Seite vorlesen

Die Angst vor dem Jo-Jo-Effekt

Die Angst vor dem Jo-Jo-Effekt
VirologeInnen blicken sorgenvoll auf die angekündigten Lockerungen des Bundesrats: Verschlimmern die Öffnungen jetzt die dritte Welle? | © Canva

Ab Montag dürfen Kinos und Theater wieder öffnen, Veranstaltungen mit bis zu 50 Personen sind drinnen erlaubt. Aber ist das wirklich eine gute Nachricht bei einer schweizweiten 14-Tage-Inzidenz von über 300? (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Es ist wie ein Seufzer in 280 Zeichen: Die Genfer Virologin Isabella Eckerle hat ihren Unmut über die ab Montag in der Schweiz geplanten Lockerungen der Corona-Massnahmen via Twitter deutlich gemacht: „Die heute beschlossenen Lockerungen bei steigenden Fallzahlen mit #SARSCov2 COVID19 #B117 sind nicht nachzuvollziehen und werden unnötig Kranke und Tote zur Folge haben. Und in dieser dritten Welle trifft es die Jungen. Unverständlich im Angesicht der #Impfungen“, schrieb die Expertin am Mittwochabend um 21:38 Uhr.

Mitten in steigende Corona-Infektionszahlen hinein hatte der Bundesrat ein paar Stunden zuvor weitere Öffnungsschritte beschlossen. Demnach dürfen ab Montag, 19. April, unter anderem Freizeit- und Kulturbetriebe auch drinnen wieder öffnen. Innen-Veranstaltungen sind mit bis zu 50 ZuschauerInnen erlaubt (bzw. ein Drittel der Kapazität), draussen dürfen sogar bis zu 100 ZuschauerInnen zusammenkommen. Restaurants und Bars dürfen in ihrer Aussengastronomie ebenfalls wieder Gäste begrüssen.

Übersicht: Das sind die neuen Massnahmen

Kulturlobby ist froh über beschlossene Öffnungen

In der Kulturbranche werden die Lockerungen weitgehend positiv aufgenommen. Die Taskforce Culture erklärte in einer Medienmitteilung: „Wir alle brauchen Begegnungen, wir brauchen soziale Treffpunkte wie Kulturanlässe, Restaurants oder Bars. Daher sind Anlässe mit 50 Personen im Innen- und 100 Personen im Aussenbereich ein wichtiger erster Schritt.“ Die Lobbygruppe bemängelt aber auch, dass es für grössere Anlässe wie Festivals nach wie vor keine Perspektive gebe. Zudem mache die Vorgabe von maximal ein Drittel Belegung es für viele mittlere und kleine Veranstaltungsorte faktisch unmöglich zu veranstalten.

Insgesamt zeigt man sich aber zuversichtlich: „Mit der schrittweisen Öffnung wird der Kultursektor beweisen können, dass er taugliche Schutzkonzepte hat, bei denen die Sicherheit der Besuchenden, der Auftretenden und der ganzen Crew im Vordergrund stehen. Dies wiederum wird dem Bundesrat die Möglichkeit geben, rasch weitere Öffnungsschritte zu beschliessen“, so die Taskforce Culture.

Die dritte Welle ist längst da

Tatsächlich sehen die aktuellen Zahlen für die Schweiz allerdings nicht besonders gut ist. Die Zahl der Covid-Erkrankungen steigt täglich, die aktuelle 14-Tage-Inzidenz liegt bei 302. Im Thurgau liegt sie etwas darunter mit 263 (7-Tage-Inzidenz bei 121). Die Zahl gibt an, wieviele neue Erkrankungen es pro 100’000 Einwohnern im jeweiligen Gebiet gibt. Die Intensivstationen sind, Stand 13. April, zu 70,9 Prozent ausgelastet, Tendenz steigend. Und beim Impfen geht es nur langsam voran.

Trotzdem hat sich die Politik nun für Öffnungen entschieden. Bundesrat Alain Berset sagte an der Medienkonferenz: „Wenn wir richtig aufpassen, und die Massnahmen sind gut umgesetzt, muss es möglich sein, ohne Jo-Jo-Effekt wirklich eine gute Entwicklung zu haben - parallel mit der Entwicklung der Testung und auch mit der Entwicklung der Impfung." Dass die Lockerungen nun trotz erneut steigender Fallzahlen kommen, liege am Vertrauen, dass man in die Bevölkerung setze und an der vergrösserten Testkapazität, so Berset.

