von Anke Klaaßen, 06.11.2023
„Die Faszination Kino ist etwas Beständiges“
Corona überstanden, Energiekrise überstanden. Und jetzt? Wie geht es den Kinos im Thurgau heute? Eine Reise durch den Kanton. (Lesedauer: 6 Minuten)
„Weiterschaffen“ im Cinema Luna in Frauenfeld
Ob das Publikum ins Kino zurückgekehrt ist? Christof Stillhard (Bild: Michael Lünstroth), Programmverantwortlicher des Cinema Luna in Frauenfeld, beschreibt die aktuelle Situation als mittelprächtig. Das läge aber auch an dem schönen Sommer. Stillhard schätzt, dass das Kino ungefähr bei 70 bis 80 Prozent ist von den Werten von 2019, also vor Corona. Prinzipiell beobachtet Stillhard eine Veränderung der Filmgewohnheiten. Die Zunahme der Streamingdienste sei schon ein Thema.
Das Cinema Luna zeigt in seinen beiden Sälen nun seit 29 Jahren kleine und wertvolle Filme aus aller Welt, etwa zwei bis drei neue pro Woche, oftmals mit Regie- oder Filmteamgespräch. Dabei ist das Kino nicht gewinnorientiert, Trägerverein des Kinos sind die Frauenfelder Filmfreundinnen. Von daher sei as Ciema Luna in einer relativ luxuriösen Situation, so Stillhard.
20 Prozent der Einnahmen aus Fördermitteln
Egal sind die Zuschauerzahlen trotzdem nicht: Es gibt zwar kleine Beträge aus der öffentlichen Förderung, von Bund, Stadt und Kanton. Diese mache jedoch nur etwa 20 Prozent aus. „Im Gegensatz zu anderen kommunalen Kinos in den Städten kommt bei uns das meiste Geld über die Eintritte.“ Trotzdem gehe es dem Kino auch dank eines treuen Publikums so gut, dass es knapp durchkommt und so überstand es auch die Corona-Zeit.
Während der Lockdowns habe das Cinema-Luna-Team viel überlegt und investiert, in Bau, Betrieb und Programm. Baulich gab es Investitionen in verbesserte Sichtbarkeit, mit Neonleuchte auf dem Dach, zusätzlichen Schaukästen für die Passanten und in die Lüftung. Betrieblich hätten sie nun eine Kerngruppe gebildet und Verein und Betriebsleitung klarer auseinandergenommen. Außerdem sei jetzt noch ein neues, jüngeres Teammitglied in die Programmation dazugekommen, das speziell Angebote für die jungen Leute prüfen und realisieren soll.
Besucher:innen können sich auch Filme wünschen
Hier liegt auch einer der Zukunftswünsche von Stillhard: Dass immer wieder ein paar neue, junge Zuschauerinnen und Zuschauer dazukommen. Das Engagement des Lunas für Kinder und Jugendliche sei groß und es gäbe zahlreiche Angebote für die Jungen. Neu sei beispielsweise im Programm die Reihe „The ones we love“. „Das ist ein Wunschkino, da können die Gäste einmal im Monat im Internet abstimmen, welchen Film sie sich wünschen.“ erzählt Stillhard. Und es gab zum ersten Mal eine Horrornacht, am 28. Oktober.
Was das Cinema Luna für die Zukunft plant? „Weiterschaffen.“ meint Stillhard. Das Cinema Luna wolle immer wieder Neues bringen, weitere Angebote für die Jungen schaffen, trotzdem auch das ältere Publikum behalten. „Das Kino wird weiterbestehen, als der Ort, an dem Filmkunst und Soziales zusammenkommen.“, so Stillhard überzeugt.
Roxy Romanshorn: „Kino für die Oberthurgauer“
„Die Lockdowns sind vorbei und weit weg“, meint Andrea Röst, verantwortlich für Geschäftsführung und Programmgestaltung im Roxy Romanshorn. Seit nun genau zehn Jahren zeigt das Roxy als Einsaalkino fast täglich Studiofilme, kuratierte Filmreihen, Unterhaltungsfilme, Kinder- und Jugend-Filme und Spezialveranstaltungen. Die Zuschauer seien zurückgekommen, so Röst. Allgemein fülle im Roxy nicht jeder Film den Saal, einzelne Filme wollen dann wiederum alle sehen. Aber, betont Andrea Röst: „Wir spielen auch, wenn nur ein Gast im Kino ist.“
Getragen wurde das Roxy in der finanziell herausfordernden Pandemiezeit besonders durch die Treue der Freiwilligen des Trägervereins „Feines Kino“. „Das Herzstück des Betriebs sind die Freiwilligen, das ist in der Coronazeit noch mehr klar geworden.“, erklärt Röst. Dadurch habe es wenig Lohnausfall gegeben. Aber auch durch Stadt, Kanton und Bund wurde das Roxy gut unterstützt.
