29.08.2017
Aktuell und nicht verstaubt
Zu den 14. Frauenfelder Lyriktagen hat die diesjährige Kuratorin Anna Kulp Dichter aus der Schweiz, aus Deutschland und der Ukraine eingeladen.
Inka Grabowsky
„Bei uns mögen Gedichte durch langweiligen Schulunterricht bei einigen Menschen negativ besetzt sein. In anderem Länden haben Dichter Kultstatus.“ Die knapp vierzigjährige Anna Kulp ist von der Bedeutung von Lyrik überzeugt. Nicht umsonst hat sie das Lyrikförderungsprojekt „Poetische Schweiz“ über Jahre geleitet. Überall dort, wo die Situation politisch schwierig sei, gäbe es eine besonders lebendige Gedicht-Kultur, meint sie weiter. „Dichter können zwischen den Zeilen Wahrheiten verbreiten, die die Zensur nicht findet.“
Einer der Autoren, mit denen Kulp zeigen will, wie aktuell und wenig verstaubt Lyrik sein kann, ist der ukrainische Germanist Serhij Zhadan. Der 47-jährige hat bereits zwölf Gedichtbände veröffentlicht und singt seine Texte gegen Gewalt und Ideologien auch bei der Punk-Rock-Band „Sobaki v Kosmose“.
Serhij Zhadan erinnert uns an den Krieg in der Ukraine.
(Foto: Hartwig Klappert)
Politisch ähnlich relevant ist das Werk von Dragica Rajčić. Die Kroatin floh 1991 vor dem Krieg in die Schweiz. „Sie arbeitet mit einem Gastarbeiter-Deutsch mit all seinen Fehlern“, so die Kuratorin. „Die Wirkung wollte ich unbedingt präsentieren.“ Der Leser werde in die Rolle eines Fremden versetzt, der die Sprache neu erarbeiten müsse. „Lyrik ist die dichteste Form von Sprache“, argumentiert Anna Kulp. „Sie gibt einem viel: Starke Bilder, die im Kopf des Lesers entstehen, wenn er sich selbst einbringt. Und Lyrik bietet neue Möglichkeiten, neue Blickwinkel: Mal auf ein Detail, das man üblicherweise übersieht, mal auf das grosse Ganze.“
Aufnehmen und verstehen
„Zumutungen“ verspricht Kulp im Programmheft und räumt ein, dass auch sie als Expertin nicht jedes Gedicht sofort versteht. Die Frauenfelder Lyriktage mit ihren Lesungen und Gesprächen könnten aber eine Hilfestellung bieten: „Der Klang spielt eine grosse Rolle. Er gibt eine zusätzliche Bedeutungsebene, und insbesondere wenn der Verfasser selbst liest, kann es beim Verständnis helfen.“ Sie gibt aber zu, dass man Gedichte mitunter mehrfach lesen muss, um sie zu erfassen. „Am besten vorher lesen, dann anhören und danach noch einmal lesen“, ist ihr Tipp. „Das ist wie bei einem Lied, das man zufällig hört. Erst gehen uns Melodie und Rhythmus ins Ohr, dann bleiben ein paar Textzeilen haften, und später versteht man dann den ganzen Song.“
Auch etwas zu sehen
Gedichte muss man nicht unbedingt lesen oder hören. Mit dem neuen Kulturvermittlungsangebot „Video Poem“, das gerade preisgekrönt wurde, kann man Gedichte auch verfilmen. Initiantin ist die Lyrikerin Svenja Herrmann, die am Samstag Abend ebenfalls ihre Texte präsentieren wird. Auf einem Bildschirm im Foyer des Eisenwerks sehen Besucher bereits fertige Filmgedichte von Jugendlichen an, die in Workshops unter der Leitung von Herrmann und der Filmerin Bettina Eberhard entstanden sind.
Schulprojekt
Bevor sie ihre Werke auf der Bühne im Eisenwerk präsentieren, haben sich drei Poeten bereit erklärt, Schulen zu besuchen. „Die Dichter, die mitmachen, haben einschlägige Erfahrung“, sagt Kulp. „Es bringt ja nichts, wenn man sein Gedicht einfach nur vorliest. Man muss etwas von sich erzählen. Dann finden junge Leute Lyrik auch cool.“ Damit sollte die nächste Generation von Schülern einen besseren Zugang zu Lyrik bekommen.
Programm: Freitag, 15.9.17, 19.30 Uhr Eröffnungsrede Esther Kinsky (Bild): “Von den weissen Räumen. Unsagbares und Ungesagtes in Übersetzung“ Kurzlesungen – Svenja Herrmann, Esther Kinsky, Thilo Krause, Elisabeth Wandeler-Deck, Levin Westermann, Serhij Zhadan und Dragica Rajcic stellen sich vor
Samstag, 16.9.17 17.00 Uhr Lesungen und Gespräche - Die Entstehung von Gedichten – Musenkuss und Handwerkskunst - Blick ins Labor der Video Poems 18.30 Uhr Apero 20.00 Uhr Lesungen und Gespräche Poesie in der Schweiz und international: Verstaubt oder quicklebendig?
Sonntag, 17.9.17, 10.30 Uhr Poesie-Matinee – Kurzlesungen
Die Lyrikerinnen und Lyriker treten während der Lyriktage jeweils mehrfach in unterschiedlichen Formationen auf. Ein detailliertes Programm erscheint Anfang September auf www.kulturstiftung.ch
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