Seite vorlesen

von Brigitte Elsner-Heller, 16.07.2016

Wir sind, was wir sind: menschlich!

Wir sind, was wir sind: menschlich!
Zwei Welten treffen aufeinander im „Käfig voller Narren“ des See-Burgtheaters. Durch eine Erschütterung von aussen gerät die menschlich heile Welt der Tunten aus dem Gleichgewicht. | © Mario Gaccioli

Mit „Ein Käfig voller Narren“, einer bunten Erzählung um Tunten und Transvestiten, zeigt sich das See-Burgtheater in Kreuzlingen unter Leitung von Leopold Huber leichthändig und stilsicher.

Brigitte Elsner-Heller

Wer wüsste nicht gern, wer er oder sie selbst ist - zumal, wenn der Druck von aussen dem entgegen wirkt, was man selbst fühlt. Wenn im wunderbar heimeligen Spiegelzelt, das im Kreuzlinger Seeburgpark jedem Wetter trotzt, die Seinsfrage gestellt wird, klingt das jedoch etwas anders: „Wir sind, was wir sind, doch was wir sind, sind wir nur scheinbar“. Und es meint auch zunächst etwas Anderes.

Zunächst die Verblüffung...

Die „Cagelles“, die Tanztruppe, die vor dem Glitzervorhang auf der zum Laufsteg ausgebauten Bühne (Klaus Hellenstein) auftritt und die Verse gleichzeitig intoniert, besteht aus vier Personen, deren geschlechtliche Identität bühnenwirksam changiert (Ivan Blagajcevic, Philippo Domini, Giovanni Imbroglia und Adriano Piccione).

„Les Cagelles“ und Georges. Bild: Katja Angermaier

 

Ausgestattet mit einem männlichen Körper, treten die vier in einer Travestie-Show auf, in der an optischen Reizen nicht eben gespart wird - was das Publikum bei der Premiere durchaus zunächst etwas zu verblüffen scheint.

... dann in Wärme eingehüllt...

Die Show, die hier zur Nummernrevue des Pariser Nachtclubs „La Cage aux Folles“ gehören soll, hat Leopold Huber an das beschauliche Ufer des Bodensees geholt, indem er das Musical „Ein Käfig voller Narren“ für das See-Burgtheater inszeniert hat. Nicht nur gegen Wetterkapriolen ist man dann im historischen Spiegelzelt gut gewappnet, sondern auch, frei heraus gesagt, gegen allzu einfache Urteile, um nicht zu sagen: Vorurteile.


Denn im Fortgang der Geschichte um das schwule Paar Georges und Albin - Georges Nachtclubbesitzer und Albin als Drag-Queen Zaza die Hauptattraktion - wird deutlich, dass es hier tatsächlich um Liebe geht, deren Facetten vollkommen unwesentlich werden, weil alles von menschlicher Wärme eingehüllt ist. Dass sich das Musical von Jerry Herman und Harvey Fierstein nach dem Stück von Jean Poiret dabei auch platter Effekte bedient, sei also verziehen. Dieses Mal soll der Zweck ruhig die Mittel heiligen.


Albin als Drag-Queen Zaza. Bild: Mario Gaccioli

 

Albin, wunderbar in Szene gesetzt von Helmut Mooshammer, ist zwar als Drag-Queen Zaza auf der Bühne eine flirrende Grösse, als Albin jedoch verletzlich und auf die Zuwendung von Georges, gespielt von Andreas Zaron, angewiesen. Eingespielt ist das „alte Ehepaar“ bereits seit zwanzig Jahren und dabei offenbar immer noch verliebt. Und, man höre und staune, sie haben sogar ein Kind gemeinsam grossgezogen, Georges Sohn Jean-Michel (Michel Kopmann), Ergebnis eines kleinen Umwegs, den Georges in Sachen Liebe einmal genommen hat. Was Albin allerdings nicht daran gehindert hat, für Jean-Michel wie eine Mutter zu sein.

... die Standards übertreffend...

Wie viele Verkleidungskomödien hat es nicht schon gegeben, wie viele Männerbeine in Pumps, die treffsicher für Lacher sorgen! Ja, auch im „Käfig voller Narren“ wird mit diesen altbekannten Stereotypen gespielt. Trotzdem fühlt sich das alles etwas anders an, weil nämlich sehr sympathisch. Wenn Frank Wöhrmann als Jacob in Pumps und Dekolletee sich um das Wohl des Paares kümmert und dabei immer wieder die Diskussion läuft, ob er nun Butler oder Zofe sei, hat das schon eine grosse Leichtigkeit, die die Standards übertrifft.

... aus dem Gleichgewicht geratend...