Familiäre Atmosphäre wird geschätzt
Im Roxy hat sich durch die Coronakrise nicht allzuviel verändert – man wolle nicht etwas ganz neues erfinden, sondern dem Bewährten und der Tradition treu bleiben, so Röst. Dabei gäbe ihr das positive Feedback des Publikums recht: Die Zuschauer schätzen die familiäre, gemütliche Atmosphäre. „Man fühlt sich einfach wohl.“
Das Kino pflege weiterhin unterschiedliche Konzepte, um das das Publikum miteinzubeziehen, so unter anderem Roxy Junior: Hier wählen die Kinder selbst den Film und organisieren alles rund um die Kinoveranstaltung.
Ausserdem gibt es Filmclubs mit Aufführungen für die jüngsten und jungen Zuschauer:innen. Eine Weile habe das Roxy für junge Familien sogar einen Kinderhort während mancher Aufführungen angeboten.
Das Kino stirbt? Im Leben nicht!
Ähnlich wie Christof Stillhard sieht auch Andrea Röst die größte Herausforderung darin, das junge Publikum anzusprechen: „Teenager ins Kino zu locken ist schwierig“, meint Andrea Röst. Für die Zukunft ist Rösts Aussage ganz klar: Das Roxy, als einziges Kino im Oberthurgau, wolle standhaft bleiben.
Denn, so Andrea Röst: „Das gemeinsame Kinoerlebnis zähle ich schon fast zu den Grundbedürfnissen das Menschen.“ Befürchtungen, dass das Kino stirbt, habe es immer gegeben. Aber daran glaube sie nicht. „Was der Mensch liebt, das wird so bleiben. Die Faszination Kino ist etwas Beständiges.“
Mehr Raum für das Filmforum Kreuzlingen und Konstanz
Auch für das Filmforum Kreuzlingen und Konstanz, das einmal die Woche Filme im Kult-X zeigt, war die Coronapandemie eine schwierige Phase, so Stefan Döhla, der Co-Präsident des Filmforums (Bild: Anke Klaaßen). In der Corona-Zeit selbst hatte der Verein das Glück, dass er weder Raum- noch Filmmiete zahlen musste. Da seien die Verleiher sehr kulant gewesen.
Aber es sei schon so gewesen, dass die Bilanz in diesen beiden Jahren natürlich schlechter gewesen sei, Vereinsreserven mussten aufgebraucht werden. Dem Filmforum zugute kam, dass es keine Angestellten beschäftigt, sondern 22 Ehrenamtliche das Kino tragen.
Jeder zahlt was er oder sie kann
Allgemein habe das Filmforum auch eine andere Preisstruktur als die anderen Kinos, wie Döhla erzählt: „Wir finanzieren uns überwiegend über die Kollekte am Ausgang. Wir finden das nach wie vor gut, auch aus sozialen Aspekten. Im Schnitt erhalten wir in etwa die Einnahmen, die wir auch mit einem günstigen Eintritt bekommen würden.“ Unterstützt werde das Filmforum außerdem von kleineren Sponsoren und von der Stadt. Das Kult-X wird vom Kanton gefördert.
2019 war für das Filmforum, wie für viele Kinos, das beste Jahr, mit 74 Zuschauer:innen pro Film, in den Coronajahren hatte es sich sehr reduziert, aber in diesem Jahr sei es bisher relativ gut, bei ca 54 Zuschauer:innen pro Film. Stefan Döhla sieht einen Vorteil des Filmforums darin, dass sie doch eher selten einen Film zeigen, nämlich nur vier Mal im Monat. Dadurch seien die Zuschauerzahlen höher als in anderen Kinos, wo es jeden Tag Vorführungen gibt.
Das Scala ist tot, es lebe das Filmforum
Entstanden ist der Verein aus der Scala-Initiative, die das Scalakino in Konstanz retten wollte: Vor 5 Jahren hatten die Engagierten nach einem Raum gesucht, um alternativ Kino zu machen und die recht marode Konstanzer-Kreuzlinger Kinoszene aufzufrischen. Dabei hatte sich dann ergeben, dass das Filmforum Teil des Kreuzlinger Kult-X werden konnte: Das Kult-X wird über einen Trägerverein organisiert und will als vielfältiger Begegnungsraum Raum für öffentliche Kultur-Veranstaltungen bieten.
Das Filmforum setzt auf ein gesellschaftlich relevantes Filmprogramm aus dem Arthousebereich für Menschen aus verschiedenen Kulturen und Altersgruppen. Die Spiel- und Dokumentarfilme kommen aus aller Welt, aber auch von Schweizer Regisseur*innen und oftmals mit Filmgesprächen und Kooperationen mit Vereinen.
Wie sich das Publikum verändert hat
Das Publikum, das nun wieder zurückgekehrt ist, sei im Großen und Ganzen schon dasselbe wie vorher, meint Stefan Döhla. Durch die Kooperationen mit Vereinen wie beispielsweise Musikschule oder Seemuseum, wechsle ein Teil des Publikums je nach Film. Insgesamt sei das Publikum im Filmforum eher älter, tendenziell über 60.
