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von Rolf Müller, 02.05.2015

CH-Moral mit Öpfelringli

CH-Moral mit Öpfelringli
Ein Blickfang: Helvetia in Milano. Sofort scharten sich alle Fotografen um sie. | © Rolf Müller

Rolf Müller

Am 1. Mai öffnete die Weltausstellung 2015 in Mailand. Thema: „Den Planeten ernähren - Energie fürs Leben“. Viele Länder bieten bloss dünnes Marketing. Nicht so die Schweiz. Weil Thurgauer Öpfelringli, verschtosch?

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Vorher und danach: Der Unterschied zwischen der Zugsbesatzung von Trenitalia im Sonderzug Zürich ab 06.09 Uhr und den SBB, Rho Fiera Expo Milano ab 19.08 Uhr? Empathischer Natur. Flippte der italienische Typ im Speisewagen zu frühmorgendlich nachtschlafender Zeit aus, weil er auf eine Schweizer Hunderternote herausgeben sollte (nicht konnte und wir drum ausser mit Münz bezahltem Kaffee kein Frühstück kriegten), wollte der Schweizer Chefkondukteur spätnachts einer Passagierin partout aus dem eigenen Sack einen Anteil an ihr Taxi bezahlen, weil wir 50 Minuten verspätet in Zürich ankamen und ihr letztes Tram weg war. Sie wollte nicht.

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Aber das nur am Rande. Jetzt zum Thema: Das Leben ist immer eine Baustelle, die Expo 2015 wird es garantiert noch eine Weile bleiben.

Blick auf die Hauptstrasse der Expo 2015... (Bilder: Rolf Müller)

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Der Eröffnungstag war trotzdem eindrücklich. Aber definitiv nicht wegen der Gesamtgestaltung: Von Mailand (!), dem totalen Epizentrum aller Modeopfer, wäre wirklich ein mondänerer Chic zu erwarten. Gibt’s nicht, keine Einheit das Ganze. Die Pavillons entlang einer kilometerlangen, mit Planen überdachten Hauptstrasse und abzweigenden Gässchen links und rechts wirken oft zufällig hingekleckst. Oder wurden gerade gekleckst – an diversen nationalen Visitenkarten hämmerten, bohrten und spachtelten Jungs mit und ohne Schutzhelme pressant herum. Improvisation ist alles.

Klar, wer in Italien pünktlich kommt, ist selbst schuld. Das ist es doch gerade, was wir am Süden sonst so toll finden. Meist, aber gewöhnlich eben nur in den Ferien: diese legere, lebensfrohe Haltung.

... und auf einen der Hinterhöfe: Eleganz geht anders.

Für das Erlebnis einer erhebenden Eleganz lohnte sich der Besuch der Expo zum Auftakt also schon mal nicht. Aber interessanter sind sowieso die Kehrseiten der Medaillen, die Hinterhöfe des Hochglanzes. Da gibt’s in Milano einige – wüst abfallübersäte Baubrachen wie auch im übertragenen Sinn. So fiel auf, dass Pavillons von Entwicklungs- und Schwellenländern in einfacher Normbauweise am Eröffnungstag oft zwar erstellt und beschriftet, dennoch aber ohne Mitteilung zu den Gründen geschlossen waren.

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Der Schweizer Pavillon: Highlight mit Hintersinn

Der Bundesrat war nicht vertreten an der Eröffnung des Schweizer Pavillons am 1. Mai 2015. Routiniert sprach indessen Nicolas Bideau, Chef Präsenz Schweiz. "Mit kulinarischen Spezialitäten und einem vielseitigen Veranstaltungsprogramm wollen wir das Interesse des Expo-Publikums wecken", sagte er. Dafür soll der Schweizer Bau mit vier Lebensmittel-Türmen auf einer Fläche von 4432 Quadratmetern sorgen.

 

Die Besucher bedienen sich in den Silos nach Gutdünken vom offerierten Salz, Kaffee und Wasser sowie von 420'000 Säckchen mit Thurgauer Öpfelringli. Je mehr sie hamstern, umso weniger bleibt für die restlichen Besucher. Mit zunehmendem Konsum senken sich die Plattformen der Silos. "Die Menschen sollen sich mit dem Mangel und der Endlichkeit der Ressourcen auseinandersetzen und so ihr eigenes Konsumverhalten hinterfragen", sagte Bideau der Nachrichtenagentur sda. Die Ansage beim Betreten des Pavillons war ungleich klarer. "Nehmen Sie, soviel sie wollen. Für die anderen Besucher hat es umso weniger. Und geniessen Sie Ihren Aufenthalt bei uns", sagte der Instruktor. - Raffiniert! (rom)


Der Schweizer Pavillon mit den vier Lebensmittel-Silos. (Bilder: Rolf Müller)

Freundlich wird man zur Ausstellung geleitet...

