von Brigitta Hochuli, 03.05.2011
„SPINNEN“

Das neue Stück des Freien Theaters Thurgau hat am 12. Mai in Steckborn Premiere. Es geht um Psychiatriepatienten. Und es geht um uns alle.
Brigitta Hochuli
Besuch im Phönix-Theater. Geprobt wird vom Freien Theater Thurgau das Stück „Spinnen“ der jungen Thurgauer Autorin Sabine Wen-Ching Wang. Noch spielt die Musik nicht, und die Kulissen brauchen einen neuen Anstrich. Aber im Aufenthaltsraum der Psychiatrischen Klinik Seelenberg auf der Bühne des Phönix-Theaters agieren Menschen wie im realen Leben.
Wir kennen diese Figuren
Es sind Ruth, die manisch Depressive und Logorrhoeische, Robbi der Schizoide, Anna, suizidgefährdet und neu in der Runde, Gwerder, autistisch. Gespielt werden sie nacheinander von Hanna Scheuring, Markus Keller, Sonia Diaz und Uwe Schuran.
Das Stück packt schon in der Probe. Sie nuckeln unentwegt an Wasserflaschen. Das kennt man doch! Ruths Bein zittert penetrant. Robbis Stimme überschlägt sich, wenn er von einem Streit im Auto erzählt. Anna gibt, etwas genervt, die Interessierte. Gwerder - nicht alt - ist tattrig und spricht kein Wort. Wir kennen diese Figuren auch im normalen Leben.
Nahe an der Normalität
Die Musik wird von Daniel Schneider komponiert gespielt werden, das Bild machen Felix und Stefan Rutishauser, die Technik besorgt Christian Stricker. Regie führt Jean Grädel. Er beschäftige sich seit langem mit der Psychiatrie, sagt er. Er wolle der vorherrschenden und heute nicht mehr gerechtfertigten Kritik entgegenwirken. „Was wir hier gespielt sehen, ist nahe an der Normalität.“ Es gehe um Enttäuschte, Rausgeworfene, Überforderte, Traumatisierte und um den schmalen Grat zwischen dieser Normalität und der Pathologisierung, auf dem sich Tausende bewegten.
Trotz Schwere Leichtigkeit
Grädel schwärmt von der Autorin Sabine Wen-Ching Wang. Ihre Sprache habe einen wunderbaren lyrischen Rhythmus und eine unausweichlich genaue Präzision. Sabine Wen-Ching Wang kennt die Psychiatrie. Ihre Mutter hat in Münsterlingen gearbeitet. Überhaupt Münsterlingen. Grädel lobt die Offenheit dieser Klinik. Zwei Tage lang durften die Schauspieler dort einen Einblick gewinnen. „Das ist nicht selbstverständlich und hat uns sehr geholfen.“ Was Grädel trotz der Schwere des Themas herausarbeitet, ist aber auch Humor. Eine grosse Leichtigkeit soll auf den Zuschauer überspringen.
Hoffen auf Leistungsvereinbarung
Erstmals ist dem Freien Theater Thurgau im vierten Jahr des Bestehens eine Koproduktion gelungen. Gespielt wird auch im Vorstadttheater im Eisenwerk in Frauenfeld und im Theaterhaus Thurgau in Weinfelden. Das bedeute eine grosse Verbesserung der Produktionsbedingungen, nicht aber eine finanzielle Entlastung, sagt Jean Grädel, der Gründer des Freien Theaters.
Von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau gab‘s 70‘000 Franken, des weiteren kleinere Beiträge von Gemeinden und Sponsoren. Grosse Gönner wie Nestlé oder Göhner hätten sich zurückgezogen. Kosten wird die Aufführung in einer Sparversion 130‘000 Franken. Bis jetzt habe man ausgeglichen gewirtschaftet, sagt Grädel. Aber lange könne das nicht so weitergehen. Er hofft auf eine Leistungsvereinbarung mit dem Kanton, um Planungssicherheit zu erlangen. Und ausserdem: Seine in diesem Zusammenhang kritisierbare Mitgliedschaft im Stiftungsrat der Kulturstiftung sei heikel.

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