von Inka Grabowsky, 23.08.2016
Ein Foto sorgt für Wirbel
Die Internationale Charles Sealsfield-Gesellschaft kommt Ende September für ihre Herbsttagung für einmal ins Bodman-Literaturhaus nach Gottlieben. Organisiert hat sie der Tägerwiler Rechtsanwalt Otto Egloff. Auslöser war eine Fotografie.
Inka Grabowsky
Für Otto Egloff, Rechtsanwalt und Leiter des Zentrums Bindersgarten in Tägerwilen, begann die Geschichte 1994 mit dem Tod seiner Gotte, der Fotografin und Filmerin Saskia Egloff. Er kaufte ihren Nachlass auf und gründete eine Stiftung, die Fotos und Filme aus sieben Jahrzehnten historisch einordnen will. Zum Nachlass gehört unter anderem auch ein Fotoalbum. „Ich wusste immer, dass es etwas Besonderes ist, aber ich wusste nicht genau, warum“, sagt Egloff heute.
Das alte Fotoalbum, das alles ausgelöst hat. Bild: inka
Viele der Bilder im Album sind ordentlich angeschrieben. Bekannte Persönlichkeiten wie Kaiser Wilhelm II. oder Bismarck sind darunter, aber auch Familienmitglieder wie die Ur-Urgrossmutter Egloffs. Einige Fotos sind unbeschriftet - eines davon hat jetzt in der literarischen Welt für Wirbel gesorgt. Es zeigt wahrscheinlich den österreichisch-amerikanischen Schriftsteller Charles Sealsfield, eine geheimnisumwitterte Persönlichkeit, von der bisher nur ein einziges Bild bekannt war. Zusätzlich zu dieser Aufnahme des alten Mannes gäbe es nun ein Portrait von Sealsfield in jüngeren Jahren, sollte sich die Echtheit beweisen lassen.
Möglicherweise ein Foto des jungen Charles Sealsfield
„In meiner Familie wurden immer Geschichten erzählt“, so Otto Egloff. „Eine drehte sich um Oberst Johann Konrad Egloff, der vor rund 170 Jahren von Napoleon III. auf dem Arenenberg den Auftrag bekam, sich in Tägerwilen um einen Amerikaner zu kümmern. Es hiess immer, er sei ein Spion gewesen. Wir wissen, dass es sich um Charles Sealsfield gehandelt hat.“
Amerika erstmals auf Deutsch erklärt
Sealsfield hiess eigentlich Carl Postl und war in Österreich Mitglied in einem katholischen Orden, aus dem er mit dreissig Jahren ausbrechen wollte. Er flüchtete 1823 in die USA, gab sich neue Namen und veröffentlichte Bücher - zum Teil überaus erfolgreich. „Sealsfield war der erste deutschsprachige Autor, der aus eigener Anschauung über Amerika schrieb und dabei den USA eine grosse Rolle für die Zukunft prophezeit hat“, sagt der Wiener Germanist Wynfrid Kriegleder, der am Kongress in Gottlieben teilnehmen wird. „Damals herrschte in Europa noch ein ganz anderes Amerika-Bild vor. Er wollte den Deutschen die USA und ihr politisches System erklären. Für ihn waren die Demokratie und die republikanische Identität absolut zukunftsweisend.“
Mit seiner neuen Existenz war Sealsfield 1830 nach Europa zurückgekehrt. Ob er in Tägerwilen für Napoleon III. gearbeitet hat oder ihn ausspionieren wollte, ist nicht bekannt. „Der Bodensee war damals eine Drehscheibe für Agenten“, sagt Otto Egloff. „Das hatte nicht nur etwas mit dem kaiserlichen Hof zu tun, sondern auch mit den Unruhen in Deutschland. Von Kreuzlingen aus arbeitete der Belle-Vue Verlag, der politische Schriften von deutschen Emigranten druckte.“ Auch das wird Thema beim Kongress sein.
Kongressprogramm steht
Heinz Bothien, der ehemalige Leiter der Kantonsbibliothek Thurgau, hat für den Kongress vom 29. September bis 2. Oktober im Gottlieber Bodmanhaus einen Vortrag zu dieser Exilantendruckerei zugesagt. Ausserdem wird Thomas Spirig vom Lokalmuseum „Vinorama“ in Ermatingen über die Region rund um 1830 sprechen. Otto Egloff selbst will die Umstände des Fotofundes erklären. „Ich bin selbst ja kein Spezialist“, sagt er, „aber ich habe mittlerweile einen Überblick über die Spezialisten und kann lokale Bezüge herstellen.“
Den Hauptteil des Programms bestreiten Germanisten, Anglisten und Historiker aus Österreich, Ungarn, Rumänien, den USA, Irland, der Schweiz und Deutschland. Die Vorträge sind öffentlich. Das Rahmenprogramm mit Führungen in Konstanz und im Arenenberg ist den Experten vorbehalten.
Ein hoch motivierter Organisator
Nachdem Otto Egloff durch seine Arbeit für die Saskia Egloff Stiftung über Sealsfield gestolpert war, liessen ihn der Autor und sein abenteuerliches Leben nicht mehr los. „Er war sicher hochintelligent und in der Lage, messerscharf zu analysieren. Gleichzeitig wurde er als geflohener Priester lebenslang von seiner eigenen Vergangenheit verfolgt. Für mich ist er ein Opfer des k.u.k.-Systems“, meint Egloff. „Insofern ist er mir nicht unsympathisch.“
Die Präsidentin der internationalen Charles Sealsfield Gesellschaft, Helga Löber, kennt so etwas schon. „Wenn man einmal anfängt, sich mit Sealsfield zu beschäftigen, dann will man immer mehr wissen.“ Sie selbst ist ebenso wie Otto Egloff durch familiäre Bezüge auf das Thema gestossen. Er ist der Bruder ihrer Ur-Ur-Grossmutter. Die rund hundert Mitglieder der Gesellschaft haben ein eher wissenschaftliches Interesse. „Trotzdem wird der Kongress bestimmt auch etwas für die Menschen vor Ort“, so die Wienerin. „Es ist doch so viel lokale Geschichte mit Sealsfield verbunden.“ Dem stimmt Otto Egloff zu: „Sealsfield war zu seiner Zeit einer der meistgelesenen Schriftsteller, und er hat viele seiner Werke bei uns in der Region geschrieben. Schon deshalb sollten wir ihn kennen.“
Hugo von Hofmannsthal über Sealsfield"In Sealsfield ist etwas vorgebildet und nichts Geringes: der deutsche Amerikaner. Die Seele ist deutsch, aber durch eine fremde grosse Schule durchgegangen. Er reiht sich an die andern, und ist doch besonders. Haben sie ihn drüben vergessen, so ist es traurig, hier durfte er nicht fehlen, er erzählt in einer Weise, dass keiner ihn vergisst, der ihm einmal zugehört hat." (Bild: Das offiziell anerkannte Foto des älteren Sealsfield) |
Das Programm des Kongresses vom 29. September bis zum 2. Oktober
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