Wie die Programmverantwortlichen des Roxy und Cinema Luna sieht Döhla, dass es schwieriger ist, jüngere Menschen ins Kino zu bringen. Für die Zukunft wünscht sich Döhla, das Programm zu erweitern: Das könnte möglich werden durch einen geplanten Umbau im Kult-X, in dessen Rahmen ein Kino-Theatersaal entstehen würde, so dass die Nutzung aufgeteilt wird. Allerdings hängt die Realisierung von einer Abstimmung in Kreuzlingen ab.
„Kino als Erlebnis“ im Liberty Cinema Weinfelden
Das Liberty Cinema Weinfelden ist ein 3-Saal-Kino, in dem nicht nur Mainstreamfilme laufen. Hinter dem Kino steht kein Verein, die Coronazeit überstand es trotzdem ganz gut: Wie Geschäftsführer Constans Schmölder meint, erhielt es viel Unterstützung von den Kunden und musste durch eine Umsatzmiete keine Miete bezahlen. Die Gefahr einer Schließung bestand so zum Glück nicht: „Es war ganz klar, wir machen weiter.“, erzählt Schmölder.
Heute seien es sogar mehr Zuschauer als in der Vorcoronazeit, so Schmölder: „Hier in Weinfelden sind wir tatsächlich in einer sehr glücklichen Lage. Wir vergleichen uns ja jetzt immer mit 2019. Das war ja vor Corona das letzte Jahr, das noch ein ziemlich gutes Kinojahr war und wir haben letztes Jahr auch schon die Besucherzahlen von 2019 wieder erreicht und sind dieses Jahr immer noch drüber.“
Jugendliche entdecken das Kino für sich
Im Gegensatz zu den anderen Kinos im Thurgau sind im Liberty Cinema sogar verstärkt die Jugendlichen zurückgekommen. Nach Wiedereröffnung der Kinos habe man da richtig gemerkt: „Denen fehlt das. Die brauchen auch wieder einen Punkt, wo sie sich treffen und ausgehen können.“
Einbussen gäbe es hingegen bei einer anderen Zuschauergruppe: „Die Schicht, die sich noch zurückhält, ist so die 50plus. Die kommen zwar auch, aber sehr gezielt und nicht mehr so regelmäßig, wie noch vor Corona.“ Das wirke sich vor allem auf die anspruchsvolleren Filme aus, die weniger gut laufen: Eine mögliche Erklärung sei auch, dass jene Publikumsschicht nun auch vermehrt streame.
Kinobesuch als Erlebnis
Was sich im Cinema Liberty geändert hat? Ein Kinosaal wurde umgebaut im letzten Jahr. Seit neuestem veranstaltet das Liberty auch ein „Zwergenkino“ für die Allerjüngsten ab 3. Und sie hätten einen Trend fortgeführt, der sich schon vor der Corona-Zeit angekündigt hatte: Es gibt vermehrt Sonderveranstaltungen, die zusätzlich zum Kinobesuch ein Erlebnis, einen Mehrwert bieten.
Ausgebaut wurde unter anderem die Ladiesnight - zum Film gibt es nun Apéro, warmes, thematisch passendes Essen und Getränke. „Das hat sich inzwischen sehr rumgesprochen und extrem gut entwickelt.“ Daher auch der nächste Plan für die Zukunft: „Dass wir die komplette Kücheneinrichtung auf den modernsten Stand bringen, um Apéros hier selbst zu machen.“
Aufgeholt, aber nicht erholt: Nach einem guten Kinojahr 2019 sind die Besucherzahlen 2020 wegen der Corona-Pandemie stark eingebrochen und haben sich im zweiten Corona-Jahr nicht erholt, sondern sind auf gleichen Niveau tief geblieben. Zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie haben sich die Besucherzahlen wieder etwas erholt, bleiben aber nach wie vor klar unter dem Niveau von vor der Pandemie. Insgesamt verzeichneten die Thurgauer Kinos und Open-Air-Kinos 2022 rund 104'700 Eintritte (2019: 130'300 Eintritte). Gleichzeitig fanden 2022 wieder ähnlich viele Filmvorführungen statt wie vor Corona.
Die Kinolandschaft im Thurgau: Mit vier Kinos und drei grösseren sowie diversen kleineren Open-Air-Kinos ist die Kino-Landschaft im Thurgau überschaubar, aber dennoch vielfältig. Die vier Kinos in Frauenfeld, Romanshorn und Weinfelden bieten insgesamt 841 Sitzplätze, unterteilt in 7 Säle. Während der Sommermonate wird dieses Angebot durch drei grosse Open-Air-Kinos in Arbon, Frauenfeld und Kreuzlingen sowie etliche kleinere Freiluftkinos ergänzt. Zudem findet jährlich ein Teil des Pink-Apple-Filmfestivals in Frauenfeld statt.
Quelle: Dienststelle für Statistik des Kantons Thurgau. Mehr: https://statistik.tg.ch/themen-und-daten/bildung-und-kultur/kultur/kinos.html/7621
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