... und da nüchtern über den Mechanismus des Konsums aufgeklärt.

In einem Silo lagern 420'000 Säckli mit Apfelringen aus dem Thurgau.

In einem anderen 350'000 Wasserbecher und 96'000 Liter Trinkwasser. Am Eröffnungstag waren mittags erst gut 50 Liter weg.

Weiter gab es natürlich Raclette. Und eine sechsköpfige Band des Schweizer Armeespiels bot hervorragenden Pop und Jazz.


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Sonst sind die Defizite halb so wild. Dass der Aufbau wegen mafiösen Einflüssen stockte – geschenkt. Jedes Land trägt sein eigenes Bündeli, und die Brüder treffen sich unterdessen ja bereits im "Schäfli" im thurgauischen Wängi. Die Volunteers haben keinen Schimmer, wo was zu finden ist? Easy, erster Tag (dafür waren sie freundlich). Im Gegenzug der Kaffee! Hey, Italy, molto bene! Was an der Expo lässig gut und günstig als einfacher Espresso serviert wird, gilt bei uns bestenfalls als überteuerter Ristretto.

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Kaffee ist ein Grundnahrungsmittel. Food überhaupt ist ja das Metathema der Expo. Wer den Planeten ernähren will, muss sich künftig schon etwas einfallen lassen, wird die Zahl der Weltbevölkerung doch bald auf neun Milliarden steigen. - Nord-Süd-Gefälle, Verteilungsgerechtigkeit, politische Misswirtschaft… Wenige der 144 teilnehmenden Länder, deren Pavillons ich besuchte, wollten oder durften dazu wirklich Aussagen machen; der Anspruch ist nur Anspruch, unverbindlich, ein Motto. Viele Länder, etwa Vietnam, stellten einfach Speiseöl und folkloristisches Zubehör aus, während beispielsweise Aserbeidschan zumindest die Bildung thematisierte.

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Von den Nationen mit arg moralisierenden Ansprüchen fallierten die USA am besten: Grosser Zirkus („American Food 2.0“), permanente Video-Ansprachen Obamas – und eine dermassen lausige inhaltliche Performance. Nichts als disneyartiger 3D-Zeichentrick, texanisches Beef, weite Felder… keine Aussagen, nur funny und schnell und great – ein Trauerspiel.

„American Food 2.0". Die Kids waren begeistert, die Ausstellung schwach.

Politik wurde tunlichst ausgeklammert. Bei allen in acht Stunden besuchten Pavillons. Ausser im polnischen, aber auch da nur retrospektiv. Israel etwa feierte sich als Pionier der künstlichen Bewässerung. Russland wies plakativ darauf hin, dass es über 26 Prozent der Wasserreserven verfügt und ausserordentlich verantwortungsvoll damit umgehe. Und so weiter.

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Zweifellos ist der erste Tag einer Weltausstellung nicht repräsentativ. Naturgemäss hielten sich vor allem streng bewachte Politiker (Auswahl: Renzi, Italien; Royal und Fabius, Frankreich; Gabriel, Deutschland) in Mailand auf. Dazu unzählige internationale Medienschaffende (das iPhone und andere Mobiles als Videokamera ist schwer in, sollte man nicht unterschätzen als Berufsschurni). Sowie enorm viele Sicherheitskräfte. Am Tag der Arbeit zog man wohl zusammen, was man hat. Der Rest sorgte in der Innenstadt für Ruhe bei Protesten. Darum patrouillierte an der Expo sogar die Forstpolizei samt grünen Einsatzfahrzeugen mit strenger Miene.

In der Mitte vermutlich Matteo Renzi, der Ministerpräsident Italiens.

Live-Einschaltung aus dem Gastgeber-Pavillon.

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Hingehen ist bestimmt ein guter Tipp. Wer sich selbst darstellen (muss), lässt die Hosen runter. Das ist bezogen auf manche Länder an der Expo 2015 so erhellend wie bedenklich. Aber jedenfalls ist der Kaffee gut.

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PS: Das Titelbild mit der schönen Helvetia dient nur als Eyecatcher. Ein Zusammenhang mit dem Schweizer Pavillon erschloss sich während der Besichtigung in keiner Weise. Aber kaum wallte die Dame in dessen Nähe, pulkten sich die gelangweilten Fotografen schon fast etwas hitzig um sie.

 

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Mehr zum Thema:

Grosser Andrang bei Expo in Mailand - Tagblatt vom 4.5.15
Gebautes Fast Food - Tagi vom 3.5.15

Offizielle Website der Expo Milano 2015
Informationsseite der SBB zu ihren Sonderzügen an die Expo


Bonusbild: Alles frisch aus dem Boden gestampft. Hat auch seinen Reiz.

 

www.expo2015.org

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