von Jeremias Heppeler, 27.01.2017
Das Herz der Finsternis
"Krieg ohne Krieg" und "Abwesenheitsassistenz" heissen die beiden Ausstellungen von Meinrad Schade und Boris Petrovsky, die derzeit im Kunstraum Kreuzlingen zu sehen sind. Das Zusammenspiel gelingt verblüffend gut.
Von Jeremias Heppeler
1. Wo beginnt Krieg?
Und wo hört Krieg auf? Meinrad Schade ist kein Kriegsreporter im eigentlichen Sinne. Er stürzt sich nicht ins Chaos der Kriegsgebiete, er ist nicht dabei, wenn die Bomben einschlagen. Und doch belichtet der in Kreuzlingen aufgewachsene Fotograf ein komplexes Porträt des Krieges: Schades analoge Fotografien nähern sich dem Schrecken indirekt an und fokussieren den Kontext, der den reinen Terror stetig umspielt. Die Truppenübungen der Soldaten in Palästina und Israel, bizarre Kriegsrollenspiele in Großbritannien, effektvolle Erinnerungsriten in der Ukraine, hochdekorierte Kriegshelden und Veteranen, die ihre Auszeichnungen stolz auf der Brust zeigen und die versehrten Opfer von Atomwaffentests in Russland. Der Fotograf schaut dem Krieg zwar nie direkt ins Auge, durch seine beispielhafte Reproduktion und Aufbereitung der Vorab-Planungen und der nachhallenden Erinnerungen, der offenstehenden Traumata und der magnetischen Faszination, entsteht doch eine schmerzhafte Reise ins allgegenwärtige Herz der Finsternis.
Krieg ohne Krieg: Fotografie von Meinrad Schade
Die komplexe Darstellung von Meinrad Schades 2003 gestarteten Langzeitprojekt „Krieg ohne Krieg" ist eine von zwei kontrastierenden Ausstellungen, die am Freitag, 27. Januar im Kunstraum Kreuzlingen eröffnet werden. Im Gespräch mit dem Wahl-Zürcher offenbart sich schnell die Tatsache, dass Schade zwischen journalistischen Anspruch und künstlerischen Analyse schwankt. „Ich stehe so ein bisschen zwischendrin, zwischen Journalismus und Kunst. Klar, ich komme vom Aufklären, also von der Grundmotivation her, aber ich hab mich auch davon entfernt. Ich bin in dieser Frage total zerrissen, ich hab da verschiedene Pole in mir." In Kreuzlingen schlägt das Pendel hierbei eindeutig in Richtung der dezenten artifiziellen Verfremdung aus: Die auf unzähligen Reisen entstandenen Fotografien, werden nicht etwa in Reportagen nach Ländern oder gar Kriegen geordnet, sondern absichtlich vermischt und in übergreifenden Kategorien wie „heroes" oder „arms" kombiniert. So diffundieren die verschiedenen Eindrücke ineinander, eine zweite Sinnebene entsteht, eine Art Poetik des journalistischen Bildes keimt auf, während die eindeutigen Narrations- und Informationsstrukturen zunächst durchlässig und alsbald unsichtbar werden.
„Es geht mir nicht darum, spezifische Ausprägung, meinetwegen des Palästina-Konflikts zu zeigen, sondern eher die Gemeinsamkeiten. Wie halten Menschen Waffen? Es ist egal, ob jemand in Russland oder in Israel eine Waffe hält. Wie formieren sich Menschen um Macht zu demonstrieren? Das stößt man auf eine Art universelle Sprache." Und so müssen die eingangs gestellten Fragen wohl beide mit: „Niemals!" beantwortet werden. Krieg kennt keinen definitiven Start- oder Endpunkt. Die aufgerissenen Wunden bleiben. Oder vernarben. Im Bild.
2. „Bis es klepft!"
