von Inka Grabowsky, 14.12.2016
Wenn 2017 auf 1917 trifft
Das Junge Theater Thurgau und das Historische Museum Thurgau spannen zusammen: Jugendliche aus dem ganzen Kanton zeigen im Frühjahr das Alltagsleben vor hundert Jahren im Vergleich zu heute.
Von Inka Grabowsky
Angefangen hat das Projekt mit der Ausstellung „Die Schweiz und der grosse Krieg",die bis zum vergangenen Oktober im Alten Zeughaus in Frauenfeld Station machte. Für das Historische Museum hatte Ira Werner die Kulturvermittlung vorbereitet und war dabei im Thurgauer Frauenarchiv auf Briefe von Anna Susanna Keller-Forster aus Alterswilen gestossen. Vor hundert Jahren hatte diese Witwe nicht nur ein Textilgeschäft und war für die Poststelle verantwortlich – insofern war sie quasi eine Nachrichtenzentrale – sondern hatte auch acht Kinder, die zum Teil schon an Universitäten oder im Militär waren. Ihre Briefe schildern einen interessanten Querschnitt aus dem Thurgauer Alltag vor hundert Jahren. „Wenn man sie liest, rufen sie sofort Bilder im Kopf hervor", so Werner. „Deshalb habe ich das Thema für unsere Eigenproduktion 2017 vorgeschlagen – und alle fanden es faszinierend." Im Mittelpunkt des Theaterstückes, das derzeit unter der Leitung von Ira Werner entsteht, steht die Tochter Anna, die aus finanziellen Gründen die Schule verlassen muss, um im Welschland für die Familie Geld zu verdienen.
Der Vergleich mit der Vergangenheit
Gemeinsam mit der Regisseurin haben die Jugendlichen die Geschichte entwickelt und ihr eine zweite zur Seite gestellt, die in der heutigen Zeit spielt. „Das Grundkonstrukt steht inzwischen", sagt Ira Werner. „Spätestens bei der Premiere werden wir wissen, wie es den beiden Annas ergeht." In den Geschichtsbüchern kann man die Lösung des Jungen Theaters Thurgau nicht nachlesen. Die Gruppe lässt sich von Familie Keller-Forster nur inspirieren, sie spielen sie nicht 1:1 nach.
Die heutige Anna hat als Au Pair ihre Probleme mit der Disziplin. Bild: Inka Grabowsky
Die ganz frei erfundene moderne „Anna 2" hat die Schule abgebrochen und geht ebenfalls als Haushaltshilfe ins Welschland. Aleena Krähemann aus Warth hat diese Rolle übernommen. Nach der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit meint die 14-Jährige: „Ich bin schon froh, dass ich heute lebe. Aber auch Anna 2 hat einiges auszustehen. In jeder Zeit gibt es Konflikte und Probleme."
Die 16-jährige Sara Weber aus Steckborn übernimmt die Rolle der ‚alten Anna': „Mich interessiert, mich in ein ganz anderes Leben zu versetzen, die alten Kleider anzuziehen und mich in frühere Zeiten einzufühlen". Wie unterschiedlich die Lebensumstände vor hundert Jahren waren, haben die jungen Leute untersucht: kein elektrisches Licht, Telefonate nur auf der Poststelle, Wäschewaschen dauerte eine Woche, Lebensmittel wurden gelegentlich knapp. Es ging aber auch um Details, wie Produktionsleiterin Katrin Sauter erzählt: „Hat man damals schon ‚Mami' gesagt oder doch ‚Mutter'? Hat man sich mit ‚hoi' begrüsst? Das herauszufinden war schon interessant." Insbesondere für Frauen habe sich in der vergangenen hundert Jahren ja einiges verändert, meint sie weiter. Wenngleich die Beschäftigung mit den Briefen doch gezeigt habe, dass es auch damals schon starke Frauen gab und dass nicht jedes Mädchen brav sein musste.
Hilfe gesucht: 71 Sponsoren sollen jeweils 71 Franken spenden
Unterstützt wird das Projekt vom Historischen Museum, das nicht nur die Recherche ermöglichte, sondern auch die Kulissen im Alten Zeughaus zur Verfügung stellt, wo die Aufführungen ab dem 21. April laufen. Stadt Kanton und Stiftungen tragen ebenfalls ein Scherflein bei. „Trotzdem gibt es noch eine Finanzierungslücke, die wir mit kreativen Mitteln schliessen müssen", sagt die Produktionsleiterin. „Deshalb haben wir das Projekt 71 lanciert: Wir suchen 71 Sponsoren, die jeweils 71 Franken spenden." Wer das Junge Theater Thurgau unterstützen möchte, möge sich melden: jttg@eisenwerk.ch
Video zu den Probearbeiten des Jungen Theaters Thurgau
Die Termine: Premiere am 21. April 2017. Weitere Vorstellungen 23. 28., 29. und 30. April. Danach 4. , 5. und 6. Mai. Jeweils um 20 Uhr, sonntags um 17 Uhr. Infos unter www.jungestheaterthurgau.ch oder www.eisenwerk.ch
Von Inka Grabowsky
Weitere Beiträge von Inka Grabowsky
- Gruselige Geschäfte (20.11.2024)
- Die Musikerklärer (19.11.2024)
- Wann ist ein Mensch ein Mensch? (12.11.2024)
- Wissen macht glücklich (11.11.2024)
- Wirklichkeit ist, was du daraus machst! (07.11.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Bühne
Kommt vor in diesen Interessen
- Geschichte
- Schauspiel
- Jugendliche
Ähnliche Beiträge
Herr Fässler besiegt die Angst
Therapeutin trifft auf Zyniker: In der Theaterwerkstatt Gleis 5 in Frauenfeld ist mit „Herr Fässler und die Stürme der Liebe“ zu erleben, wie sich eine Puppe von ihrer Puppenspielerin emanzipiert. mehr
Problemfamilie mit Wiedererkennungswert
Die Eigenproduktion „Familienidylle“ des theagovia theater zeigt eine Familie im Ausnahmezustand, der vielleicht gar nicht so ungewöhnlich ist. mehr
«Ich will auch nicht immer in den Abgrund schauen.»
Die Schauspielerin und Produzentin Susanne Odermatt hat sich in den vergangenen Jahren als Spezialistin für Dramen einen Namen gemacht. Jetzt bringt sie eine Komödie auf die Bühne. mehr