem - häufiger ins Kino gehen, wenn man will, dass es erhalten bleibt. Stimmen die kolportierten Auslastungszahlen des Scala von rund 15 Prozent - das ist unklar, weil niemand ausser Betreiber und Vermieter je Abrechnungen gesehen hat - dann gibt es eben auch eine Verantwortung des Nutzers. Moderne Kinomanager und wirtschaftsliberale Politiker verstehen in der Regel nur eine Sprache - die der Zahlen. Insofern können alle anderen Städte und Gemeinden von Konstanz lernen: Wer möchte das ein bestimmtes Angebot in seiner Region dauerhaft erhalten bleibt, der muss es auch regelmässig nutzen.
Lernen wir also daraus und machen es beim nächsten Mal besser. Es ist an uns, engagierte Programmmacher zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu entfalten und davon auch leben zu können. Deshalb: Schaltet Netflix mal ab und geht raus in Euer Programmkino. Geht ins Zebra, ins Luna, ins Roxy oder wie auch immer das nächste Arthouse-Kino in Eurer Nähe heisst. Tut ihr das nicht, werdet ihr es irgendwann bereuen. Wie sich das anfühlt? Da müsst ihr einfach nur mal ins Konstanz nachfragen.
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