05.07.2016
Zündel - ein Schlüsselerlebnis
Zum Tod von Markus Werner, dem Schaffhauser Schriftsteller mit Thurgauer Wurzeln, erinnert sich Daniel Badraun an seine Lektüre von „Zündels Abgang“. Den Text hatte er für eine Publikation verfasst.
Daniel Badraun*
Markus Werner habe ich nie getroffen. Ich habe ihn nie lesen gehört, nie im Fernsehen gesehen. Markus Werner macht sich rar, er ist für mich purer, reiner Text. Mein Lieblingsbuch ist „Zündels Abgang“. Die Geschichte von einem, der sich leise davonmacht. Erzählt in einer kantigen, kratzenden Sprache. Sprunghaft und doch konsequent. Zündels Unzugehörigkeit fasziniert mich bis heute.
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Damals 1984, als ich das Buch zum ersten Mal las, wollte ich genau so schreiben können wie Markus Werner. Ich hatte bis dahin nur vage Vorstellungen über den Tonfall meines ersten Romans, nie aber war ich zufrieden mit dem Resultat. Unzählige Seiten wanderten in den Papierkorb. Ich suchte nach einem Buch, das so geschrieben war, wie ich gerne geschrieben hätte. Ein Vorbild, das Mut macht, eines, das mich nicht erschlägt. Der Zündel war genau richtig. Ein Buch, gemalt in verschiedenen Ockertönen. Ein Text mit Rissen und Kratzern, mit Schrunden und Kratern.
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An einem Herbstmorgen legte ich los. Atemlos tippte ich auf meiner alten Hermes meinen ersten Roman, der von einem jungen Lehrer erzählte, der ähnlich wie Zündel den äusseren Zwängen seines Alltags nicht gewachsen war. Endlich gelang es mir, die verschiedenen Ebenen der Geschichte so zu kombinieren, wie ich es mir immer vorgestellt hatte.
„Ich bin entbehrlich, im äussersten Grad, ohne viel Selbstmitleid, ohne viel Zukunft“, sagt Zündel. Markus Werner und seine Texte sind es sicher nicht.
*Daniel Badraun ist seit 1989 Kleinklassenlehrer in Diessenhofen und lebt in Schlattingen (TG). Er ist Korrespondent von thurgaukultur.ch, schreibt Krimis, Theaterstücke, Kinderbücher, Kurzgeschichten, Gedichte und betreut diverse Leseförderprojekte im Internet für Ostschweizer Kantone.
Zündels AbgangZündels Abgang ist der erste Roman von Markus Werner, der wegen seiner ersten vier Lebensjahre in Eschlikon auch als Thurgauer gilt. Das Buch erschien 1984 im Residenz Verlag und wurde schnell zum Bestseller.
Zündel, der Held, Mitte dreissig, verheiratet, spürt in sich wie eine schleichende Infektion das Existenzzernagende des Lebensalltags. Gegen Katastrophen könnte man sich aufbäumen, was aber hilft noch gegen die kleinen und umso dreisteren Alltagsattacken, gegen die abgeklärte Robustheit des Normalen. Als die grossen Ferien da sind und ihn nichts mehr hält, entfernt sich Zündel. Der Versuch einer Reise nach Griechenland scheitert, ein erneuter Anlauf bringt ihn bis Genua. Was ihm dort zustösst, ist nur noch für den Leser zum Lachen. Zündel will nicht mehr und geht ab. (wikipedia/fischerverlage.de) |
Weitere Artikel zum Tod von Markus Werner:
NZZ: Mit dem Witz des Moralisten
Tages-Anzeiger: Liebesversuche mit der Welt
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