Hält sich leider an keine politischen Vorgaben: Das Coronavirus. Bild: Canva

Der Einfluss der gefühlten Bevölkerungsmeinung

Der Bundesrat räumte aber auch ein, dass die Stimmung in der Bevölkerung eine nicht unerhebliche Rolle bei der Entscheidung gespielt habe: „Es ist uns allen klar, dass wir heute nach dreizehn, vierzehn Monaten in dieser Situation wirklich an der Grenze sind. Wir können nicht mehr“, so Berset. Er verwies aber auch darauf, dass Vorsicht weiterhin geboten sei. „Die Situation in der heutigen Zeit bleibt ziemlich fragil und jeder Öffnungsschritt ist ein Risiko, das ist klar. Deshalb müssen wir vorsichtig bleiben“, so der Politiker.

Das Bundesamt für Gesundheit hatte ursprünglich vorgesehen, Lockerungsschritte von fünf Richtwerten abhängig zu machen, darunter die Inzidenz, Krankenhauseinweisungen und Intensivbettenbelegung. Nur einer der fünf Richtwerte wurde allerdings erfüllt: Die Zahl der Intensivpatienten mit Covid-19 lag unter der definierten Grenze.

Die Freude über die Öffnungen könnte von kurzer Dauer sein

Auch deshalb gibt es nun Befürchtungen, dass die neuen Öffnungen nur von kurzer Dauer sein könnten. Und sich das Land in einen dauernden Jo-Jo-Zustand zwischen Shutdown und Lockerungen begibt. Die Genfer Virologin Isabella Eckerle drückte es auf Twitter so aus: „Jetzt, in Gegenwart wirksamer Impfungen auf #Durchseuchung zu plädieren bzw. Öffnungen bei Impfung einer kleinen Bevölkerungsgruppe, ist so, wie zum Löschtrupp der Feuerwehr noch einen zweiten zu schicken, der statt Wasser Kerosin sprüht.“

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Wissen

Kommt vor in diesen Interessen

  • Nachricht
  • Gesundheit

Ist Teil dieser Dossiers

Werbung

Was bedeutet es heute Künstler:in zu sein?

In unserer Serie «Mein Leben als Künstler:in» geben dir acht Thurgauer Kulturschaffende vielfältige Einblicke!

Unsere neue Serie: «Wie wir arbeiten»

Unsere Autor:innen erklären nach welchen Grundsätzen und Kriterien sie arbeiten!

Eine verschleierte Königin

Einblicke ins Leben der Künstlerin Eva Wipf: Hier geht's zu unserer Besprechung der aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau.

„Der Thurgau ist ein hartes Pflaster!“

Wie ist es im Kanton für junge Musiker:innen? Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen!

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

Kultur für Klein & Gross #22

Unser Newsletter mit den kulturellen Angeboten für Kinder und Familien im Thurgau und den angrenzenden Regionen bis Ende Januar 2025.

#Kultursplitter im November/Dezember

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

«Kultur trifft Politik» N°I

Weg, von der klassischen Podiumsdiskussion, hin zum Austausch und zur Begegnung. Bei der ersten Ausgabe am Mittwoch, 27. November geht es um das Thema "Räume".

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

"Movie Day": jetzt für 2025 bewerben!

Filme für das 12. Jugendfilm Festival können ab sofort angemeldet werden. Einsendeschluss der Kurzfilme für beide Kategorien ist der 31.01.2025

Ähnliche Beiträge

Wissen

Die Kraft der Kräuter

Wie entstanden die Heilkräutergärten der Klöster und wo spielen sie noch heute eine Rolle? Damit beschäftigt sich der erste Teil unserer neuen Serie «Facetten des Mittelalters». mehr

Wissen

Was man 2023 in der Kartause Ittingen erleben kann

Zeitgenössische Kunst, historische Ausstellungen, spirituelle Seminare und die traditionellen Pfingstkonzerte: Die Kartause Ittingen hat ihr Programm für 2023 vorgestellt. mehr

Wissen

Ein Ende mit Schrecken!

Das Messingobjekt misst 4 Zentimeter in Höhe, Breite und Tiefe und war lange Zeit ein effektiver Helfer von Chirurgen und Badern – aber wobei? mehr