Und prompt lauert das Übel dann auch in Gestalt eines „normalen“ Paares, nämlich der Eltern der bezaubernden Dame (Maria Lisa Huber), die Jean-Michel zu ehelichen gedenkt. Darüber, dass der Sohnemann nun tatsächlich eine Frau heiraten will, mag noch trefflich gekalauert werden, darüber, dass der Schwiegervater in spe ein erzkonservativer Politiker ist, kann man vielleicht gerade noch schmunzeln. Durch diese Erschütterung von aussen gerät tatsächlich auch die menschlich heile Welt der Tunten aus dem Gleichgewicht, denn Jean-Michel ist zu feige, seine eigene Familienkonstellation offenzulegen. Albin soll für das Kennenlernen der Familien vorübergehend einer „richtigen Frau und Mutter“ Platz machen.„Zwanzig Jahre lang hat dich dieser Mann wie eine Mutter aufgezogen“, kann Georges noch einwerfen, bevor er selbst auch vor den Umständen kapituliert.

... für Toleranz stehend...

Inniger Höhepunkt einer farbenfrohen Schau wird dann auch der Soloauftritt von Albin, der als Zaza ansetzt: „Ich bin, was ich bin“, das Lied, das nach der Uraufführung 1983 zur Hymne für Toleranz und geschlechtliche Selbstbestimmung wurde. Zaghaft, weil durch die Verleugnung durch Georges und Jean-Michel verletzt, setzt Zaza auf ihrer eigenen Bühne ein, um im Verlauf des Songs zusammen mit der orchestralen Begleitung (live im Spiegelzelt die Band unter Leitung von Volker Zöbelin) an Kraft und Tempo zuzulegen. Geschenkt, dass alles „gut“ ausgeht: die bunte Gesellschaft bleibt bunt und die klassischen Anzug- beziehungsweise KostümträgerInnen (Walter Küng und Astrid Keller als konservative Schwiegereltern) wirken mehr saft- und kraftlos denn gefährlich.

... und wunderbar besetzt

Im Zentrum der Sympathie steht bei dieser Aufführung im Spiegelzelt natürlich das schwule Paar Georges und Albin, das mit dem Berliner Musical-Darsteller Andreas Zaron sowie Helmut Mooshammer vom Deutschen Theater in Berlin wunderbar besetzt sind. Sie sind mit ihrem Spiel, den kleinen Gesten und grossen Auftritten, so genau aufeinander bezogen, dass man ihnen fast wünschen würde, sie seien im wirklichen Leben auch so füreinander da. Das Leben kann bunt sein, spritzig, und vielleicht nicht nur in diesem Spiegelzelt, in dem Leopold Huber einmal mehr unter Beweis stellt, dass er für Dinge gut ist, die nicht immer glatt sind und der gängigen Norm entsprechen. Das Premierenpublikum war begeistert.

***

Weitere Vorstellungen bis 11. August, jeweils 20.30 Uhr. Weitere Informationen und Karten unter www.see-burgtheater.ch; Kartenreservation auch telefonisch unter +41 (0)71 670 14 00 (Mo-Fr 10-15 Uhr, Sa 10-14 Uhr) oder per Mail: info@see-burgtheater.ch

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Bühne

Kommt vor in diesen Interessen

  • Kritik
  • Schauspiel
  • Musiktheater
  • Musical
  • Freiluft/Open Air
  • Bodensee

Werbung

Was bedeutet es heute Künstler:in zu sein?

In unserer Serie «Mein Leben als Künstler:in» geben dir acht Thurgauer Kulturschaffende vielfältige Einblicke!

Unsere neue Serie: «Wie wir arbeiten»

Unsere Autor:innen erklären nach welchen Grundsätzen und Kriterien sie arbeiten!

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

„Der Thurgau ist ein hartes Pflaster!“

Wie ist es im Kanton für junge Musiker:innen? Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen!

Eine verschleierte Königin

Einblicke ins Leben der Künstlerin Eva Wipf: Hier geht's zu unserer Besprechung der aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau.

Kultur für Klein & Gross #22

Unser Newsletter mit den kulturellen Angeboten für Kinder und Familien im Thurgau und den angrenzenden Regionen bis Ende Januar 2025.

«Kultur trifft Politik» N°I

Weg, von der klassischen Podiumsdiskussion, hin zum Austausch und zur Begegnung. Bei der ersten Ausgabe am Mittwoch, 27. November geht es um das Thema "Räume".

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

#Kultursplitter im November/Dezember

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

"Movie Day": jetzt für 2025 bewerben!

Filme für das 12. Jugendfilm Festival können ab sofort angemeldet werden. Einsendeschluss der Kurzfilme für beide Kategorien ist der 31.01.2025

Ähnliche Beiträge

Bühne

Herr Fässler besiegt die Angst

Therapeutin trifft auf Zyniker: In der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld ist mit „Herr Fässler und die Stürme der Liebe“ zu erleben, wie sich eine Puppe von ihrer Puppenspielerin emanzipiert. mehr

Bühne

Problemfamilie mit Wiedererkennungswert

Die Eigenproduktion „Familienidylle“ des theagovia theater zeigt eine Familie im Ausnahmezustand, der vielleicht gar nicht so ungewöhnlich ist. mehr

Bühne

«Ich will auch nicht immer in den Abgrund schauen.»

Die Schauspielerin und Produzentin Susanne Odermatt hat sich in den vergangenen Jahren als Spezialistin für Dramen einen Namen gemacht. Jetzt bringt sie eine Komödie auf die Bühne. mehr