18.03.2016
Antworten zu Lotteriegeldern
Im Januar dieses Jahres hatte der Romanshorner SVP-Kantonsrat Urs Martin beim Thurgauer Regierungsrat die Einfache Anfrage mit fünf Punkten zur „Bewilligung von wiederkehrenden Ausgaben aus dem Lotteriefonds im Umfang von 3.5 Millionen Franken“ eingereicht. Darin erinnerte er daran, dass das Bundesgericht am 15. April 2015 eine Stimmrechtsbeschwerde im Zusammenhang mit den Bauvorhaben beim Kunstmuseum Thurgau gutgeheissen habe. Unter anderem wollte Urs Martin vom Regierungsrat erklärt haben, wie er seinen am 14. Januar 2015 kommunizierten Entscheid, insgesamt 3.5. Millionen Franken (unter anderem einmal 1.1 Millionen für die Kulturstiftung des Kantons Thurgau und einmal 2 Millionen Franken für die Denkmalpflege) jährlich wiederkehrend zu sprechen erkläre, obwohl gemäss Kantonsverfassung nur 20‘000 Franken pro Anliegen zulässig seien. Wir unterbreiten unserer Leserschraft die Fragen Martins und die nun vorliegenden Antworten des Regierungsrates im Wortlaut. Auf Anfrage zeigte sich Urs Martin mit dem Schreiben des Regierungsrates nicht zufrieden. (ho)
Frage 1: Trotz Kantonsverfassung?
„Wie erklärt der Regierungsrat seinen am 14. Januar 2015 kommunizierten Entscheid, insgesamt 3.5. Millionen Franken (einmal 1.1 Millionen und einmal 2 Millionen) jährlich wiederkehrend zu sprechen, obwohl gemäss Kantonsverfassung nur 20‘000 Franken pro Anliegen zulässig sind?“
Antwort 1: Kompetenzdelegation statthaft
„Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Finanzdelegationen zulässig, wenn sie durch das kantonale Recht nicht ausgeschlossen sind, auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt bleiben und in einem formellen Gesetz erfolgen (Urteil des Bundesgerichts 1C493/2009 vom 3. März 2010 E. 8, mit weiteren Hinweisen). Wie der „Wegweiser durch die Thurgauer Verfassung" (STAHELiN/GoNzENBAcH/WALT, Frauenfeld 2007, 2. Auflage) in N 3 zu § 23 Verfassung des Kantons Thurgau (KV; RB 101) ausführt, ist im Vernehmlassungsentwurf von 1979 eine Einschränkung der Finanzdelegation vorgesehen gewesen, habe aber nicht Eingang in den definitiven Verfassungstext gefunden. Eine Delegation der Ausgabenbewilligungskompetenz an den Regierungsrat ist im Rahmen von § 43 KV somit statthaft. Gesetzliche Grundlagen für die hier zur Diskussion stehenden Beiträge sind mit § 10 Abs. 2 des Gesetzes über die Kulturförderung und die Kulturpflege (KulturG; RB 442.1) sowie mit § 21 Abs. 3 des Gesetzes zum Schutz und zur Pflege der Natur und der Heimat (TG NHG; RB 450.1) gegeben. Die abschliessende Finanzdelegation an den Regierungsrat in diesem bestimmten Anwendungsbereich ist verfassungskonform.
§ 45 Abs. 3 KV (,Er [Der Regierungsrat] beschliesst über neue einmalige Ausgaben bis zu 100'000 Franken und über neue jährlich wiederkehrende Ausgaben bis zu 20'000 Franken.‘) gelangt vorliegend nicht zur Anwendung, da diese Bestimmung nur solche Ausgaben betrifft, die ohne gesetzliche Grundlage erfolgen (vgl. STÄHELIN/GONZEN- BACH/VVALT, a.a.O., N 5 zu § 45; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1C_493/2009 E. 8). Die Vergabe der Lotteriegelder stützt sich hingegen auf kantonale Gesetze. Durch die abschliessende Delegation an den Regierungsrat bestehen die Kompetenzen des Regierungsrates folglich unabhängig von den Finanzbefugnissen gemäss § 45 KV. Die bisherige Praxis (siehe Antwort auf die Frage 5) der Beitragsvergabe bestätigt im Übrigen die Ausgabenkompetenz des Regierungsrates im Bereich des Lotteriefonds.
