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von Daniel Badraun, 18.08.2016

Das Böse lauert im Nebel

Das Böse lauert im Nebel
Lang anhaltender Applaus für die wunderbare Premiere von "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" im Greuterhof Islikon | © Daniel Badraun

Gelungene Aufführung von „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ der Theaterwerkstatt Gleis 5 im Greuterhof Islikon. Es war eine wunderbare Premiere, das Spiel ausgezeichnet, und die Stimmung magisch.

Daniel Badraun

Robert Louis Stevenson (1850-1894) ist vielen von uns ein Begriff. Unvergesslich ist sein Abenteuerroman „Die Schatzinsel“. Der Autor litt zeitlebens an den Folgen einer Tuberkulose, die nie ganz ausheilte und ihn mehrmals nach Davos führte. In Anlehnung an einen wahren Fall schrieb Stevenson 1886 „The strange case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“. In der Schauernovelle macht sich der Anwalt Utterson daran, das Geheimnis um seinen Freund Dr. Jekyll und den rätselhaften Mr. Hyde zu lüften. Angesiedelt ist die Handlung, die im Original ohne Frauen auskommt, im viktorianischen London, sowohl in der Gegend des noblen Cavendish Square wie auch im verruchten Soho mit seinem Bordellen und Opiumhöhlen.

Ein Stück wie gemacht für den Greuterhof

Seit 18 Monaten arbeiten Hotel und Verein Greuterhof Islikon zusammen mit den Verantwortlichen der Frauenfelder Theaterwerkstatt Gleis 5 an dem Projekt. „Dass wir diesen Stoff ausgewählt haben, hat auch mit dem Greuterhof selbst zu tun“, erzählt Giuseppe Spina. „Andrea Noce Noseda und ich haben uns an einem Abend reingesetzt und rumgesponnen. Dabei kam uns zum ersten Mal der Gedanke, dass der Innenhof etwas vom nebligen London des 19. Jahrhunderts hat.“ So entstand aus der Novelle von Stevenson ein eigenständiger Theatertext, der in die heutige Zeit passt. „Noseda hat die Novelle dramatisiert, Figuren und Handlungsstränge hinzugefügt. All das ist etwas, was wir als Truppe bei der Umsetzung von Prosatexten schon immer gemacht haben“, erklärt Spina, der die Produktion leitet und gleich auch die Hauptrolle spielt.

Im Hof des Greuterhofs steht eine Tribüne für 100 Zuschauer. Der Platz davor ist die Bühne für dieses „Kammertheater, unter freiem Himmel“, die rau verputzte Wand dient als Kulisse. Ein Durchgang führt in die Dunkelheit und ins Innere des Gebäudes. Mehr braucht es nicht. Das Dienstmädchen Mary und der Butler Poole rollen Teppiche aus, Tische kommen dazu und Stühle, schon sind die einzelnen Räume für das Spiel hergerichtet.

Universelles Thema

Kaum hat es sich das Publikum bequem gemacht, erscheinen die Schauspieler. Die Stimmung ist gelöst und locker. Am Tisch sitzen Dr. Jekyll, seine Verlobte Mina und Utterson, der Freund des Doktors. In drei Tagen soll die Hochzeit stattfinden, zusammen mit Mary und Poole wird ausgelassen gefeiert. Utterson, der an Stöcken geht, immer wieder hustet und wohl wie Stevenson an Tuberkulose erkrankt ist, spielt den überzeugten Junggesellen. Er und Mary decken die Gesellschaft mit Sprüchen ein, wie etwa: „Alkohol ist nicht die Antwort, hilft aber, die Frage zu vergessen!“

Und plötzlich ist der Bruch da, Mina liegt leblos auf dem Tisch, neben ihr eine Pistole. Bevor das Publikum begreift, was passiert ist, bewegen sich die Figuren rückwärts und die Zeit wird zurückgespult. Der ehrgeizige Dr. Jekyll will beweisen, dass das Böse in uns abgespaltet werden kann. Nach Ansicht von Spina stellt der Stoff eine Grundfrage des Lebens: Was ist gut und was ist böse? „Die Hauptfigur will die Menschheit von der Geisel des Bösen befreien und tappt dabei tragischerweise selbst in die Falle. Dieses Thema ist universell.“

Trotz Düsternis heiter

Regisseur Andrea Noce Noseda führt das Publikum und das Ensemble mit gelungenen Rhythmuswechseln durch das Stück und in die immer düsterer werdenden Gassen von London hinein, in denen ein Mann mit Stock mordet. Giuseppe Spina spielt einen Jekyll , der nach der Einnahme seines eigenen Elixiers vom überzeugten Wissenschaftler zum Getriebenen wird, er zeigt die Zerrissenheit des Menschen zwischen zwei entgegengesetzten Polen. Schliesslich gewinnt der böse Mr. Hyde die Oberhand und nimmt immer mehr vom Wesen des Arztes ein. Der engagierte Anwalt Utterson, der seinen Freund nicht fallen lässt, wird von Federico Dimitri verkörpert. Lotti Happle ist die heiratswillige Mina, Carin Frei mit Dialekteinschüben die robuste Dienstmagd Mary aus Yorkshire und Joe Fenner der treue Butler Poole. Mit viel Spielfreude und den teils schrägen Dialogen treiben sie die Geschichte vorwärts und sorgen trotz der Düsternis für viel Heiterkeit.

Unterwegs im nebligen London

Lichtdesigner Marco Oliani verwandelt die Bühne, die eben noch ein hell erleuchtetes Esszimmer war, in eine neblige Gasse von London oder in eine verrauchte chinesische Opiumhöhle. Passende Musikstücke wie etwa „Heart of Gold“ von Neil Young unterstützen die Stimmung. Mal ist es Nacht, im bläulichen Mondlicht stellen Utterson, Poole und Mary eine Leiter auf und wollen zum Fenster des Doktors hinaufsteigen. Mit „Wer keine Angst hat, hat keine Phantasie!“, versucht Utterson sein Zögern zu rechtfertigen. „Taten sind die Früchte, Worte die Blätter“, kontert Mary und steigt energisch die Leiter hinauf.


Bild: Daniel Badraun

 

Dem Klamauk folgen leise und intensive Szenen. Hyde, der im Nebel aus dem dunklen Durchgang auftaucht und Mary anspricht. Immer neue Bilder entstehen, immer bedrohlicher wird die Stimmung. Und dann gelingt es Utterson und Mina, den Doktor zur Vernunft zu bringen. Ist nun alles gut, oder etwa doch nicht?

In sechs Wochen Probezeit und mit einer Minitournee durch den Kanton Graubünden ist es gelungen, die Geschichte in eine Form zu bringen, die die Thematik auch für heutige Zuschauer aussagekräftig macht. Spielort, Licht und Musik unterstützen die Geschichte, so ist ein intensives Theaterstück entstanden, das wohl niemanden im begeisterten Publikum kalt lässt. Ein lang anhaltender Applaus ist ein erster Lohn für diese wunderbare Premiere. Das Stück verdient einen Grossaufmarsch des Publikums.

***
Zum Vergleich der Bericht von Dieter Langhart in der TZ: Ist der Mensch ein Monster?

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Aufführungen bis 27. August

 

 

www.jeundhy.com

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