von Kathrin Zellweger (1948-2019), 11.09.2012
Musik der eigenen Endlichkeit

WEINFELDEN. Wenn es nach Erich Büsser gegangen wäre, würden seine vier Lieder nicht aufgeführt. Er hat sie vor allem für sich selbst komponiert. Nun freut er sich trotzdem aufs Konzert – vor allem wegen der Sopranistin Beatrice Voellmy.
Interview: Kathrin Zellweger
Herr Büsser, auf dem Programm des Liederabends mit Klavierbegleitung vom 3. Oktober steht Ihr Name neben jenem von Brahms, Schumann und Schönberg. In einem Atemzug genannt zu werden mit diesen drei grossen Musikern, muss für Sie eine Ehre sein.
Erich Büsser: So sehe ich das nicht. Meine Lieder sind Gelegenheitslieder eines Dorf-Musikers, der in seinem Bereich alles macht und gemacht hat.
Es muss Sie doch freuen, wenn Ihre Kompositionen aufgeführt werden.
Erich Büsser: Obwohl ich mich anfänglich dagegen gewehrt habe, freue ich mich jetzt auf das Konzert. Nicht zuletzt weil die Sopranistin Beatrice Voellmy die Lieder singen wird. Selbstverständlich interessiert mich auch, wie diese Kompositionen tönen und wie sie beim Publikum ankommen.
Aber Sie selbst sind damit zufrieden?
Erich Büsser: Musikalisch gesehen: nein. Das bin ich nie, ich finde immer noch etwas, das besser sein könnte. Über etwas anderes jedoch bin ich froh, ja dankbar. Für mich sind diese Lieder nicht einfach Vertonungen von Gedichten; sie haben auch mit mir persönlich zu tun. Ich habe damit Gedanken, Gefühle und Dinge verarbeitet, die mit meinem Alter, mit meiner Gesundheit und mit meiner Endlichkeit zu tun haben. Es sind daher durchwegs ernste, gar traurige Text, die ich ausgesucht und in Musik umgesetzt habe. Eben arbeite ich an einer Vertonung eines Brecht-Textes über den Karfreitag, ein Stück für Sopran und Tenor.
Die vier Lieder, die man hören wird, entstanden zwischen 2008 und 2011. Haben Sie schon früher Lieder komponiert?
Erich Büsser: Für die Schulmusik entstanden viele Lieder, auch das Weinfelder Lied stammt von mir. Aber ans Genre des klassischen, geistlichen Liedes habe ich mich – aus Respekt – erst in den letzten zwölf Jahren gewagt. Lieder sehe ich als etwas Elitäres, im Sinne von etwas Auserwähltem. Daher tut sich das breite Publikum mit solchen Liedern auch schwer.
Welches ist der musikalische Höhepunkt Ihres Lebens?
Erich Büsser: Das sind die Kompositionen für die Johannes-Passion und die Weihnachtsgeschichte nach Lukas. Für diese beiden Werke habe ich am meisten Energie aufgewendet.
Sie sind ein ausserordentlich vielseitiger Musiker und wurden dafür vom Kanton 1997 mit dem Kulturpreis geehrt: Man kennt Sie als Musiklehrer, Jazz-Pianist, Organist, Arrangeur und Komponist. Hatten Sie manchmal den Eindruck, dass sie sich verzettelten?
Erich Büsser: Ja, diese Jahre gab es. Wahrscheinlich wäre ich ein guter Organist und Pianist geworden, wenn ich ausschliesslich auf diese Sparte gesetzt hätte. Aber erstens ist mir das erst nach der Pensionierung klar geworden, und zweitens musste ich ja Geld verdienen. Der Höhepunkt meines privaten Lebens sind übrigens unsere zwei Kinder.
Was soll man dereinst über Sie sagen?
Erich Büsser: Ich brauche keine Superlative, im Nachhinein schon gar nicht. Es reicht mir, wenn mir – Laie oder Fachperson – sagt: Deine Musik hat mir gefallen.
***
Erich Büsser, 1928, hat vielen Menschen den Zugang zur Musik ermöglicht, sei es als Musiklehrer oder Organist, als Chorleiter oder Jazzmusiker. Er lebt mit seiner Frau in Weinfelden.
*****
LIEDERABEND: Lieder für Sopran (Beatrice Voellmy) und Klavier (Catherine Sarasin), mit Liedern von E. Büsser, J. Brahms, R. Schumann und A. Schönberg; der Anlass wird ergänzt mit Lesung (Alexander Seidel) und Porträtausstellung (Natallia Hersche). 3. Oktober 2012, 19.30 Uhr, Rathaussaal Weinfelden.

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