§ 45 Abs. 3 KV und § 10 Abs. 2 KulturG bzw. § 21 Abs. 3 TG NHG betreffen demnach unterschiedliche Tatbestände. Die Bestimmungen stehen weder in einem widersprüchlichen noch in einem komplementären Verhältnis zueinander.“
Frage 2: Ermächtigung?
„Welche gesetzliche Grundlage ermächtigt den Regierungsrat zu diesem Handeln?“
Antwort 2: Kantone bestimmen die Kriterien
„Gemäss Art. 5 des Bundesgesetzes betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten (LG; SR 935.51) können Lotterien von der zuständigen kantonalen Behörde bewilligt werden, wenn sie einem gemeinnützigen oder wohltätigen Zweck dienen (Abs. 1); Lotterien zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher gesetzlicher Verpflichtungen sind von der Bewilligung ausgeschlossen (Abs. 2).
Gestützt auf das Lotteriegesetz haben die Kantone am 7. Januar 2005 eine Interkantonale Vereinbarung über die Aufsicht sowie die Bewilligung und Ertragsverwendung von interkantonal oder gesamtschweizerisch durchgeführten Lotterien und Wetten (im Fol- genden: Konkordat; RB 935.54) getroffen. Art. 24 Konkordat sieht vor, dass jeder Kanton einen Lotterie- und Wettfonds errichtet und dass die Lotterieveranstalterinnen ihre Reinerträge in die Fonds jener Kantone liefern, in denen die Lotterien und die Wetten durchgeführt worden sind. Die Kantone bezeichnen die für die Verteilung der Mittel zuständige Instanz (Art. 25) und bestimmen die Kriterien, welche die Verteilinstanz für die Unterstützung gemeinnütziger und wohltätiger Projekte anwenden muss (Art. 26). § 3 Lotteriegesetz (RB 935.51) sieht vor, dass der Regierungsrat die erforderlichen Vollziehungsverordnungen erlässt. Laut § 8 Abs. 1 der Verordnung des Regierungsrates über die Verwendung der Mittel aus dem Lotteriefonds (LotteriefondsV; RB 935.523) entscheidet der Regierungsrat über Beiträge. Über die Beitragsverwendung wird jährlich detailliert Bericht erstattet. Im Übrigen verweisen wir auf die Antwort zur Frage 1.“
Frage 3: Widerspruch?
„Steht die jährlich wiederkehrende Vergabe von Lotteriegeldern von über 1 Million Franken nicht im Widerspruch zur am 8. Dezember 2015 verabschiedeten Botschaft, welche ab 1 Million den Grossen Rat und fakultativ das Volk beziehen möchte?“
Antwort 3: Auf geltendes Recht gestützt
„Nein. Alles staatliche Handeln ist an das Recht gebunden (§ 2 Abs. KV). Der Regierungsrat stützt sich bei den am 12. Januar 2016 gesprochenen Lotteriefondsbeiträgen auf das geltende Recht ab (siehe Antwort zu Frage 1 und 2).“
Frage 4: fait acoompli?
„Möchte der Regierungsrat mit seinem Handeln vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch fait accompli schaffen, welche dann von Rat und Volk nicht mehr diskutiert werden dürfen?“
Antwort 4: Keine Vorwirkung
„Nein. Der Regierungsrat hat sich an der aktuell gültigen Rechtslage (de lege lata) zu orientieren und die ihm gemäss Verfassung und Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Eine allfällige künftige Kompetenzänderung (de lege ferenda) vermag keine Vorwirkung zu erzielen. Eingehende Gesuche um Beiträge aus dem Lotteriefonds können deswegen nicht sistiert werden. Andernfalls müsste bei jeder sich abzeichnenden Gesetzesänderung das staatliche Handeln ausgesetzt werden.“
Frage 5: Verwendung trotz Lotteriegesetz?
