von Patrizia Barbera, 03.09.2015
Zankapfel Thurgau
Sauschwabe? Kuhschweizer! Mit einem interaktiven, multimedialen Ausstellungskonzept nimmt das Historische Museum seine Besucher mit in eine der turbulentesten Zeiten des Kantons. Die Entstehung der Grenzen nach 1415 wird durch lebensnahe Erzählungen und „History Boxen“ zum Mittelaltererlebnis.
Dominik Schnetzers Augen leuchten vor Begeisterung, als er sein Smartphone zückt und sich einen Flyer schnappt. „Es beginnt schon unten am Eingang mit unseren eingebauten Überraschungen – hier haben wir eine Augmented Reality versteckt, was dem jüngeren Publikum sicher sehr gefallen wird.“
Dominik Schnetzer führt die "Augmented Reality" im Flyer vor. (Bilder: Patrizia Barbera/zVg)
Und nicht nur dem. Neugierig drängen sich die Anwesenden der Medieninformation am Morgen vor der Vernissage zur neuen Ausstellung des Historischen Museums im Schloss Frauenfeld um den Ausstellungskurator und staunen nicht schlecht.
Im Untergeschoss, thematisch dem „Zankapfel Thurgau“ und damit dem Alltag im Mittelalter und der Gesellschaft gewidmet, verkündet „Adrian“ mit mutiger Stimme: „Kommt nur her! Ich, Ritter von Klingen, bin unbesiegbar.“ Waghalsig hüpft die kleine Figur übers Smartphonedisplay, begleitet von Geräuschen, die zum Mittelalter passen.
Schnetzer hält sein Smartphone etwas höher und lässt Kammerjungfer Barbara von ihrer Liebe zu Jesus sprechen – im ersten Stock der Ausstellung zum Thema „Zankapfel Religion“. Im zweiten Obergeschoss geht es dann schliesslich um die Politik – die im Jahr 1415 in einem explodierenden Streit der Mächtigen Europas dazu führte, dass drei Päpste abgesetzt werden sollten. Woraus wiederum die bewaffneten Konflikte entstanden, in denen der Thurgau schlussendlich von den Eidgenossen erobert wird.
Nach so viel künstlicher Realität am Handy ist es nun aber Zeit für einen Durchgang durch die realen, mit viel Liebe und Aufwand zwei Jahre lang geplant und gestalteten Räume der neuen Ausstellung. In der in den sogenannten „History Boxen“ die szenisch inszenierten Kopfkinowelten auch weiterhin nicht zu kurz kommen.
Museumsdirektorin Gabriele Keck erklärt die Touchscreen-Stationen - jeweils aufbereitet für Kinder und Erwachsene und...
...freut sich sichtlich, als am Morgen vor der offiziellen Eröffnung eines der wertvollsten Ausstellungsstücke in die Ausstellung integriert wird...
...die "Richentalchronik".
Herzstücke der Ausstellung sind die „Mitra“ sowie die „Richentalchronik“ des Konstanzer Konzils, die in Zusammenarbeit mit der Kantonsbibliothek Thurgau und dem Staatsarchiv Thurgau in der Ausstellung prominent verankert wurden.
„In der Richentalchronik, diesem in der Art einzigartigen Zeitdokument, ist der Alltag der Menschen so gut und spannend beschrieben, dass wir wirklich nachempfinden können, wie es gewesen sein muss, in dieser irre aufregende Zeit gelebt zu haben im Thurgau“, erzählt Barbara Schmid, Leiterin Historische Bestände und Sammlungen der Kantonsbibliothek, begeistert.
Wo die Gretchenfrage zum Bruch führte: Das 1. OG widmet sich dem "Zankapfel Religion".
So viel sei noch vor der – ab 4. September offiziell startenden Ausstellung – verraten, die flankiert wird von Schülerworkshops, Podiumsdiskussionen mit Experten und natürlich Familienangeboten: Egal, ob tiefgründig-wissenschaftlich Interessierte(r), Touchscreenfan oder Original-Gemälde-Bestauner – zwischen den Geschichtsbegeisterten wird sicherlich kein neuer Zank im Kanton entflammen, da bei der neuen Ausstellung des Historischen Museums für alle etwas dabei sein dürfte.
Zum historischen Hintergrund
Die neue Schlossausstellung des Historischen Museums Thurgau inszeniert die ereignisreiche Epoche, als nach 1415 die Grenzen des heutigen Kantons entstehen. Ein multimedialer Rundgang entführt in die faszinierende Welt der Ritter, Klöster und Landvögte.
Die Geschichte ist schnell erzählt. In den Jahren vor 1415 herrschten noch die Habsburger, danach zankten sich verschiedene Parteien um den Thurgau. Dann fielen die Eidgenossen ein und machten das Gebiet zum Untertan. Die Geschichte ist aber genauso kompliziert. IN der gleichen Zeitspanne erhoben noch andere Herren Anspruch auf das Gebiet und die Kirche spaltete sich, zuerst politisch, dann im Glauben. Die Menschen waren verunsichert und verloren die Orientierung.
Die neue Schlossausstellung des Historischen Museums Thurgau beleuchtet die für den späteren Kanton wegweisende Epoche nach 1415. Sie bietet Erwachsenen und Kindern gleichzeitig einen sinnlichen wie verspielten Zugang zum Mittelalter. Die moderne Rauminszenierung, die interaktiven Animationen sowie die im neuen Glanz ausgestellten Kunstwerke prägen den multimedialen Schlossrundgang.
In atmosphärisch inszenierten Schlossräumen verfolgt das Publikum hautnah, wie Menschen die turbulente Übergangszeit zur eidgenössischen Herrschaft erlebt haben. Eine Zeit, in der sich die Konfliktparteien mit «Kuhschweizer» und «Schauschwabe» beschimpften. Eine dazu passende und von Schülerinnen gestaltete Kunst-Kuh wird an der Vernissage vom 3. September enthüllt.
***
Das Geheimnis der Äbtissin. Fortsetzungsroman. - thurgaukultur.ch vom 03.09.2015
Ähnliche Beiträge
Wissen macht glücklich
«Wie wir arbeiten» (2): Kaum jemand schreibt schon so lange für uns wie Inka Grabowsky. Für sie ist das Gefühl, wenn der Groschen fällt, unbezahlbar. mehr
Schauplätze des Zweiten Weltkriegs im Thurgau
Die Frauenfelder Sonderausstellung «Fliegeralarm – Konfliktarchäologie im Thurgau» begibt sich auf Spurensuche. mehr
Wie der Alltag museumsreif wurde
Seit zehn Jahren wird Geschichte im Thurgau neu geschrieben: Ein Webarchiv bündelt Erinnerungen von Menschen, die hier leben. Zum Jubiläum gibt es einen Thementag. mehr