von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 09.02.2017
Unser Mann in Kiew
Samuel Forster ist das, was man einen ernsthaften Musiker nennt. Der Schlagzeuger hat mit ambitionierten Projekt im Kanton von sich reden gemacht. Jetzt tritt er mit seiner Pop-Band Timebelle für die Schweiz beim Eurovision Song Contest im Mai an. Die Geschichte eines Mannes, der in vielen Welten Zuhause ist
So richtig verstanden hat Samuel Forster noch nicht, was da seit Sonntagabend mit ihm passiert ist. Sein Handy piepst seither fast ununterbrochen. Viele Fragen, noch mehr Glückwünsche und plötzlich ganz viel Aufmerksamkeit. Nichts, was man binnen Tagen wirklich realisieren könnte. „Wir haben so hart dafür gearbeitet und nie aufgegeben. Deshalb versuchen wir jetzt, einfach jeden einzelnen Moment zu geniessen", sagt Forster im Gespräch mit thurgaukultur.ch
Was ist passiert? Rückblende. Sonntagabend. 21.48 Uhr in der SRF-Entscheidungsshow über den Schweizer Beitrag zum diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC). Scheinwerferwirbel, Jubel, Tränen. Gerade haben die SRF-Zuschauer die Band Timebelle mit fast 48 Prozent zum Gewinner des Schweizer Vorentscheids zum ESC gewählt. Sie werden nun die Schweiz beim großen europäischen Gesangswettbewerb im Mai in Kiew vertreten. „Das war ein unglaublicher Moment. Wir haben sehr gehofft, dass es klappt, aber in so einem Wettbewerb weiss man nie, wie es kommt. Als das Ergebnis dann bekannt gegeben wurde, waren wir erschlagen und überglücklich", sagt Samuel Forster. Der Schlagzeuger ist einer der Köpfe der noch jungen Band. Gemeinsam mit Emanuel Daniel Andriescu hat er sie in Bern gegründet.
Mit diesem Auftritt haben Timebelle gewonnen
Seine Heimat ist allerdings der Thurgau. Er ist aufgewachsen in Busswil, klassisch ausgebildeter Musiker, Schlagzeug-Lehrer an der Musikschule Weinfelden und Organisator des alljährlichen Internationalen Drums & Percussion Camps in Weinfelden. Mit ihm wird zumindest auch ein Stück Thurgau auf der Bühne stehen im Mai, wenn die Band mit Sängerin Miruna Manescu um eine möglichst gute Platzierung beim ESC kämpft. Davor steht allerdings noch eine Hürde. Timebelle muss das Halbfinale am 11. Mai überstehen. Gelingt das, dürfensie am 13. Mai in der grossen Samstagabendshow auftreten, die man jedes Jahr im TV sehen kann.
Dass die Band überhaupt noch mal bei diesem Vorentscheid angetreten ist, war eine Überraschung. Eigentlich hatten sie sich geschworen, nicht wieder teilzunehmen nach 2015. Damals gingen sie auch ins Rennen - und scheiterten. „Für uns war der ESC damit im Grunde durch", sagt Samuel Forster. Es kam dann doch anders. Die schwedischen Song-Komponisten Elias Näslin, sowie Nicolas und Alessandra Günthardt haben bei der Band angeklopft und ihnen verschiedene Lieder vorgestellt und gefragt, ob sie es nicht doch noch einmal versuchen wollten. Sie hörten den Song „Apollo" und die Entscheidung war klar - es gibt einen zweiten Versuch. „Der Song passt einfach perfekt zu uns. Er verkörpert den Prozess, den wir als Musiker in den vergangenen Jahren durchlebt haben. Immer an uns zu glauben, nicht aufzugeben, dranzubleiben und bei allem auch noch immer sich selbst treu zu bleiben", erklärt Forster, warum sie ihre frühere Entscheidung dann doch revidiert haben.
Leicht gefallen ist ihnen dieses Votum trotz des guten Songs nicht. Natürlich war 2015 noch in den Köpfen. Damals gewann die Band das Publikumsvoting, scheiterte aber an der Jury. Dieses Jahr entschied allein das Televoting. „Schon damals haben viele gesagt, ‚Ihr schafft das auf jeden Fall' oder Wer, wenn nicht ihr?' und am Ende kam es doch anders. Kaum verwunderlich, dass sie das nicht wieder erleben wollten. Die Angst vor dem zweiten Scheitern war da, die Lust auf die zweite Chance am Ende aber grösser. „Bei dem Auftritt jetzt war es ziemlich merkwürdig. Einerseits waren wir super-nervös, andererseits aber auch viel gelassener als beim ersten Mal. Wir wussten ja, wie es ablaufen würde. Beide Gefühle wechselten sich immer ab", erinnert sich der Schlagzeuger.
Den Moment der Entscheidung noch mal erleben
Der ESC läuft in diesem Jahr vom 9. bis 13. Mai in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Bis dahin steht noch einige Arbeit vor Samuel Forster und seiner Band. Am Samstag geht es nach Stockholm. Ab Sonntag stehen sie dann im Studio und überarbeiten ihren Gewinnersong „Apollo". Es folgt noch die Ausarbeitung der Choreografie für ihren Auftritt. Bis spätestens Anfang März soll alles so definiert sein, dass sie in die Proben einsteigen können. Im April geht Timebelle dann noch mal auf Werbetour durch mehrere europäische Länder, um sich und den Song bekannt zu machen und um möglichst viele Stimmen zu werben. Denn letztlich entscheiden ja die Zuschauer. „Das wird unsere kleine Charmeoffensive", sagt Forster. Ende April fliegen sie dann zur definitiven Vorbereitung nach Kiew.
Die Hoffnung auf den Durchbruch begleitet die Band
Die Hoffnung, die die Band in die Ukraine begleitet, ist die auf den nächsten Schritt. Bekannter werden, auf die grossen Bühnen kommen, Musik machen und davon am Ende tatsächlich auch leben zu können. „Wir nehmen den ESC sehr ernst, hängen uns da voll rein und wollen danach den Schwung dieser Grossveranstaltung für unseren weiteren Weg mitnehmen", sagt Forster. Aber er weiss auch, es wird ein Danach geben. „Selbst wenn wir als Band davon profitieren, wird es immer auch ein Alltag geben und ich werde weiterhin Schüler unterrichten", sagt Forster klar. Auch das International Drums & Percussion Camp wird es weiterhin geben. Die Planungen für 2017 laufen längst auf Hochtouren. Trotz des bevorstehenden ESC-Wahnsinns - aufgeben will Samuel Forster das nicht. „Mir gefällt es, möglichst viele unterschiedliche Dinge zu machen. Die Verschmelzung der verschiedenen Bereiche finde ich spannend. Jede Arbeit beeinflusst die andere. das ist ein grosses Glück", sagt der Musiker.
Bericht auf thurgaukultur.ch zur ersten Teilnahme der Band am ESC-Vorentscheid 2015
Mehr Bilder von der Entscneidungsshow gibt es auf der Internetseite des SRF
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