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von Brigitta Hochuli, 22.08.2012

„Für Spannung ist gesorgt“

„Für Spannung ist gesorgt“
Bilder von Meinrad Schade aus Berg-Karabach (li), Kasachstan (2. Bild v. re, oben) und Wolgograd (oben und unten re). |

Meinrad Schade zeigt beim Fotoforum Kreuzlingen Bilder von Konfliktgebieten. Konflikte seien aber auch zwischen den einzelnen Genres der Fotografie nicht auszuschliessen.

Interview: Brigitta Hochuli

Herr Schade, auf der Einladung zur Vernissage sieht man einen Soldaten, der einem irgendwie spöttisch entgegen blickt.* Was war das für eine Situation?

Meinrad Schade: Der 19-jährige Mann auf dem Bild ist Soldat der Armee Berg-Karabachs und leistet seinen zweijährigen Dienst an der sogenannten Frontlinie. Berg-Karabach ist ein Zankapfel zwischen Armenien und Aserbeidschan. Zwischen diesen beiden Folgestaaten der ehemaligen Sowjetunion besteht seit rund 20 Jahren ein ungelöster Konflikt. Nach dem Berg-Karabach Krieg, welcher in einen Waffenstillstand mündete, ist Berg-Karabach de facto ein unabhängiger Staat, wird jedoch international von niemandem anerkannt. An der Frontlinie oder Waffenstillstandslinie stehen sich die beiden Armeen von Berg-Karabach respektive Armenien und Aserbeidschan bis heute gegenüber. Es ist ein eingefrorener Konflikt, der sich ab und zu in Gefechten entlädt, bei denen es auch tote Soldaten auf beiden Seiten zu beklagen gibt.

Und in welcher konkreten Situation haben Sie nun den Soldaten fotografiert?

Meinrad Schade: Die Situation, welche zum Bild führte, war die folgende: Ich konnte die Frontlinie ganz kurz besuchen, das Fotografieren war aber nicht einfach, weil der mich begleitende Offizier nur wenig Zeit für die Fotografie liess. Als ich die Soldaten in ihren Schlafstätten sah, dachte ich, dass dies auch des schönen Lichts wegen ein wichtiges Bild wäre. Ich fragte also, ob ich den Soldaten in der Unterkunft porträtieren dürfe. Der Offizier meinte dann, dass dies nicht möglich sei, ich könne dies aber ausserhalb der Unterkunft tun. Ich erklärte ihm, dass es nur ein Porträt sei, und man von der Unterkunft nichts sehen würde – dann durfte ich dreimal auf den Auflöser drücken.

In Kreuzlingen zeigen Sie auch Reportagebilder aus Kiew, Wolgograd und Kasachstan. Von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau sind Sie seit 2002 dreimal für Ihre Arbeit finanziell unterstützt worden. Werden wir in der Ausstellung Fotos sehen, die wir indirekt dem Thurgau zu verdanken haben?

Meinrad Schade: Für die Reportagen in Berg-Karabach und Kasachstan wurde ich von der Kulturstiftung grosszügig finanziell unterstützt. Diese Unterstützung ist aber noch viel wertvoller, als der eigentliche Geldwert. Ich meine, dass ich heute als Fotograf nicht da stehen würde, wo ich heute stehe, hätte mich die Kulturstiftung nicht unterstützt. Gerade 2002, als ich am Anfang meines fotografischen Weges stand, war es ein ganz wichtiges Signal, dass da jemand an mich glaubt. Gerade das Arbeiten an Langzeitprojekten, die schwierig zu finanzieren sind, ist auf solche Unterstützung angewiesen.

A propos Thurgau. Sie sind in Kreuzlingen aufgewachsen. Wie sehen Sie als Fotograf Ihren Heimatkanton? Wenn Sie nur ein einziges Bild machen dürften, was wäre das Sujet?

Meinrad Schade: Es wäre ein Herbstbild, welches den Bodensee im Nebel zeigen würde. Diese Mischung löst bei mir eine Sehnsucht nach Heimat aus. Was das Bild nicht zeigen und es höchstens beim Betrachter auslösen kann, ist der Geruch von nassem Laub und Äpfeln, die am Boden liegen und teilweise schon etwas angefault sind.

Die Spannweite zwischen diesem fiktiven Herbstbild und Ihrer Corporate-Fotografie über die Bereiche Arbeit, Mensch und Raum, Ihren Kriegsreportagen, ihren Porträts von Folter- und Kriegsopfern sowie Ihren Langzeitprojekten wie etwa die „Spurensuche an den Rändern der Konflikte“ ist gross. Gibt es einen gemeinsamen Nenner in Ihren Projekten?

Meinrad Schade: Grundsätzlich unterscheide ich meine Fotografie, mit der ich Geld verdiene, von jener, die vor allem Geld kostet, also von meinen eigenen Projekten. Ersteres ist für mich primär eine Dienstleistung, bei der es darum geht, Kundenbedürfnisse zu befriedigen. In meinen Projekten hingegen befriedige ich primär meine Neugierde, versuche, mich von aussen möglichst wenig beeinflussen zu lassen. Somit ist der gemeinsame Nenner zwischen diesen beiden Bereichen eher gering. Gemeinsam ist, dass ich beides sehr gerne mache.

Sie haben Biologie studiert und unterrichten heute zum Beispiel an der Journalistenschule MAZ in Luzern. Den Studenten zeigen Sie auf, dass Fotografie eine Erzählform sei. Das setzt eine These voraus oder zumindest den Willen zur Interpretation. Gibt es da keine Konflikte zwischen der Fotografie als Dokument und der Fotografie als Kunstform?

