von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 22.05.2017
Gute Besserung
2011 hatte Richard Tisserand einen Kunst-und-Bau-Wettbewerb im Münsterlinger Kantonsspital gewonnen. Fast sechs Jahre später wird die Arbeit offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt
Ein Spital ist üblicherweise kein Ort an dem man Kunst erwarten würde. Die Menschen, die sich dort aufhalten haben meistens andere Probleme. Im Kantonsspital Münsterlingen kommt jetzt dennoch beides zusammen. Der Künstler Richard Tisserand hat dort die Decke eines Flures und Teile des Aufwachbereichs nach dem OP-Saal gestaltet. Die Arbeit heisst "déclinaison" und greift den Zustand der Patienten vor und nach ihren Behandlungen auf. Verschiedenfarbige, monochrome Flächen werden unterbrochen von Tisserands Hinter-Glas-Malereien einer Berglandschaft. Mit jedem Meter Richtung OP-Saal löst sich das Landschaftsbild in immer gröberen Pixeln auf und umgekehrt setzt sich das Bild allmählich wieder zusammen. Die Arbeit erstreckt sich insgesamt über 44 Meter. "Mit diesem Griff wollte ich die Idee des Wegdämmerns und Wieder-Aufwachens nach einem operativen Eingriff künstlerisch umsetzen", erklärt Tisserand die Idee hinter seinem Kunstwerk. Die Arbeit entstand im Zusammenhang mit einem rund 80 Millionen teuren Erweiterungsbau des Spitals. Ein neuer Operationstrakt mit Intensivstation ist dabei erstellt worden.
Video zur Intervention "déclinaison" aus Patientenperspektive
Tisserands Projekt "déclinaison" geht über den Flur hinaus. Auch ein Fries im Aufwachraum hat der Künstler gestaltet. Es ging ihm dabei darum, so Tisserand im Gespräch, etwas zu schaffen, dass den Lebensmut der Menschen stärkt. Deshalb hat er sich hier für das Motiv eines Frühlingswaldes entschieden. Vor allem die Verzögerungen am eigentlichen Erweiterungsbau sind der Grund dafür, dass die Fertigstellung des Projektes so lange gedauert hat. Bereits 2011 hatte Tisserand den Wettbewerb gewonnen, im vergangenen Jahr wurde das Werk fertig, aber erst jetzt, Ende Mai 2017, wird alles der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein Umstand, der es dem Künstler nicht immer ganz leicht gemacht hat. "Es gab immer wieder Unterbrechungen über all die Jahre und ich musste mich immer wieder neu eindenken", sagt Tisserand, "aber vielleicht hat gerade das ständige Neu-in-Frage-stellen der Arbeit am Ende auch gut getan", mutmasst er.
Die Jury lobt den Beitrag für seinen Ortsbezug
Die Wettbewerbs-Jury zeigte sich von den Ideen jedenfalls beeindruckt: "Die Jury schätzt die inhaltliche Idee der Verdichtung, bzw. Auflösung des gegenständlichen Bildes, also die Deklination von Wahrnehmung und Bewegung in Kombination mit monochromen Farbbalken, so dass Interpretationsmöglichkeiten zwar naheliegen, aber doch offen bleiben", hiess es unter anderem in der Begründung ihrer Entscheidung. Bei dem Votum für Tisserand war wohl auch die konkrete Auseinandersetzung mit dem Ort bedeutsam. Denn, so die Jury in ihrem Bericht: "Richard Tisserand geht mit seinem Vorschlag auf die spezielle Situation des liegenden Patienten ein, der entweder mit Bett / Patientenliege zum OP gefahren wird oder im Aufwachraum wieder zu sich kommt. Im Gang schlägt er einen Ablauf vor, in dem sich Landschaftsmotive (Hinterglasmalerei) von fotorealistischer Anmutung immer mehr auflöst und in der letzten Bildtafel nur noch als verpixelte Abstraktion erscheint. Als rhythmische Gliederung setzt er dazwischen verschiedene monochrome Farbtafeln, die dem Auge Halt geben und den langen Raum strukturieren." Neben Tisserands Arbeiten wurden ebenso kleinformatige Werke von Katrin Schwarzbek realisiert im Kantonsspital.
Kunst und Bau
Wann entstehen Kunst-und-Bau-Projekte? Kunst-und-Bau-Projekte sind im Thurgau unter bestimmten Bedingungen bei öffentlichen Bauten vorgesehen. Zum Tragen kommt es bei Bauprojekten ab einer Summe von 3 Millionen Franken. Das Budget für die Ausführung des Kunstwerkes und den Wettbewerb beträgt in der Regel 1 Prozent der Gebäudekosten.
Wer wählt das Kunstwerk aus? Eine Fachjury. Die Jury wird nach der Wettbewerbsordnung für visuelle Kunst von Visarte zusammengestellt. Nach Möglichkeit sollen dabei auch ausserkantonale Fachpersonen in die Jury gewählt werden.
Wer hat die Oberaufsicht bei den Projekten? Das Hochbauamt des Kantons ist für die Durchführung des Wettbewerbs und die spätere Umsetzung zuständig. Kulturkommission und Kulturamt werden über alle Projekte in diesem Bereich informiert.
Warum gibt es solche Kunst-und-Bau-Projekte überhaupt? Ziel ist es, die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum zu fördern. Regionale und überregionale Künstlerinnen und Künstler sollen dafür berücksichtigt werden können.
Alle Verfahrensgrundlagen zu Kunst-und-Bau-Projekten gibt es hier zum Nachlesen:
http://www.hochbauamt.tg.ch/documents/Kunst_und_Bau.pdf
Zur damaligen Ausschreibung des Wettbewerbs im Kantonsspital Münsterlingen gibt es hier Detailinfos:
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