Der Mensch sieht sich nur zu gerne als Herr über seine geölten Maschinen. Sie bringen uns an jeden Ort der auf der Welt und sogar darüber hinaus, sie füttern und verwöhnen uns, sie vernetzen uns in einem nie enden wollenden Kommunikationsverstrickungen. Eine Maschine muss dabei eigentlich nur zwei Dinge leisten: 1. Einen konkreten Zweck erfüllen. 2. Funktionieren. Fehlerlos. Darüber definiert sie sich. Wir Menschen indes genießen den Luxus und die Freiheit, die sie uns die Maschinen ermöglichen. Und wir wollen mehr davon. Immer mehr. Auch deshalb markierte das Smartphone, jener totaler Kommunikationsapparat im Hosentaschenformat, eine erneute Medienrevolution. Weil es uns lückenlos mit der Matrix verklebte. Mensch und Maschine sind eins – zumindest bis der Computer abstürzt oder Akku ausläuft.
Boris Petrovskys löst die Maschinen aus diesen zweckmäßigen Verknotungen – und befreit im gleichen Aktionszug auch den Menschen selbst. Dieser wird nämlich zum außenstehenden Beobachter der dargestellten Gerätschaften, die zuvor noch ein Teil von ihm waren. Die von Petrovsky konstruierten Maschinen haben – zumindest auf den ersten Blick – keine wirkliche Aufgabe: Ihre Funktionen ergeben keinen direkten Sinn, nicht selten arbeiten sie im Loop, in der Kreisbewegung, ohne klaren Anfang und ohne klares Ende. Und doch folgen sie keinen Zufallskonzept, sondern sind bis ins letzte Detail berechnet und durchgetaktet, gegossen und geplant. Den vermeintlichen Sinn oder Unsinn muss sich der Rezipient im Anblick der Metaphernmaschinen aber selbst erschließen, so verlangen es die Mechanismen der Kunst.
Boris Petrovskys "Abwesenheitsassistenz". Noch bis 9. April im Kunstraum Kreuzlingen zu sehen.
Petrovskys Arbeit für das Tiefenpaterre des Kunstraums nennt sich „Abwesenheitsassistenz" und entstand in einem Jahr vielschichtiger Planung und Arbeit. Den Titel selbst referiert auf die oben angesprochene Sinnhaftigkeit, die der ästhetischen Maschine zumindest auf praktikabler Ebene abgeht und welche wir erst in den tieferliegenden Konnotationsschichten freilegen können – oder auch nicht. Wir sehen eine Art Minikarussel in grellen Lila, angetrieben von aufliegenden, tiefschwarzen Motoren. Wirft man den „Abwesenheitsassistenten" an, so formuliert er keineswegs eine abgesicherte Bewegung der Kreisform. Viel eher entsteht ein unberechenbarer Moment der Gefahr: Die Maschine dröhnt und schreit, die Motoren zucken und ruckeln in abhackten Schüben. „...bis es klepft. Durch die übermittelte Kraft bekommt es einen Rhythmus, da beginnt es zu tanzen. Das macht sich im ganzen Haus präsent.", meint dazu Kurator Richard Weber-Tisserand in Vertretung des Künstlers. So schleudert uns die Maschine Soundwellen entgegen, die den Rezipienten als Bedeutungs- und Metaphernrauschen umspielen.
Am Ende treffen hier zwei Künstler aufeinander, die scheinbar keinerlei Überschneidungen aufweisen. Und doch gibt es Parallelen: Sowohl Schade als auch Petrovsky analysieren abstrakte Systeme durch ein Verhandeln des Abwesenheitsbegriff und starten hierbei einen fortschreitenden Dekonstruktionsprozess. Dazu meint Weber-Tisserand: „Ich bringe Projekte zusammen, bei denen es nicht erklärbar ist, warum sie zusammen sind. Es gibt oft solche Indifferenzen zwischen den Projekten – aber das interessante ist, dass meistens eine Meta-Ebene dazwischen entsteht und es eben doch funktioniert. Das kann den Zuschauer deblockieren." Jawohl, der Plan geht auf!
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