Meinrad Schade: Ich denke, dass auch Künstler, welche sich des Mediums Fotografie bedienen, etwas erzählen wollen. Klar, die Grenzen zwischen den verschiedenen Bereichen, sind schwer zu ziehen. Gerade das macht aber auch die Faszination aus, welche die Fotografie auf mich ausübt. Es gibt fast keinen Lebensbereich, in dem die Fotografie nicht irgendeine Rolle spielt. Die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen, den Genres der Fotografie sind fliessend, Konflikte nicht ausgeschlossen – für Spannung ist also gesorgt.

Glauben Sie, dass die professionelle Fotografie gerade wegen des heutigen Einsatzes der Kamera als Alltagsinstrument für jedermann an Bedeutung gewinnen wird oder ist es eher umgekehrt?

Meinrad Schade: Ich glaube, dass die Tatsache, dass fast jeder Mensch immer mindestens mit einer Handykamera unterwegs ist, die professionelle Fotografie verändert hat und weiter verändern wird. Die Bilderflut nimmt ständig zu, was das genau bewirken wird, bin ich mir auch nicht im Klaren. Ich bin aber überzeugt, dass die professionelle Fotografie nicht an Bedeutung verlieren wird. Es wird immer Menschen geben, die mit ihrer Kamera Dinge machen, welche sich von der besagten Masse abheben, seien es Reporter, die sich in spezielle Weltgegenden begeben oder Künstler, welche das Medium Fotografie in neue Bereiche treiben. Abgesehen davon ist der Siegeszug der Amateurfotografie ja kein neues Phänomen.

Von einem, der Biologie studiert, um danach Fotograf zu werden, erwartet man die Auseinandersetzung mit dem Fach. Sie haben sich für eine Publikation mit der Schulthess Klinik, aber auch mit Forschungsthemen der Universität Zürich befasst. Hat das etwas mit Ihrem Studium zu tun?

Meinrad Schade: Ganz und gar nicht, das ist reiner Zufall.

Ihre erste berufliche Anstellung als Fotograf war beim St. Galler Tagblatt von 2000 bis 2003. Als Pressefotograf im lokalen Bereich kann man sich die Sujets nicht auswählen. Gab es Aufträge, die Ihnen Mühe bereiteten?

Meinrad Schade: Der Wert der Fotografie wurde beim Tagblatt sehr hoch geschätzt, mehr als bei anderen Tageszeitungen. Trotzdem gab es auch dort die Tendenz, dass zu stark vom Text ausgegangen wurde, so nach dem Motto: Im Text wird dies und das beschrieben, ergo muss dies auch im Bild zu sehen sein, egal ob das zu fotografierende Sujet auch nur ansatzweise «fotogen» ist. Fotografie als Beweismittel, dass der schreibende Journalist vor Ort war und mit jener Person gesprochen hat, das machte mir Mühe. Diese Tendenz ist natürlich in den Medien immer noch zu beobachten. Publikationen, in denen der Fotografie jener Stellenwert zugesprochen wird, der ihr meiner Meinung nach zustehen würde, sind dünn gestreut, vor allem natürlich in der Schweiz.

Haben Sie eigentlich beim Tagblatt so gut schreiben gelernt? Jedenfalls liest man die Texte und Bildbeschreibungen auf Ihrer Website gerne.

Meinrad Schade: Danke! Nein, fürs Tagblatt war ich nur fotografierenderweise unterwegs. Aber ich schreibe gerne und möchte dies in Zukunft auch noch mehr tun.

Von der Regionalpresse zum Kategorienpreis «Redaktionelle Fotografie» des Swiss Photo Award im Jahr 2011 und der Nominierung für die Shortlist des Henri Nannen Preises in der Kategorie Foto-Reportage 2008 und 2011 ist es ein grosser Sprung. Wie haben Sie das geschafft?

Meinrad Schade: Es war eine Mischung verschiedenster Faktoren. Ganz wichtig war, dass ich immer wieder auf Menschen traf, die mich förderten und die an mich glaubten - wie etwa die Kulturstiftung des Kantons Thurgau. Weitere Gründe sind wohl unbeirrtes und kontinuierliches Arbeiten und sicher auch Glück.

* Auf unserem Bild links zu sehen.

***

Fotoreportagen von Meinrad Schade aus Berg-Karabach, Kiew und Wolgograd sowie Kasachstan, Vernissage Freitag, 7. Sptember, 19 Uhr, beim Fotoforum im Dreispitz Kreuzlingen.

*****

Zur Person

Meinrad Schade wurde 1968 in Kreuzlingen geboren. Nach abgeschlossenem Studium der Biologie an der Universität Zürich (1996) entschied er sich für die Fotografie. Die Ausbildung zum Fotografen erfolgte über die Gruppe Autodidaktischer FotografInnen (1997-1998) in Zürich und den ersten Lehrgang für Pressefotografie an der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern (1999-2000). Danach arbeitete er als Pressefotograf im Angestelltenverhältnis beim St. Galler Tagblatt. 2003 machte sich Meinrad Schade als Portrait- und Reportagefotograf selbständig und trat der Agentur Lookat Photos bei.
Dank Werkbeiträgen der Kulturstiftung des Kantons Thurgau konnte Meinrad Schade eigene fotografische Projekte verfolgen, die in Ausstellungen zu sehen sind. 2006, 2008 und 2011 war er für den Swiss Photo Award nominiert (ewz.selection) und gewann 2011 den Kategorienpreis «Redaktionelle Fotografie». 2008 und 2011 figurierte er auf der Shortlist des Henri Nannen Preises in der Kategorie Foto-Reportage. (pd)

www.meinradschade.ch

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