„Art. 5 Abs. 2 des eidgenössischen Lotteriegesetzes (LG) schliesst die Verwendung von Lotteriegeldern zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen aus, d.h. für die Finanzierung von Aufgaben, deren Erfüllung dem Kanton gesetzlich vorgeschrieben ist (siehe hierzu BGE 1C_493/2009). Gemäss Art. 78 der Bundesverfassung i. V. m. § 76 der Kantonsverfassung ist der Natur- und Heimatschutz, worunter auch die Denkmalpflege zu subsumieren ist, eine gesetzlich definierte Kantonsaufgabe. Wie rechtfertigt der Regierungsrat die jährlich wiederkehrende Verwendung von 2 Millionen Franken aus dem Lotteriefonds dafür?“
Antwort 5: Erheblicher Spielraum
„Das in Frage 5 erwähnte Verbot, öffentlich-rechtliche gesetzliche Verpflichtungen mit Lotteriefonds-Geldern zu erfüllen, ist nur schon von der Terminologie her ausgeschlossen. Es gibt praktisch keine Lebensbereiche mehr, für die nicht eine gesetzgeberische Zuständigkeit des Staates (unbesehen welcher Ebene) existiert. Jedes staatliche Handeln bedarf einer Basis im Sinne des Legalitätsprinzips. Gemäss Urteil des Bundesgerichts 1C 493/2009 E. 7.4 besteht ein erheblicher Spielraum bei der Verwendung von Lotteriegeldern: ,Zwar schliesst Art. 5 Abs. 2 LG deren Verwendung zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen aus, d.h. für die Finanzierung von Aufgaben, deren Erfüllung dem Kanton gesetzlich vorgeschrieben ist (wie z.B. die Erstellung von Schul- häusern [...]). Dagegen belässt das Bundesrecht den Kantonen ein grosses Ermessen bei der Interpretation der Gemeinnützigkeit und der Wohltätigkeit, bei der Auswahl unter verschiedenen unterstützungswürdigen Vorhaben und bei der Bemessung der Höhe der Ausgabe.‘
Eine entsprechende Anfrage bei der Comlot (Lotterie- und Wettkommission, Bern) bestätigte diesen weiten Ermessensspielraum. Es sei allgemein bekannt, dass sich die Praxis der Mittelvergabe in den Kantonen über die Jahre in eine Richtung entwickelt habe, dass Beiträge aus den Lotteriefonds auch dann möglich seien, wenn sie höchstens ergänzend zur Finanzierung von gesetzlich vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben eingesetzt werden (Schreiben Comlot vom 17. September 2013).
Weder gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung noch der zuständigen inter- kantonalen Kommission besteht somit ein Widerspruch zum Bundesgesetz. Im vom Fragesteller angesprochenen Bereich des Natur und Heimatschutzes besteht im Übrigen - wie unter Frage 1 dargelegt - eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage:
§ 21 Abs. 3 TG NHG ermächtigt den Regierungsrat, ,für denkmalpflegerische Belange zusätzliche Einlagen aus dem Lotteriefonds‘ zu tätigen. Die erwähnten 2 Mio. Franken werden gestützt auf diese Bestimmung in die Spezialfinanzierung NHG überführt.“
Nichts gegen Kulturstiftung oder DenkmalpflegeSVP-Kantonsrat Urs Martin ist mit den Antworten des Regierungsrates nicht zufrieden. Zum Beispiel seien die Themen Gesetzesdelegation und Lotteriefonds bereits vom Bundesgericht kritisch beleuchtet worden. Es sei gut möglich, dass die Haltung des Regierungsrates bei Gelegenheit wieder angefochten werde. Dabei betont Urs Martin, dass er nichts gegen Beiträge an die Kulturstiftung des Kantons Thurgau oder für die Denkmalpflege habe. Im Übrigen bleibt er dabei: „Dass der Regierungsrat „fait accompli“ schaffen will ist für mich sonnenklar.“ (ho) |
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